„Glück, das mir verblieb“. Robert Carsen inszeniert Korngold, Die tote Stadt als szenisches Potpourri an der Komischen Oper

Bei Theatermacher Carsen geht es drastisch und plakativ zu. Hier ist der um seine jung verstorbene Frau Trauernde kein Hypochonder, kein von Melancholie und Depressionen Geschlagener, sondern ein hochgradiger Psychopath, der den Totenkult um die  verstorbene Marie zur Obsession, zur Paranoia gesteigert hat und unter  Betreuung von Arzt und Krankenschwester sich in der Klinik das einstige gemeinsame Schlafzimmer  wieder eingerichtet, es mit Ikonen der Erinnerung  ausgeschmückt, sich eine „Kirche des Gewesenen“ geschaffen hat.

Einen Wendepunkt im Totenkult und in den exzessiven Wahnvorstellungen bildet die Begegnung, die wahnhafte Begegnung, mit einer anderen Frau. Marietta, in der der Kranke eine Wiedergängerin der Toten zu erkennen meint, eine zu seinem Entsetzen höchst irdische, erotisierende und ihn sexuell  faszinierende Variante seiner Marie. … → weiterlesen

Im Schmelz versinken – bis zur Lichtpause. Eugen Onegin am Theater Freiburg

Tschaikowskys lyrische Szenen laden zu vielerlei Deutungen ein. Die einen wollen in Tatjana, der eigentlichen Protagonistin, eine selbstbewusste moderne „starke Frau“ sehen, andere inszenieren zur privaten Geschichte die russische Geschichte gleich mit, wieder andere machen aus Eugen Onegin eine Schwulenoper, in der die Frauen nur stören, wieder andere setzen ein Märchen aus Poesie und Traum, Liebe und Melancholie, Vergeblichkeit und Scheitern in Szene, nein, genauer: ein mit leichter Ironie gebrochenes Antimärchen. So Barrie Kosky in seiner Variante des Eugen Onegin in der Komischen Oper Berlin.

In Freiburg – das ist der erste Eindruck – hat man sich für die romantische Variante entschieden. … → weiterlesen

Im Irrenhaus. Christof Loy inszeniert Carl Maria von Weber, Euryanthe am Theater an der Wien

Nichts von Rittern und Burgfräulein, nichts von Königen und Grafen, nichts von schaurigen Grüften, nichts von düsteren Wäldern und sanften Auen. Von all diesem romantischen Mittelalter Plunder will die Regie nichts wissen. Statt eines Märchens aus fernen Zeiten und fernen Landen setzt sie ein modernes Kammerspiel, ein Psychokammerspiel in den Kostümen von heute in Szene.

… → weiterlesen

Und wieder einmal ein Flop in der Wiener Staatsoper: Johannes Maria Staud – Durs Grünbein, Die Weiden. Ein Musikprofessor und ein Poet versuchen sich am Musiktheater

Es mag ja sein, dass Durs Grünbein, der das Libretto verantwortet, ein großer deutscher Dichter ist. Und so hätten wir gern in Wien seine hehren Worte vernommen. Vergebliche Hoffnung. Die Worte  unseres Poeten waren nicht rätselhaft. Sie waren einfach nicht zu verstehen, akustisch nicht zu verstehen. Alles scheiterte an der absoluten Textunverständlichkeit, zu der die beiden Hauptdarsteller neigten. So konnte man nur ahnen, was der deutsche Dichter uns sagen wollte. Aber vielleicht wollte er uns auch gar nichts sagen und hat deswegen seine beiden Protagonisten zur Textunverständlichkeit verurteilt.

Zu sagen gab es  auch nicht viel. Der Librettist und ihm im Gefolge der Komponist haben sich an einem Thomas Bernhard Verschnitt versucht: der Thomas Bernhard Leser kennt das schon:

… → weiterlesen

Trouble bei den Royals – und Medea zündet die Handgranate. René Jacobs dirigiert Händel, Teseo am Theater an der Wien – und die Regie greift haltlos daneben

Am Ende des Krieges müssen auch die Royals an die Front. Ein Glück für die Hochgeborenen und für Great Britain, dass ihnen in der Not ein schmächtiger junger Mann (bei Händel ein gewisser Teseo, hier in der Person der Mezzosopranistin Lena Belkina) zu Hilfe kommt und ihnen die Kastanien aus dem Feuer holt. So können  sie dann gleich wieder so agieren, wie es die Klatschpresse mag: der in die Jahre gekommene König kriegt Angst vor der femme fatale, die bei ihm am Hofe lebt und der er die Ehe versprochen hat (bei Händel eine gewisse Medea). So möchte er denn lieber die hausmütterliche Prinzessin, die auch bei ihm am Hofe lebt, ehelichen (bei Händel eine gewisse Agilea). Dumm nur, dass diese sich in den Kriegshelden Teseo verknallt hat – und umgekehrt.

… → weiterlesen

Monteverdi, L‘ Orfeo. Intermediales Spiel und ästhetisches Vergnügen. Eine Sasha Waltz Produktion an der Staatsoper Unter den Linden

Vielleicht war es das ‚Gesamtkunstwerk‘, das wir jetzt in einer Wiederaufnehme in Berlin gesehen und gehört haben: eine Einheit von Klang und Stimmen, von Tanz und Malerei. Ich bin nicht unbedingt ein Fan des Tanztheaters, wenn,  wie wir es zuletzt in Paris in einer Così fan tutte  Inszenierung erlebt haben, Tänzer in Konkurrenz zu Sängern treten und  versucht wird, die unterschiedlichsten Liebesdiskurse in die Sprache des Körpers zu transferieren, ein Bemühen, das die Tänzer letztlich vor der Macht des Gesangs scheitern lässt und sie zu Statisten degradiert.

Nichts von einem gequälten Überlagern von Stimme und Bewegung ist in Sasha Waltz‘ Orfeo zu bemerken. Hier ergänzen die Künste einander.

… → weiterlesen