Die sanfte Domina. Catherine Naglestad triumphiert als La Fanciulla del West an der Oper Zürich

Ein kleines Mädchen ist diese fanciulla nun wirklich nicht. Minnie (nicht zu verwechseln mit der fragilen Mimi) ist eine gestandene Frau, die zugegebermaßen die ‘Liebe als Passion‘ reichlich spät für sich entdeckt und die es dann auch gleich heftig erwischt. Eine resolute Frau, die ihren Outlaw vom Galgen rettet, die eine ganze Horde von handfesten Mannsbildern – allesamt kräftige Minenarbeiter, die sich aufs saufen und raufen verstehen und auch vor der Lynchjustiz nicht zurückschrecken – eine Frau, die im ersten Akt als keusche Wirtin und kundige Bibelleserin und im Finale als sanfte Liebende mit dem Revolver in der Hand die wilden Jungs zu lammfrommen Gutmenschen macht.

In dieser Situation kann der Sheriff, der zu gern den  Outlaw und Rivalen um die Gunst der fanciulla beseitigt und die Dame in sein Bett gezerrt hätte, nur als Verlierer dastehen und mit dem Revolver herum fuchteln. Ob er den Delinquenten und seine Geliebte am Ende doch noch erledigt oder ob er sich selber ins Jenseits befördert, das überlässt Theatermacher  Barrie Kosky, der in Zürich Regie führt, der Imagination de Publikums.

So haben wir denn in Zürich ein Opernmärchen aus dem Wilden Westen gesehen, ein Märchen, in dem, ganz wie es die traditionelle Märchenstruktur verlangt, der Böse leer ausgeht und die Prinzessin ihren Prinzen bekommt, „und es war alles, alles gut!“

Eine Puccini Oper ohne Leiche, eine trotz des amerikanischen Sujets etwas anachronistische Oper noch in der Belcanto Tradition, in der Sopranistin, Tenor und Bariton Paraderollen haben und auch, obgleich sie nicht in großen Arien brillieren, wundersüß singen dürfen (zumindest gilt dies für Sopranistin und Tenor. Der Bösewicht von Bariton muss sich mit dramatischen Ausbrüchen begnügen).

Wenn man Puccini mag, dann ist die von den Theatern gern stiefmütterlich behandelte Fanciulla del West sicherlich ein Hit. Allerdings bedarf es dazu einer Sängerin vom Format der Catherine Naglestad, die mit Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung die Szene ‚dominiert‘. Allegemeine Begeisterung im Publikum, das ja weder von der Musik noch vom Bühnengeschehen sonderlich gefordert war.

Wir sahen am 21. Dezember 2017 die Wiederaufnahme einer Barrie Kosky Inszenierung aus der Spielzeit 2013/14. Die Premiere war am 22. Juni 2014.

 

 

„Questo è il bacio di Tosca“. Ein großes Opernspektakel in der Bastille Oper

Für diese Pariser Tosca  hat man alles aufgeboten, was gut und teuer, nein, was mehr als gut und teuer ist. Weltstars auf der Bühne: Anja Harteros  als Operndiva Tosca, Bryn Terfel als sadistischer und machbesessener Baron Scarpia, Marcelo Álvarez als republikanisch gesinnter naiver Liebhaber Cavaradossi. Dass dieses ‚Trio celeste‘, mögen sie alle drei auch schon so viele Male ihre Rollen gesungen und gespielt haben, aus Puccinis Musik ein Sängerfest machen, das war zu erwarten. Dass sie so makellos, so brillant, so schön und dazu noch (dies gilt für die Harteros) so anrührend singen, ohne jemals zuckrig zu sein, ohne jemals in den süßen Puccini-Kitsch zu verfallen, das macht diese Pariser Tosca zum Ereignis.

Allerdings muss man Puccini lieben, bereit sein, sich den Emotionen, die seine Musik erweckt, um nicht zu sagen, ‚erregt‘, hinzugeben. Es ist ja auch alles da, was das spätromantische Herz begehrt, was das Mélodrame fordert, was das Publikum an der italienischen Oper immer wieder begeistert: Liebe, Lust und Eifersucht, Sex and Crime, Gewalt und Sadismus. Und dazu eine Personenkonstellation, die alle Beteiligten in Desaster und Tod führt. Eine schöne leidenschaftliche Frau, ein Bösewicht, der der Schönen Gewalt antun will und von dieser erdolcht wird, ein Liebhaber, dem seine Hilfsbereitschaft und Freiheitsliebe zum Verhängnis wird. Mit einem Wort: ein Opernkrimi mit Herz und Schmerz im Übermaß, stets in Gefahr im Kitsch zu ertrinken. Ja, wenn da  Maestro Ettinger die so eingängige Musik nicht stets vom Zuckerguss bewahrte, wenn da nicht die Sängerdarsteller mit ihrer Brillanz diesen Absturz  zu verhindern wüssten. Ja, dann hätte uns wohl nichts vor dem ‘Ertrinken, Versinken‘ bewahrt.… → weiterlesen

„Zu viel! Zu viel“! Zucker, Kitsch, Sängerfest und Auschwitz. „Zu viel! Zu viel!“ Manon Lescaut – eine Wiederaufnahme an der Oper Leipzig

Manon Lescaut – wer Puccini mag, der findet hier alles, was er liebt: Zucker, Schmelz, Belcanto, Verweise auf frühe Werke, variierende Selbstzitate, leicht angedeutete Verweise auf Wagner, Liebe, Lust, Leid, Schmerz, Tod, Jammerjüngling, Femme fragile und Frauenleiche, Kitsch im Übermaß. Ja, wer’s denn mag.

Keine Frage: es ist einfach bewundernswert, wie Nadja Michael die Manon Lescaut singt und spielt: diese Mischung aus scheinbarer Naivität, Sex- und Lebensgier, Sucht nach Geld und Luxus, Sehnsucht nach der großen Liebe. Der arme Chevalier Des Grieux (in der Person des Stefano La Colla), mag er auch noch schön den Latinlover singen und mimen, hat da alle Mühe mitzuhalten.

Da wird nun an diesem Sonntagnachmittag, am Karnevalssonntag, im Leipziger Opernhaus so wundersüß Puccini gesungen und gespielt, dass es eine Lust sein könnte, ja wenn so manche Besucher nicht so unruhig gewesen wären und nicht ständig hätten tratschen müssen, ja und wenn die  Regie, die doch mit leichter Hand und  in ironischer Distanz so schön mit Film- und Opernzitaten begonnen hatte, nach der zweiten Pause nicht die Auschwitz Keule hervorgeholt und damit alle Schwerelosigkeit und jedwede Ironie gewaltsam zerstört hätte. Bei einer solchen Konzeption wird dann schnell aus der Deportation nach Amerika, zu der beim Abbé Prevost die leichten Mädchen verurteilt werden, das Selektieren und Zusammentreiben von allerlei dunkel gekleideten Gestalten  und  von Mädchen vom Gewerbe durch SS Männer auf der Rampe von Auschwitz. Und der französische Kapitän, der Erbarmen mit dem verzweifelten Liebhaber hat, wird dann in seinem Auftreten zum Kollaborateur.  Nicht genug damit. Die Fahrt führt nicht mehr nach Amerika und endet für Manon auch nicht in der Wüste. Sie stirbt in einem riesigen mit rostfarbenem Blech bis zur Decke ausgekleideten geschlossenen Raum, aus dem es keine Rettung gibt. Die Assoziationen sind  überdeutlich: die arme Manon, die doch nur Liebe und Luxus wollte, ein Opfer von SS Schergen? Und der glatzköpfige Lustgreis Geronte, der sie zu seiner Mätresse gemacht hatte, dieser aus dem Simplicissimus entlaufene Spießer, hat sie aus Rachsucht bei den Nazis denunziert? „Zu viel!. Zu viel!“ Oder vielleicht doch noch zu wenig. Die schwatzende Dame hinter mir, hat die die Nazi-Referenz, obwohl sie sich geradezu aufdrängte, erst gar nicht begriffen. Le Havre – kommentierte sie den Schauplatz des dritten Akts. Richtig. Steht ja auch so im Programmheft. Nur nicht im Regiebuch des hochberühmten Theatermachers  Giancarlo del Monaco.

Wir sahen die Aufführung am 2. März 2004. Die Premiere war am 9. März  2008.