Eine Parodie auf Opas Dekorationstheater? Oder Heine und Wagner im edlen Streite ? Der Fliegende Holländer an der Oper Leipzig

Nein, die Oper Leipzig hat keine Zeffirelli Produktion in einem italienischen Opernmuseum ausgegraben. Auch bei der Bregenzer Seebühne ist man  wohl nicht vorstellig geworden.

Die Materialschlacht, das große Spektakel, ist eine Eigenproduktion, ein Hochfest der Bühnentechniker, die mit Szenenapplaus gefeiert werden. Dass die müde, abgestorbene Mannschaft des Holländers in einem historischen Segelschiff auffährt, in einer morschen Barke, die ihre blutroten Segel bis weit in die ersten Parkettreihen ausbreitet, dass die Matrosen mit Pulver und Feuer die Schiffskanonen für ein Gefecht vorbereiten, einen solches Piratenstück, ein solches Spektakel weckt auch die müden Greise im Publikum auf. Ja, und wenn dann Jäger Erik mit der Flinte in der Hand Senta aus  dem Bett des Holländers, des bleichen Mannes, der schon halb verwest ist, zerrt,  dann wird es richtig gruselig. Nicht genug damit. Im Erlösungswahn fährt Senta in den Bühnenhimmel, stürzt sich hinunter („treu bis in den Tod“),  – und der gespenstige Holländer zerfällt zu Asche, und Flintenmann Erik hat im Wortverstande das Nachsehen.

Selbstmord, Zerfall zu Asche, filmreifes Piratenschiff sind beileibe nicht die einzigen spektakulären Szenen. Zusammen mit verendeten Walen hat das Meer den Holländer aufs Land geworfen. Die Bäuche der Wale sind voll gestopft „mit Schätzen aller Art“. Im zweiten Aufzug gibt’s eine halbe Hundertschaft von Spinnerinnen in historischen Kostümen aus dem frühen 19. Jahrhundert zu besichtigen. Jäger Erik trägt als Zeichen seiner Zunft einen erlegten Hasen auf dem Rücken. Das angebliche Bild des Holländers, das Senta mit sich herumträgt, ist eine schwarze leere Tafel. Ja, und jetzt wissen es alle im Publikum: Sentas Erlösungswahn ist nur die Spinnerei einer überdrehten jungen Frau.… → weiterlesen

Hommage an den Nachsommer. Der Leipziger Ring – Eine Wiederaufnahme im April 2018

Vor fünf Jahren, im Wagner-Jahr 2013, als wir die ersten Teile des neuen Leipziger Rings sehen und hören konnten, waren wir sehr angetan.  Alles, so meine ich mich  zu erinnern, stimmte damals. In Musik und Gesang, Tanz und Szene. Höchst gelungene Aufführungen waren damals zu erleben. (vgl. hierzu unsere damaligen Bemerkungen im Blog).

Und jetzt bei der Wiederaufnahme, da muss man so manche Enttäuschung hinnehmen. Die Enttäuschungen – sagen wir es gleich – beziehen sich nicht auf die Inszenierung, nicht auf Regie und Ausstattung. Rosamund Gilmore verzichtet wohltuend auf alle ideologischen Botschaften, erzählt nicht dunkel raunend eine Geschichte vom Anfang der Welt, sondern die zeitlose Geschichte von Macht und Raub, Gewalt und Betrug, von Lust und Leid und, um es ganz simpel zu sagen, die Geschichte von gescheiterten Beziehungskisten.

Spielort im Rheingold – daran erinnert man sich schnell – sind  die Katakomben eines klassizistischen Palasts. Vielleicht auch eine im Dämmerlicht gehaltene Unterwelt. Ein Bühnenbild, das die Zeitlosigkeit des Geschehens evoziert und diese doch mit Referenzen auf Geschichte, Literatur und Malerei aufbricht. Alberich verweist von Kostüm und Maske auf Shylock, Wotan bei seinem ersten Auftritt auf Napoleon in dem berühmten Gemälde von seiner Kaiserkrönung, Fricka ist Alice im Wunderland, die kleinen Götter sind schwule Dandys aus der Wagner-Zeit usw. Die Tanzgruppe, die Musik und Geschehen in die Sprache des Körpers überträgt und damit eine weitere Dimension kreiert, mimt mal gesichtslose Lemuren, mal die Arbeitssklaven der Nibelungen, mal verrichten sie in tänzerischen Bewegungen die Arbeit der Bühnentechniker. Die Inszenierung fasziniert noch immer und hat keinerlei Patina angesetzt. Und das gleiche gilt auch für die Walküre mit ihren Referenzen auf den Krieg und auf faschistische Heldenfriedhöfe und nicht minder für Siegfried mit den  Referenzen auf Klischees der englischen Schauerromantik. Bei der Götterdämmerung sind wir wohl im Foyer eines großen Theaters, spielen Theater im Theater? Vielleicht.

Doch wir wollen nicht noch einmal von der Inszenierung sprechen. Das Notwendige ist in den Beiträgen zum Rheingold, zur Walküre und zum Siegfried bereits gesagt.

Unsere Enttäuschung bezieht sich – wie schon gesagt – nicht auf die Szene. Sie bezieht sich auf den Musikpart.… → weiterlesen

Ein Sängerfest im antiquierten Götz Friedrich Ambiente. Don Carlo an der Oper Leipzig

Wir hatten zuletzt in der Bastille Oper Don Carlos in der französischen fünfaktigen Urfassung in einer umstrittenen Warlikowski Inszenierung gehört und gesehen. Orchesterklang, Stimmen, Szene alles vom Allerfeinsten. Luxusoper, wie es kaum besser geht.
Selbstverständlich kann man die Oper Leipzig nicht mit der Opéra National in Paris auf eine Stufe stellen. Doch auch in Leipzig stehen brillante Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Auch hier, wenn auch im relativ bescheidneren Rahmen, ereignet sich ein Fest der Stimmen und der Musik. Hier triumphiert und berührt zugleich mit ihrem so schönen und so sanften Sopran Celine Byrne als Elisabetta – und alle anderen Solisten stehen ihr kaum nach. Verdi verlange – so habe ich mal irgendwo gelesen – „große Stimmen“. Hier in Leipzig hört man diese „großen Stimmen“.
Auch hier weiß das Orchester – das Leipziger Gewandhausorchester – geradezu einen Verdi Rausch zu entfesseln. Und wie schon in Paris wird der am Wagner Schaden Leidende beinahe zum Verdi Fan.
Leipzig ist nicht Paris – und dies macht (wohl ungewollt) eine provinzielle Inszenierung überdeutlich. Hier werden die so verbrauchten Opernklischees wieder einmal aneinander gereiht und noch schlimmer mit den Spanien Klischees, wie sie über Jahrhunderte hinweg die Leyenda Negra verbreitet hat, vermengt. (Gemeint ist die politisch motivierte protestantische Antispanien Propaganda). Die Leyenda Negra ist geradezu die Grundkonzeption, an der sich Theatermacher Jakob Peters-Messer orientiert. Alles ist schwarz und düster und eng. Die ausgiebig benutzte Drehbühne mit ihren hohen schwarzen Stellwänden gibt immer nur kleine Räume frei, in die die Handelnden geradezu eingesperrt sind. Die düsteren, machtlüsternen Kirchenmänner sind die Herren, die Diktatoren des Reiches, vor denen selbst der König – im Wortverstande – zu Kreuze kriecht. Das berüchtigte Autodafé kippt in seinem Pseudorealismus ( ungewollt?) in die Groteske um: vor Angst irre gewordene kleine Mädchen in kurzen Nachthemden mit Kerzen in den Händen, Hunderte von Totenköpfen, ein Engelchen , ebenfalls im Nachthemd, spendet Trost, die schnelle Eingreiftruppe (der Bundespolizei?) hält die Massen zurück, der König ein starsinniger Alter, Don Carlos ( als einziger weiß gekleidet) eine Art Harlekin, ein Narr, der auf den König schießen will und dazu einem der Bundespolizisten eine altertümliche Flinte entreißt. Der Marquis Posa als einziger kein Gestörter. Dafür ein aus der Zeit gefallener Schiller Jüngling.
Im Schlussbild darf dann Posa mit gefalteten Händen im offenen Sarg ruhen. Don Carlos darf in eine leere Seitenkapelle klettern und sich dort unter Verwendung von viel Theaterblut erschießen. Eine weitere Groteske.
Ja, wir haben es jetzt alle begriffen: Spanien ist das Land der allmächtigen Inquisition. Eine Inszenierung aus Opas Opernmuseum hat es uns noch einmal eingebläut.
Wie schade, dass eine musikalisch so hoch stehende Aufführung von einer antiquierten Regie konterkariert wurde.
Wir besuchten die Aufführung am 26. November 2017, die vierte Vorstellung in dieser Inszenierung.

Ein monumentaler historischer Schinken. Gounod, Cinq-Mars an der Oper Leipzig

Wie soll man die Geschichte vom jungen, ehrgeizigen und ach so schönen Marquis de Cinq-Mars, dem Günstling des Königs, der gegen den geradezu allmächtigen Kardinal Richelieu zu intrigieren versucht, dabei kläglich scheitert und hingerichtet wird, wie soll man diese Haupt- und Staatsaktion in Szene setzen? Und wenn sich noch dazu das Politische mit dem Privaten überkreuzt und der schöne Marquis nicht nur Politker, sondern auch romantischer Liebhaber ist, der, weil der Kardinal ihm aus politischen Gründen die Hochzeit mit der schönen Prinzessin verwehrt, gegen diesen rebelliert und dabei im Wortverstande den Kopf verliert. Wie soll man diese Melange aus Politik und Passion in Szene setzen?… → weiterlesen

Ein Sängerfest in der Welt von Vorgestern. Lucia di Lammermoor an der Oper Leipzig

Hat man nur drei herausragende Sänger, eine Sopranistin, einen Tenor, einen Bariton, drei Sänger, die in der Kunst des Belcanto bravourös sind, dann ist die Inszenierung eine quantité négligeable. Ein so viele Male nachgesprochener Gemeinplatz, der sich jetzt auch in Leipzig wieder einmal bewahrheitet.

Anna Virovlansky ist eine so brillante und zugleich so anrührende fragile Lucia, dass die szenischen Mätzchen, die die Regie von ihr verlangt, nicht weiter stören. Im ersten Akt muß sie aus einer Art Minnegrotte heraus singen. In der Wahnsinnsszene muß sie, ausgiebig mit Theaterblut beschmiert, auf einem Esstisch hocken und sich immer wieder neu in die weißen Tischtücher einrollen. Der nicht minder brillante Edgardo in der Person des Antonio Poli hat es da schon etwas leichter. Bei seinem großen Auftritt im Finale des zweiten Akts darf er immerhin auf dem Tisch stehen und mit dem Messer herumfuchteln.

Doch spotten wir nicht zu sehr über die Inszenierung. Die so hochberühmte Schauspielerin und Theatermacherin Katharina Thalbach, die die Leipziger Lucia verantwortet, hat halt ein Faible für das Traditionelle, um nicht zu sagen für Omas Dekorationstheater. Da leuchtet der Vollmond über Schottlands blauen Bergen, da wabbeln die Nebelstreifen, da blitzt und donnert es, da drohen Shakespeares Hexen von der Seite, da hat das Gespenst der weißen Frau, der ewige Wiedergänger der vom eifersüchtigen Ehemann erstochenen jungen Frau, einen großen Auftritt. Da gibt es, wie schon gesagt, eine Minnegrotte, die vielseitig verwendbar ist: im ersten Akt noch Lucias Zufluchtsort, wird sie im zweiten Akt zum Kamin, in dem die Scheite lodern und vor dem der böse Bruder seine Intrigen spinnt. In der Hochzeitsszene ist sie die Versenkung, aus der Edgardo plötzlich auftaucht und der Zugang zum Schlafzimmer, in das Arturo Lucia gewaltsam drängt usw. ( Eine kleine Verbeugung vor den Freudianern im Publikum macht sich immer gut).

Erst im Schlussakt gelingt dem Regieteam ein starkes Bild. Die Grotte und alle Türen öffnen sich und geben den Blick frei auf einen Friedhof am See. Im aufsteigenden Nebel schaufeln zwei dunkle Gestalten ein Grab, in das Lucias brennender Sarg versenkt wird.

Schauerromantik nebst Shakespeare Zitaten  und einem Verweis auf eine glückliche Schwester der Lucia, auf Rossinis La Donna del Lago.

Man muß Lucia di Lammermoor nicht unbedingt ins amerikanische Gangsterfilm Milieu versetzen und aus dem unglücklichen Liebhaber einen James Dean Verschnitt machen – wie das in München geschieht. Man braucht die Lucia auch nicht unbedingt  in eine Mater dolorosa auf dem Hexensabbat zu verwandeln – wie das in Amsterdam geschieht. Aber ein bisschen mehr als ein Reiseprospekt vom ländlichen Schottland, in dem Hexen und Gespenster herumhuschen und in dem  zwei Männer im Kilt, der eine aus Leidenschaft, der andere aus Machtgier,  eine fragile junge Frau in den  Wahnsinn treiben, sollte eine Lucia Inszenierung schon bieten. ‚Allein, was tut’s‘. Ich habe Belcanto in Perfektion gehört und ein Sängerfest erlebt. ‚ Der Rest ist Schweigen‘.

Wir sahen die Aufführung am 11. Dezember 2016, die dritte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 26. November 2016.

Ich will Dein Gebieter sein. Arabella an der Oper Leipzig.

„Muss man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die  meiste Begabung hat“. Was einst Richard Strauss mit milder Selbstironie zur Arabella bemerkte, trifft wohl den Sachverhalt. Kitsch oder zumindest Operette ist diese süß rührselige „lyrische Komödie“ um die kühle verarmte Schöne aus der Wienerstadt und den schwerreichen ungehobelten Märchenprinzen aus den slawonischen Wäldern, um das androgyne Mädchen und den bisexuellen Leutnant, um den heruntergekommenen spielsüchtigen Papa und  das groteske Trio der drei Grafen alle Male. „Zweifelhafte Existenzen!“ – der Stoff und die Figuren, aus denen die Komödien sind.… → weiterlesen