Eine Tragédie en musique bei den Royals. Rameau, Hippolyte et Aricie im Opernhaus Zürich

Von Theseus und Phädra, von Hippolythe und Aricie bleiben nur die Namen.Und gleiches gilt für Parzen und Götter. Theatermacherin Jetzke Mijnssen  schlägt eine moderne Variante des Mythos vor und verlegt das Geschehen in die Entstehungszeit der Oper, in die Mitte des 18.Jahrhunderts, und macht aus den Gestalten des Mythos  eine absolutistische Königsfamilie und deren Priester und Höflinge.

Was wir auf der Bühne sehen, ist ein Krimi unter Royals, in dem unter dem Druck des schon abgedankten Königspaars (im Mythos Neptun und Diana) gleich zwei Generationen der königlichen Familie erledigt werden (im Mythos Theseus und Phädra, Hippolythe und Aricie). Die eigentliche Herrschaft liegt in der Hand einer Priesterkaste. Im Mythos sind es die Parzen. In der Variante, die uns die Regie vorschlägt, sind es die Jesuiten.

Gleich zur Ouvertüre beginnt es spektakulär. Die gesamte Königsfamilie – sie alle in der Festagskleidung des 18. Jahrhunderts – ist zum Abendessen versammelt.Da  stürzt Perithous, derLustknabe des Theseus, herein, sucht Zuflucht bei diesem – und wird von den Priestern  abgeschlachtet. Theseus, der König, ist machtlos. Allein die Königinmutter verfügt über eine gewisse Macht. Zumindest kann sie verhindern, dass Aricie, die Geliebte des Kronprinzen Hippolythe, zur Nonne gemacht wird.

In diesem säkularen Ambiente gibt es keinen Hades. Die Hölle, in die Theseus hinabsteigt, sind die Folterkeller der Inquisition. Hier verschlingt auch kein Meeresungeheuer den unschuldigen Hippolythe. Hier soll er auf dem Scheiterhaufen der Inquisition zu Tode kommen.. Ganz wie es das Libretto will, rettet ihn Diana, nein, rettet ihn, so will es die Regiekonzeption, die Königinmutter und macht ihn zum neuen König, zu einem König, der nur als Institution existiert. Aus dem leidenschaftlichen  jungen Mann ist ein kalter Staatsschauspieler geworden. Und Ähnliches geschieht Aricie. In ihrer neuen Rolle als Königin verliert sie jegliche Individualität Theseus endet als gebrochnerer Mann und Phädra – ganz wie es der Mythos will, Im Selbstmord.

Eine tragédie en  musique in einem absolutistischen Königshaus – eine spannend und, wenn man so will – „ergreifend“ in Szene gesetzte Variante eines uns scheinbar so fern  liegenden Mythos.

Und der Musik-Part? Keine Frage, dass in Zürich ein exzellentes Ensemble singt und agiert. Keine Frage, dass die Zürcher Solisten für alte Musik, das  Orchester „La Scintilla“ unter der Leitung von Emmanuelle Haim einen Rameau der Spitzenklasse spielen, Da gibt es nichts zu kritisieren oder gar zu bemängeln. Rameaus Musik mag zwar mitunter fremd klingen. Doch macht sie zugleich Lust darauf, noch mehr davon zu hören, zumal dann , wenn wie jetzt in Zürich ein grandioses  Orchester und brillante Stimmen  Rameau zelebrieren. Nennen wir nur stellvertretend für alle Solisten Stéfanie d‘Oustrac in der Rolle der Phädra, Cyrille Dubois als Hippolythe und Mélissa Petit als Aricie,

“Grämt Sie die lange Fahrt?“  – Nicht bei einem  Highlight, wie er jetzt in Zürich geboten wurde.

Wir besuchten die Aufführung am 3. Juni 2019

I

 

Sex-Klamotte mit Mozart Soundtrack am Opernhaus Zürich. Kirill Serebrennikov inszeniert, bebildert und kostümiert Così fan tutte aus der Ferne – aus dem Hausarrest in Moskau

Theater- und Filmemacher Serebrennikov hält es nicht mit den Liebesdiskursen des Settecento und auch nicht mit den Mythen der Aufklärung von der Manipulierbarkeit des Menschen und deren ironischer Verzerrung ins Parodistische, wie es einst Daponte und Mozart vorschlugen. Er optiert für das Handfeste: für Boulevardtheater, Klamotte, Parodie und Satire des Lifestyle junger Leute von heute und gibt dem Affen so richtig Zucker. Mit anderen Worten: er bedient die Altherrenphantasien über Weiber und Sex und provoziert so manchen der braven Zürcher Abonnenten zu blökendem Lachen. Sie wussten ja schon immer über die die Weiber Bescheid. Die wollen vor allem heißen Sex und als Zugabe Money fürs Shopping. Und wenn sie das nicht kriegen, dann werden sie hysterisch. So mag wohl so mancher im Publikum gedacht haben.

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Schwüle, sinnliche Klangwelten mit angeblichen Hitchcock Assoziationen. Barrie Kosky inszeniert und Vladimir Jurowski dirigiert Die Gezeichneten am Opernhaus Zürich

Auf Hitchcock – auf ihn verweist Kosky im Programmheft – wäre ich nicht gekommen. Die Inszenierung – so schien es mir – setzt ganz andere Akzente. Ihr geht es –  so schien es mir – um die Abgründe der Kunstwelt, in der der Sammler und Kunstmäzen selber zum Objekt wird, nein sich selber dem Künstler als Objekt ausliefert. Hier im konkreten Fall wird der Mäzen von der Malerin manipuliert und vernichtet. Von der Malerin Carlotta, die von ihrem Objekt einen bestimmt Ausdruck verlangt, diesen einfängt und das Objekt, nachdem es seinen Dienst getan hat, vernichtet.

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Sprechgesang und Biedermeierkostüme. Heinz Holliger, Lunea. Lenau – Szenen in 23 Lebensblättern. Eine Uraufführung an der Oper Zürich

Nach dem Parsifal, einer Koproduktion mit dem Liceu in Barcelona, die wir dort vor wohl sieben Jahren schon gesehen und kommentiert hatten und jetzt noch einmal als Wiederaufnahme in Zürich erlebt haben, sollte man nicht unbedingt am Abend darauf zu einer Uraufführung zeitgenössischer Musik gehen. Man neigt dann  „unbewußt“ dazu, den Komponisten und seinen Librettisten gegen den Großmeister des Musiktheaters auszuspielen und ihnen damit Unrecht zu tun.

Holliger verzichtet, wenn ich das als Nichtmusiker richtig gehört habe, auf alle Melodienbögen, auf alles Aufbrausen des Orchesters, auf alle scharfen Dissonanzen. Statt dessen setzt er auf einen Kammermusik – Stil, auf einen eher zurückhaltend begleiteten Sprechgesang und auf ein Verklingen, das nicht Kommunikatives ‚untermalen‘, sondern eher Traumvisionen und Stimmungen einfangen will. Dass es dabei manchmal etwas einschläfernd zugehen kann – der Herr in der Reihe hinter mir war schon nach einer halben Stunde in schnarchenden Tiefschlaf versunken – das ließ sich wohl nicht gänzlich vermeiden.… → weiterlesen

Ein Fest der Musik – ein Fest der Sänger und Geschichten aus dem Totenreich. Idomeneo an der Oper Zürich

Opernhaus Zürich

In der vergangenen Woche hörten wir Mozart bei der alljährlich stattfindenden Mozartwoche in Salzburg und waren nicht unbedingt begeistert. Wie man so oft in Salzburg erfahren kann, wohnen dort Hochkultur und Mittelmäßigkeit recht nah beieinander.Wer einen Mozart der absoluten Spitzenklasse hören möchte, der sollte in diesem Monat nach Zürich fahren. Hier zelebriert unter dem Dirigat von Maestro Giovanni Antonini das Orchestra La Scintilla Mozartklänge, wie man sie kaum schöner und in den tragischen Sequenzen der Oper kaum ergreifender hören kann. Hier erlebt der Zuhörer mit Sängern wie Joseph Kaiser in der Titelrolle, Anna Stéphany als Idamante und Hanna-Elisabeth Müller als Illia – um nur die drei Protagonisten zu nennen – ein Fest der Stimmen, Mozartgesang, wie er schöner und ausdrucksvoller und bewegender wohl kaum möglich ist. Doch lassen wir die so leeren Superlative. Dieses Musizieren und Singen, wie es beim Zürcher Idomeneo geboten wird, das mögen die Musikkritiker mit ihren Lyrismen und Metaphern beschreiben. Ich sage einfach: es hat mir mehr als gut gefallen. Bei diesem Hochfest der Musik hat es die Regie schwer mitzuhalten. Der Kern des Idomeneo Mythos: die rituelle Opferung des eignen Kindes, die ein Gott als Preis für eine erwiesene Wohltat oder als Gehorsamsprobe von einem Menschen verlangt, findet sich mit unterschiedlichen Varianten in biblischen und paganen Texten. Jetske Miynssen hat sich in ihrer Inszenierung für eine aktualisierte Variante des IMythos entschieden und macht aus dem Mythos und implizit aus der opera seria die Psychostudie eines Mächtigen, der sich durch ein unbedachtes Versprechen in eine ausweglose Situation manövriert hat. Rettung für ihn und für seinen Staat kann nur die Hinrichtung des eigenen Sohnes bringen. Die Inszenierung setzt die psychischen Quälen, die vergeblichen Versuche Idomeneos, dem tragischen Konflikt zu entfliehen, in Szene. Eine Gelegenheit für den Protagonisten in der Person des Joseph Kaiser zu zeigen, dass er ein exzellenter Sänger und zugleich ein herausragender Charakterdarsteller ist. Eine Aufgabe, die er so brillant löst, dass gleichsam wie in der griechischen Tragödie der Zuschauer „Furcht und Mitleid“ erfährt.Rettung aus der Qual – und hier folgt die Regie der Tradition des Mythos – bringt die Stimme des Orakels, die die Abdankung des Königs und die Übertragung der Macht auf dem Sohn und seine Geliebte verlangt. Ein traditionelles lieto fine? Mitnichten. Idamante, der Sohn, ist ein gebrochner Mann, der seine seelischen und körperlichen Verletzungen wohl nicht überleben wird – so suggeriert es die Regie. Und nicht nur das. Kann es auch schon deswegen kein lieto fine geben, weil die Handelnden nur Schatten im Totenreich sind? Ein Totenreich, in dem Illia die einzige Überlebende ist ? Gleich zu Beginn steht sie allein in einer Friedhofshalle vor aufgereihten Särgen, und ihre ersten Worte sind ein Anruf an ihre Toten:: „, Padre, germani, addio!Voi foste , io vi perdei.“ Im dritten Akt wiederholt sich die Situation – mit einer Variante – Illia steht vor einem mit Grablichtern geschmückten Sarg, bereitet ihren Selbstmord vor und glaubt sich im Elysium.Solitudini amiche, aure amorose,piante fiorite, e fiori vaghj ! Eine stringente und doch zugleich verwirrende Grundkonzeption, die uns die Regie anbietet: eine Psychostudie im Totenreich. Die Rückschau einer Überlebenden, in deren Erinnerung ein traumatisches Geschehen sich stets wiederholt und die im Selbstmord den letzten Ausweg sucht? Ein offener Schluss?Wir besuchten die Aufführung am 7. Februar, die zweite Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 4. Februar 2018.

 

Die sanfte Domina. Catherine Naglestad triumphiert als La Fanciulla del West an der Oper Zürich

Ein kleines Mädchen ist diese fanciulla nun wirklich nicht. Minnie (nicht zu verwechseln mit der fragilen Mimi) ist eine gestandene Frau, die zugegebermaßen die ‘Liebe als Passion‘ reichlich spät für sich entdeckt und die es dann auch gleich heftig erwischt. Eine resolute Frau, die ihren Outlaw vom Galgen rettet, die eine ganze Horde von handfesten Mannsbildern – allesamt kräftige Minenarbeiter, die sich aufs saufen und raufen verstehen und auch vor der Lynchjustiz nicht zurückschrecken – eine Frau, die im ersten Akt als keusche Wirtin und kundige Bibelleserin und im Finale als sanfte Liebende mit dem Revolver in der Hand die wilden Jungs zu lammfrommen Gutmenschen macht.

In dieser Situation kann der Sheriff, der zu gern den  Outlaw und Rivalen um die Gunst der fanciulla beseitigt und die Dame in sein Bett gezerrt hätte, nur als Verlierer dastehen und mit dem Revolver herum fuchteln. Ob er den Delinquenten und seine Geliebte am Ende doch noch erledigt oder ob er sich selber ins Jenseits befördert, das überlässt Theatermacher  Barrie Kosky, der in Zürich Regie führt, der Imagination de Publikums.

So haben wir denn in Zürich ein Opernmärchen aus dem Wilden Westen gesehen, ein Märchen, in dem, ganz wie es die traditionelle Märchenstruktur verlangt, der Böse leer ausgeht und die Prinzessin ihren Prinzen bekommt, „und es war alles, alles gut!“

Eine Puccini Oper ohne Leiche, eine trotz des amerikanischen Sujets etwas anachronistische Oper noch in der Belcanto Tradition, in der Sopranistin, Tenor und Bariton Paraderollen haben und auch, obgleich sie nicht in großen Arien brillieren, wundersüß singen dürfen (zumindest gilt dies für Sopranistin und Tenor. Der Bösewicht von Bariton muss sich mit dramatischen Ausbrüchen begnügen).

Wenn man Puccini mag, dann ist die von den Theatern gern stiefmütterlich behandelte Fanciulla del West sicherlich ein Hit. Allerdings bedarf es dazu einer Sängerin vom Format der Catherine Naglestad, die mit Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung die Szene ‚dominiert‘. Allegemeine Begeisterung im Publikum, das ja weder von der Musik noch vom Bühnengeschehen sonderlich gefordert war.

Wir sahen am 21. Dezember 2017 die Wiederaufnahme einer Barrie Kosky Inszenierung aus der Spielzeit 2013/14. Die Premiere war am 22. Juni 2014.