Eine Parodie auf Opas Dekorationstheater? Oder Heine und Wagner im edlen Streite ? Der Fliegende Holländer an der Oper Leipzig

Nein, die Oper Leipzig hat keine Zeffirelli Produktion in einem italienischen Opernmuseum ausgegraben. Auch bei der Bregenzer Seebühne ist man  wohl nicht vorstellig geworden.

Die Materialschlacht, das große Spektakel, ist eine Eigenproduktion, ein Hochfest der Bühnentechniker, die mit Szenenapplaus gefeiert werden. Dass die müde, abgestorbene Mannschaft des Holländers in einem historischen Segelschiff auffährt, in einer morschen Barke, die ihre blutroten Segel bis weit in die ersten Parkettreihen ausbreitet, dass die Matrosen mit Pulver und Feuer die Schiffskanonen für ein Gefecht vorbereiten, einen solches Piratenstück, ein solches Spektakel weckt auch die müden Greise im Publikum auf. Ja, und wenn dann Jäger Erik mit der Flinte in der Hand Senta aus  dem Bett des Holländers, des bleichen Mannes, der schon halb verwest ist, zerrt,  dann wird es richtig gruselig. Nicht genug damit. Im Erlösungswahn fährt Senta in den Bühnenhimmel, stürzt sich hinunter („treu bis in den Tod“),  – und der gespenstige Holländer zerfällt zu Asche, und Flintenmann Erik hat im Wortverstande das Nachsehen.

Selbstmord, Zerfall zu Asche, filmreifes Piratenschiff sind beileibe nicht die einzigen spektakulären Szenen. Zusammen mit verendeten Walen hat das Meer den Holländer aufs Land geworfen. Die Bäuche der Wale sind voll gestopft „mit Schätzen aller Art“. Im zweiten Aufzug gibt’s eine halbe Hundertschaft von Spinnerinnen in historischen Kostümen aus dem frühen 19. Jahrhundert zu besichtigen. Jäger Erik trägt als Zeichen seiner Zunft einen erlegten Hasen auf dem Rücken. Das angebliche Bild des Holländers, das Senta mit sich herumträgt, ist eine schwarze leere Tafel. Ja, und jetzt wissen es alle im Publikum: Sentas Erlösungswahn ist nur die Spinnerei einer überdrehten jungen Frau.… → weiterlesen

Bayreuther Festspiele 2018. Ein ganzer Flop, ein halber Flop und eine Sternstunde des Musiktheaters

Seien wir doch froh, dass wir überhaupt Karten bekommen haben und halten wir uns mit kritischen Bemerkungen zurück. Nehmen wir einfach in Kauf, dass der Fliegende Holländer abgespielt und desaströs war, die Walküre – wir kannten sie schon aus dem Ring Zyklus – nicht minder abgespielt und in ihrer musikalischen Interpretation etwas eigenwillig war. Begeistern konnte allein der Tristan. Auch ihn hatten wir schon im vorigen Jahr erlebt (Siehe dazu unsere Bemerkungen im Blog). Die diesjährige Aufführung war, wenn das überhaupt möglich ist, in Orchesterklang, Stimmen und Szene noch brillanter und ergreifender als die vom vergangenen Jahr. Vielleicht lag es daran, dass mit Andreas Schager ein jugendlich wirkender Tristan sang und agierte.

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Theater im protestantischen Gemeindesaal oder doch ’fiktionale Wirklichkeit‘? Olivier Py inszeniert einen szenisch recht heterogenen Fliegenden Holländer in der Urfassung am Theater an der Wien

Das Programmheft liefert gleich auf der ersten Seite die Gebrauchsanweisung: „Senta, die Tochter des Kaufmanns Donald, ist tot. Sie war einem Fremden  gefolgt, den ihr Vater für sie als Bräutigam mitgebracht hatte – für ihn glaubte sie sterben zu müssen, um ihn zu erlösen. War das Wahn oder Wahrheit? Oder nur Theater?“

Die freundliche pädagogische Anleitung zum Verständnis der Inszenierung – wir spielen Theater auf dem Theater und lassen das Geschehen zwischen Traumgespinst und ‚Realität‘ oszillieren –  unterschlägt gleich zwei wesentliche Aspekte der Inszenierung. … → weiterlesen

Im Hospiz zu Charenton. Eine Wiederaufnahme von Barrie Koskys Fliegendem Holländer am Aalto-Musiktheater in Essen

Wagner in der Kapelle nebst Kanzel und Beichtstuhl, Wagner als Wirtschaftskrimi und jetzt Wagner unter Irren in  De Sades Hospiz zu Charenton. Wagners Opern halten so ziemlich alles aus, sind – vornehm gesagt – ‚offene Kunstwerke‘, sind auf Polyvalenz angelegt. Weniger vornehm gesagt: Wagners Opern sind eine Spielwiese für unsere Theatermacher, auf der sie ihre ‚Kunstfertigkeiten produzieren‘ können.

Wir haben zufällig binnen einer Woche drei ambitiöse Wagner-Inszenierungen gesehen: einen Tannhäuser in Freiburg, bei dem die Regie plakativ die Überlagerung von Christlichem und Paganem herausstellte und dabei dem Libretto noch relativ nahe blieb, einen Lohengrin in Düsseldorf als Wirtschaftskrimi in der Hochfinanz, bei dem vom traditionellen Lohengrin nichts mehr übrig blieb. Und jetzt in Essen einen Fliegenden Holländer, bei der Sentas Wahnvorstellungen radikal ernst genommen werden und wo diese konsequenterweise in einer psychiatrischen Klinik lebt, vulgo: im Irrenhaus. Zusammen mit den anderen Irren  spielt sie noch einmal ihre Geschichte, ein Stück, das zwei Herren, die aus Logen zusehen, wohl inszeniert haben.… → weiterlesen

Die Erlösung findet nicht statt. Etwas zu viel alter Zopf beim Fliegenden Holländer an der Oper Köln

Heute Morgen liest man in der Kölner Presse, dass nach langem Streit und viel Kungelei Kulturbehörde und Intendanz sich doch noch geeinigt hätten: in Köln wird es auch in der nächsten Spielzeit Musiktheater geben – von der Macht des Schicksals bis hin zu den Gezeichneten. Alles, was Intendant Uwe Laufenberg aufs Programm gesetzt hatte. Nur ein bisschen sollte er halt doch sparen: eine halbe Million im laufenden Betrieb. Ein Finale frei nach Tannhäuser: Uwe. Du bist erlöst. Heilige Cäcilia bitte für ihn.

Und es braucht in der Tat viel der Fürbitten für unseren so gebeutelten Kölner Intendanten. Gestern Abend beim Fliegenden Holländer im Opernhaus  am Offenbachplatz gab es keine Erlösung von der Kölner Opernkrise.… → weiterlesen

David Lynch Variationen? Geschichten aus der amerikanischen Depression der 30er Jahre? Nachtseiten der Romantik? Der fliegende Holländer am Opernhaus Dortmund

Opernhaus-Dortmund

Opernhaus Dortmund

David Lynch Variationen? Geschichten aus der amerikanischen Depression der 30er Jahre?  Nachtseiten der Romantik? Der fliegende Holländer am Opernhaus Dortmund

Die gerade vor einem Monat herausgekommene Neuinszenierung von Jens-Daniel Herzog wurde in den Feuilletons sehr gerühmt. Nicht unbedingt ein Grund, um nach Dortmund zu fahren, zumal die Zürcher Arbeiten des Regisseurs Herzog mich nicht gerade begeisterten. Doch Neugierde und Lust auf Wagner sind größer als alle Bedenken – und der erste Eindruck, ich meine nicht die Inszenierung, ist Enttäuschung. Das so schick-moderne Opernhaus in Dortmund  ist ein Ort der Tristezza. Sind wir die einzigen, die heute Abend Wagners „romantische Oper“ hören wollen?  Geht es uns vielleicht  wieder so wie vor ein paar Jahren in Duisburg, als man  dort an einem heißen Sommerabend  den dritten Akt des Tristan  praktisch für uns alleine spielte? Nicht doch. In einer halbdunklen Ecke hat sich ein Grüppchen durchweg älterer Besucher versammelt, um den Einführungsworten eines Dramaturgen zu lauschen. Und schließlich füllt sich der Saal doch zu einem Drittel. Oder vielleicht sogar zur Hälfte. Und einige Herren haben sogar Blumensträuße dabei. Es gibt sie also doch noch in Dortmund: die Opernfans und die Wagnerianer, wenngleich sie fast alle so ziemlich in die Jahre gekommen sind. … → weiterlesen