Eine Parodie auf Opas Dekorationstheater? Oder Heine und Wagner im edlen Streite ? Der Fliegende Holländer an der Oper Leipzig

Nein, die Oper Leipzig hat keine Zeffirelli Produktion in einem italienischen Opernmuseum ausgegraben. Auch bei der Bregenzer Seebühne ist man  wohl nicht vorstellig geworden.

Die Materialschlacht, das große Spektakel, ist eine Eigenproduktion, ein Hochfest der Bühnentechniker, die mit Szenenapplaus gefeiert werden. Dass die müde, abgestorbene Mannschaft des Holländers in einem historischen Segelschiff auffährt, in einer morschen Barke, die ihre blutroten Segel bis weit in die ersten Parkettreihen ausbreitet, dass die Matrosen mit Pulver und Feuer die Schiffskanonen für ein Gefecht vorbereiten, einen solches Piratenstück, ein solches Spektakel weckt auch die müden Greise im Publikum auf. Ja, und wenn dann Jäger Erik mit der Flinte in der Hand Senta aus  dem Bett des Holländers, des bleichen Mannes, der schon halb verwest ist, zerrt,  dann wird es richtig gruselig. Nicht genug damit. Im Erlösungswahn fährt Senta in den Bühnenhimmel, stürzt sich hinunter („treu bis in den Tod“),  – und der gespenstige Holländer zerfällt zu Asche, und Flintenmann Erik hat im Wortverstande das Nachsehen.

Selbstmord, Zerfall zu Asche, filmreifes Piratenschiff sind beileibe nicht die einzigen spektakulären Szenen. Zusammen mit verendeten Walen hat das Meer den Holländer aufs Land geworfen. Die Bäuche der Wale sind voll gestopft „mit Schätzen aller Art“. Im zweiten Aufzug gibt’s eine halbe Hundertschaft von Spinnerinnen in historischen Kostümen aus dem frühen 19. Jahrhundert zu besichtigen. Jäger Erik trägt als Zeichen seiner Zunft einen erlegten Hasen auf dem Rücken. Das angebliche Bild des Holländers, das Senta mit sich herumträgt, ist eine schwarze leere Tafel. Ja, und jetzt wissen es alle im Publikum: Sentas Erlösungswahn ist nur die Spinnerei einer überdrehten jungen Frau.

Man täte Michiel Dijkema, in Personalunion für Inszenierung und Bühne verantwortlich, sicherlich Unrecht, wenn man ihn zum Theatermacher aus der Welt von Vorgestern machen würde.  Natürlich  ist er kein naiver Dekorationskünstler. Er sucht seine Materialschlacht mit Ironie aufzulösen – mit der Ironie eines Heinrich Heine. In diesem Sinne will er nicht nur Wagners  Holländer, sondern zugleich dessen Subtext, Heines Variante des Mythos („Aus den Memoiren des Herren von  Schnabellewopski“)   in Szene zu setzen und zwar so, dass sich beide Texte überlagern.

Damit jeder im Publikum diese Grundkonzeption auch mitkriegt, fallen zur Ouvertüre überdimensionierte Pergamentseiten mit den entsprechenden Heine- Texten vom Bühnenhimmel (Wenn man so will: Schautafeln in der Brecht Manie).  Und gleich im ersten Aufzug überlagert sich eine Heine Episode mit einer Wagner Sequenz. Zum Lied des Steuermanns tritt die blonde holländische Maid, die schon den Erzähler bei Heine verführt hatte, auf, versucht es mit denselben Mitteln beim Steuermann. Im Finale, beim Fest der Matrosen, wird sie ihn sich ganz gefügig machen.

Heines und Wagners  Varianten des Holländer Mythos ineinander übergehen zu lassen, das ist zweifellos eine originelle Grundkonzeption. Doch ob das Publikum das auch verstanden hat? War es nicht zu sehr von der Materialschlacht gefangen? Hat diese  den ironischen Ansatzpunkt  vielleicht nicht zum Tragen kommen lassen?

Wie dem auch sei. Es war ein spannender und unterhaltsamer Abend. Doch die Palme gebührt nicht der Regie und nicht der Bühnentechnik. In Erinnerung bleiben nicht das Maschinentheater und nicht die so stringenten Verweise auf Heinrich Heine. Was den Abend primär auszeichnete, das war eine grandiose Senta in der Person der Christiane Libor. Wie sie so ganz ohne sichtbare Anstrengung, ohne je schrill zu werden eine vom Wahn bestimmte und zugleich liebende Senta gestaltet, das war ganz große Klasse, das war höchst beeindruckend.

Wir besuchten die Aufführung am 17. Mai 2019. Die Premiere war am 30. März 2019.