Ein Klischee Salat. Tatjana Gürbaca inszeniert Lohengrin am Aalto Musiktheater Essen.

Es war wohl ein glücklicher Zufall, dass wir im  Abstand von nur wenigen Tagen gleich drei Lohengrin Inszenierungen sehen konnten, drei Regiearbeiten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In Hamburg Konwitschnys schon klassisch gewordene Inszenierung, die als Posse im wilhelminischen Gymnasium beginnt und als beginnende Tragödie auf dem Sammelplatz der Rekruten, die  in den ersten Weltkrieg ziehen werden, endet.  In St. Gallen lässt Vincent Boussard alle politischen Referenzen beiseite, verzichtet auf die „Ästhetik des Hässlichen“, konzentriert sich ganz auf den Traumdiskurs und macht aus der Lohengrin Geschichte Elsas Traumerzählung.

Und in Essen? Da ist eine Grundkonzeption nur schwer erkennbar. Da ist die Inszenierung konzeptionslos bis zur Peinlichkeit. Alles, was der Regisseurin und ihrem Team so gerade durch den Kopf geht, durch die Birne rauscht,  wird auf die Bühne gestellt. Deutscher Wald, Bundeswehr als verschlafener Haufen, Epileptiker bei der Parade, religiöser, wahlweise  deutschnationaler Fanatismus, Messdiener nebst übergewichtigem Pfarrer im Ornat, vor Uniformträgern in Verzückung geratene Damen , Angst vor der Hochzeitsnacht beim Manne, Sexgier versteckt hinter „züchtigem Gebaren“ bei der Frau, Selbstmord aus Verzweiflung und Liebeskummer,  Lohengrin als schmucker Offizier, wahlweise als Märchenerzähler und dümmlichen  Looser, Gottfried der Schwan, Opfer eines Kinderschänders, vielleicht auch der uneheliche Sohn  Lohengrins,  Ortrud von Kostüm und Maske eine Melange aus Merkel und von der Leyen, Telramund ein Schlägertyp aus den besseren Kreisen, der König eine De Maizière Karikatur, der Heerrufer eine Charge aus einem Nazifilm usw. Ärgerliche  Stimme aus dem Publikum: „Scheiss Inszenierung, aber die Frau ist teuer“ Freundliche Stimme aus dem Publikum : „Alles Nonsens“. Sagen wir es lieber ganz freundlich: die Regie hat so ziemlich alle Klischees bedient und damit einem Teil des Publikums Freude und Vergnügen „bereitet“ und einem anderen Ärger und Verdruss und das schon gleich zur Ouvertüre : zur einleitenden Gralsmusik wird hinter dem Zwischenvorhang herumgetrampelt und werden lautstark Kulissen verschoben, um die Vorgeschichte ( wir im Publikum kennen sie alle )  und  die mögliche  Nachgeschichte („nur ein Jahr an Deiner Seite“) möblieren zu können. Ärgern wir uns nicht: die Regie wollte wohl nur ein weiteres Klischee zitieren: die  Parodie des Heiligen.  —

Ein verlorener Abend, wenn die Hauptrollen nicht so brillant besetzt wären.  Jessica Muirhead ist von Stimme und Spiel und Bühnenerscheinung her eine grandiose und zugleich anrührende Elsa. Und der Lohengrin in der Person des Daniel Johansson weiß durchaus mitzuhalten. Wir sahen die Premiere am 4. Dezember 2016.

Placida la musica. Zwischen Minimalismus und Actionfilm die Szene. Idomeneo am Aalto-Musiktheater Essen

Die Szene in den ersten beiden Akten: ein  felsiger Strand, Schiffsbrüchige im grünen Mao-Look liegen erschöpft am Ufer. Die Bewohner des Landes im blauen Mao-Look sammeln sie auf, treiben sie zusammen. Idomeneo ein Traumatisierter und schwer Gestörter, Idamante ein edler Gutmensch, Elektra mit wirrem schwarzem Haar eine Kinderschreck Hexe, Ilia ein sanfter blonder Engel, das Volk eine verängstigte Schar Unterdrückter. Aufgelockert wird dieser müde Pseudorealismus durch die Geistererscheinung des Gottes Neptun, der als antike Götterstatue  aus dem Wasser auftaucht.

Doch das ist alles gar nicht so wichtig, stört kaum, lenkt nicht von der Musik ab, einer Musik, die sanft, sagen wir einfach: wunderschön zelebriert wird. Hinzu kommt, dass in allen tragenden Rollen herausragend und brillant gesungen wird.  Ein Fest der Mozartstimmen: allen voran Ilia in der Person der Julia Kleiter mit ihrer so glockenklaren Stimme.

Ja, wenn doch nur das Produktionsteam auch im dritten Akt der Musik die Dominanz überlassen und mit seinen Gewaltorgien nicht den Zauber des Abends zerstört hätte. Im dritten Akt da setzt sich die Regie im Wortverstande gewaltsam in Szene. Da haust die Königsfamilie in einem zerschossenen Bunker, da dürfen Ilia und Idamante  Pyramus und Thisbe spielen und, durch eine Ziegelwand getrennt, sich ihrer Liebe versichern. Da lyncht eine auf gebrachte gewalttätige Masse den Minister, der sie vergeblich zu beruhigen sucht, da hetzt der Oberpriester die Masse auf, da verprügeln die Rädelsführer den König und zu guter Letzt, als wir schon beim lieto fine sind, da ersticht die rasende Elektra nicht sich selbst, sondern den König.  Eine Variante des Idomeneo-Mythos, die der Regie noch die finale Möglichkeit bietet,  eine antike Totenfeier mit  Fackeln und brennendem Sarg vorzuführen.

Schade. Aus einem sanften und schönen Mozartabend ist nach der Pause ein Bürgerkriegsspektakel mit Mozart Soundtrack geworden.

Wir sahen die Aufführung am 20. Dezember. Die Premiere war am 29. November 2014.

 

 

Im Hospiz zu Charenton. Eine Wiederaufnahme von Barrie Koskys Fliegendem Holländer am Aalto-Musiktheater in Essen

Wagner in der Kapelle nebst Kanzel und Beichtstuhl, Wagner als Wirtschaftskrimi und jetzt Wagner unter Irren in  De Sades Hospiz zu Charenton. Wagners Opern halten so ziemlich alles aus, sind – vornehm gesagt – ‚offene Kunstwerke‘, sind auf Polyvalenz angelegt. Weniger vornehm gesagt: Wagners Opern sind eine Spielwiese für unsere Theatermacher, auf der sie ihre ‚Kunstfertigkeiten produzieren‘ können.

Wir haben zufällig binnen einer Woche drei ambitiöse Wagner-Inszenierungen gesehen: einen Tannhäuser in Freiburg, bei dem die Regie plakativ die Überlagerung von Christlichem und Paganem herausstellte und dabei dem Libretto noch relativ nahe blieb, einen Lohengrin in Düsseldorf als Wirtschaftskrimi in der Hochfinanz, bei dem vom traditionellen Lohengrin nichts mehr übrig blieb. Und jetzt in Essen einen Fliegenden Holländer, bei der Sentas Wahnvorstellungen radikal ernst genommen werden und wo diese konsequenterweise in einer psychiatrischen Klinik lebt, vulgo: im Irrenhaus. Zusammen mit den anderen Irren  spielt sie noch einmal ihre Geschichte, ein Stück, das zwei Herren, die aus Logen zusehen, wohl inszeniert haben.… → weiterlesen

Die Eingeschlossenen oder die Weise von der Klaustrophobie. Eine Wiederaufnahme von Tristan und Isolde am Aalto Musiktheater in Essen

Braucht man für Barrie Koskys Tristan eine Gebrauchsanweisung, eine Betriebsanleitung? Vielleicht doch. Inszenierung und Bühnenbild irritieren den Zuschauer: in einem schwarzen Vorhang findet sich auf halber Höhe ein nach hinten, oben und an den  Seiten abgeschlossener kleiner Raum, möbliert im großbürgerlichen Stil des 19. Jahrhunderts. Vielleicht auch im Stil eines Luxusabteils im Orientexpress (Man erinnert sich: laut Libretto befinden sich die Akteure im ersten Aufzug auf einer Reise). Auch im zweiten und dritten Aufzug bleibt man in diesem Kasten. Im zweiten, da ist er unmöbliert und dreht sich noch dazu langsam um die eigene Achse.  Kindergartensymbolik.  Im dritten Aufzug, da ist der Kasten spärlich möbliert. Für den moribunden Tristan braucht man halt einen Sessel. Immerhin darf sich zum Sterben ein exaltierter Tristan  aus der Puppenstube stürzen, auf dass ihm Isolde in der Pose einer Mischung aus Mater Dolorosa und Maria Magdalena die berühmte Schlussweise singe.… → weiterlesen

„La froide majesté de la femme stérile ». Stefan Soltesz verabschiedet sich vom Aalto-Musiktheater mit einem grandios zelebrierten Richard Strauss

 

Sechzehn Jahre lang war Maestro Soltesz Intendant und GMD in Essen, und in all den Jahren hat er immer wieder mit seinen Wagner- und Strauss-Interpretationen  das Publikum fasziniert und begeistert. „Sei außer Sorg“. Ich reproduziere jetzt keine Feuilletonkritiker-Poesie und sage  nicht, seine Musik sei filigran, subtil, einfühlsam, dynamisch, kongenial, klangschön, reich an Farbnuancen. All diese durch ständigen Gebrauch zu Floskeln und Leerformeln gewordenen Attribute lassen wir beiseite. Ich sage nur: für mich als simple Opernbesucherin gehört Maestro Soltesz zu den wenigen Dirigenten, die Sinn für Sinnlichkeit in der Musik haben und zugleich Ästheten sind und die die Sinnlichkeit und Schönheit der Musik ihrem Publikum zu vermitteln wissen und es begeistern und verzaubern können. Und all dies geschieht ganz ohne Starallüren und Eitelkeiten.… → weiterlesen

Trash oder Satire mit Märchentheatereinlagen? Parsifal am Aalto- Musiktheater in Essen

Dass man den Parsifal auch billig aktualisieren kann, ihn auf der Intensivstation eines heutigen Hospitals beginnen und ihn unter Pennern auf der Müllhalde enden lassen kann, dies erfuhren wir im Aalto-Musiktheater in Essen. Bot der Kölner Parsifal ein faszinierendes und anspruchsvolles Spektakel,  bietet der Essener Parsifal einen tristen und langweiligen Abend. Es sei denn, man begreift die Inszenierung  als Satire mit Märchentheatereinlagen. Die Intensivstation ist eine Art Slapstick Krankenhaus, in dem der Patient Amfortas immer wieder aus dem Bett fällt und von den herbei stürzenden Pflegern  wieder gewaschen und verbunden und neu ins Bett gesteckt wird und wo der Chefarzt nebst Gefolge bedeutsam dreinschaut. In der Lounge   des Hospitals lümmelt  sich ein gelangweilter Gurnemanz, dessen Geschichten die Internatsschüler (bei Wagner die Knappen) als Einschlafmittel genießen. Kundry – und jetzt kommt das Märchenmotiv – tritt gleich in doppelter Gestalt auf – ein Regieeinfall, der der Sängerin der Kundry im zweiten Akt erhebliche Entlastung bringt, übernimmt doch die Zweit-Kundry das non-verbale Verführungstheater. Das liturgische Geländespiel im Finale des ersten Akts  fällt  für den Zuschauer aus. Das Geschehen ereignet sich – für ihn unsichtbar – im geschlossenen Krankenhaus-Container, ein Konklave ganz besonderer Art, das dem Regisseur erhebliche  Entlastung bringt. Und die Müllhalde? Dorthin hat man wohl für den dritten Akt die Intensivstation entsorgt. Gurnemanz kriecht unter einer Matratze hervor. Ein paar  als Clochards verkleidete Statisten   treiben sich als Lumpensammler herum .Der Chor der Gralsritter singt aus dem Off. Nein, nicht immer: im Finale sind sie allesamt auf der Vorderbühne versammelt, nehmen einer kleinen Person das Lumpenkostüm ab. Welch Wunder, ein Knabe kommt unter den Lumpen hervor und hat eine Leuchtkugel in der Hand. „Enthülle den Gral“. Hätten sie ihn doch lieber verhüllt gelassen. Was unser blonder Parsifal mit seiner Lanze auf der Müllhalde eigentlich soll, das wissen wir noch aus anderen Inszenierungen.… → weiterlesen