„Glück, das mir verblieb“. Robert Carsen inszeniert Korngold, Die tote Stadt als szenisches Potpourri an der Komischen Oper

Bei Theatermacher Carsen geht es drastisch und plakativ zu. Hier ist der um seine jung verstorbene Frau Trauernde kein Hypochonder, kein von Melancholie und Depressionen Geschlagener, sondern ein hochgradiger Psychopath, der den Totenkult um die  verstorbene Marie zur Obsession, zur Paranoia gesteigert hat und unter  Betreuung von Arzt und Krankenschwester sich in der Klinik das einstige gemeinsame Schlafzimmer  wieder eingerichtet, es mit Ikonen der Erinnerung  ausgeschmückt, sich eine „Kirche des Gewesenen“ geschaffen hat.

Einen Wendepunkt im Totenkult und in den exzessiven Wahnvorstellungen bildet die Begegnung, die wahnhafte Begegnung, mit einer anderen Frau. Marietta, in der der Kranke eine Wiedergängerin der Toten zu erkennen meint, eine zu seinem Entsetzen höchst irdische, erotisierende und ihn sexuell  faszinierende Variante seiner Marie. … → weiterlesen

Machtspiele mit List und Gewalt. Händel zu Besuch bei Mussolini und seiner Clique. Agrippina am Theater an der Wien

Händel und Grimani und Carsen, der Musiker, der Librettist, der Theatermacher, sie alle kennen ihren Machiavelli und wissen von ihm, dass Macht sich nur mit List und Gewalt erobern und bewahren lässt. Doch anders als der kühle Florentiner begnügen sie sich nicht mit der Beschreibung und Analyse politischer Machtstrukturen. Sie ziehen den Machtwahn ins Lächerliche, vernichten die  Figuren in der Satire. Regisseur Robert Carsen geht noch einen Schritt weiter: nicht nur dass er die Satire aktualisiert, er ändert das Finale und kehrt zu Machiavelli zurück. Es gibt bei ihm keinen Komödienschluss, geschweige denn ein lieto fine. Der neue Machthaber greift zur Sicherung seiner Herrschaft als erstes zur Gewalt, lässt den möglichen Rivalen, die Geliebte, die ihn verschmäht und die Person, die ihn mit ihren Intrigen die Macht verschafft hat, umbringen.

Die machiavellistischen Gewalt- und Ränkespiele, die das Libretto in eine ferne Vergangenheit, in das Rom des Kaisers Claudius, verlegt hatte, transferiert die Regie in das faschistische Rom der Dreißigerjahre, macht aus dem Kaiser Claudius den Duce Mussolini , einen leicht vertrottelten älteren Herrn, den statt der Machtspiele nur die Sexspiele mit seinen Girls und die theatralische Selbstinszenierung für die Kameras interessieren. Ein Duce, der die Machtspiele seiner Gattin Agrippina, der die Ränke, Intrigen und Komplotte, mit denen diese ihren Sohn Nerone als Nachfolger des Duce aufbauen will, nicht im Geringsten durchschaut bzw. der diese gar nicht durchschauen will. Ihn interessieren nur seine Gespielinnen. Und die Folgen sind fatal.… → weiterlesen

„Da hat’s Nächte!“ – in Aix-en-Provence mit einer Wiederaufnahme von Brittens Sommernachtstraum

Ein glühend heißer Tag. Selbst um zehn Uhr abends steht die Hitze noch im Innenhof des ehemaligen bischöflichen Palais. Auf der Bühne bei heraufziehender Dämmerung mit Brittens sanfter, zu Beginn kaum hörbarer, Kammermusik Märchen- und Traumtheater: Robert Carsens berühmte Inszenierung des Midsummer Night’s Dream vom Jahr 1991.

Ein Spiel der Farben, des Lichts, der Bewegung, der Kostüme. Ein Traum, in dem, so will es bekanntlich die Grundstruktur des Traumdiskurses, alles möglich, alles denkbar ist – bis hin zur Groteske und zur Ironie. Da hängt der Himmel, nein, nicht voller Geigen, voller Betten. Da träumt die schöne Königin der Feen mit dem hässlichen Esel, da löst der Traum die Verwicklungen , in die sich scheinbar heillos die beiden Liebespaare verstrickt sahen. Da versöhnen sich alle Paare, da spielen die Handwerker Klamotte.

Ein Stück, in dem die Regie alle ihre „Kunstfertigkeiten“ aufbieten, zeigen kann, wie sie souverän Märchen, Träume, Komödie, die schon Mal die Tragödie streift und eben auch Clownerien und Klamotte in großes Theater zu   verwandeln weiß.

Dass ein so exzellenter Theatermacher wie Robert Carsen mit all diesen Vorgaben zu spielen weiß und in einer südlichen Sommernacht Le Songe d’une Nuit d’Été grandios in Szene zu setzen weiß, wer wollte dies bezweifeln.

Und dass überdies alle Rollen angemessen besetzt sind, das ist in Aix-en-Provence selbstverständlich.

Wir sahen die Aufführung am 04. Juli 2015.