Märchenphantasien, Metatheater, Rockeroper und das Ewigweibliche

Der Ring des Nibelungen – Der Weimarer Ring

Wir sind in einer europäischen „Kulturhauptstadt“, wir sind in der deutschen Provinz, wir sind in einer Kleinstadt, in der sich einstens Literaten und Theologen so gut zu vermarkten wussten, dass man ihnen glaubte, sie hätten erkannt, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wir sind in einem Hotel, in dem einstens die beiden deutschen Diktatoren rechter und linker Provenienz abstiegen, wir sind in einem Theater, in dem einstens der Lohengrin uraufgeführt wurde, in dem einstens Liszt und Richard Strauss dirigierten. Wir sind in Weimar: Tristezza, Enge, Spießigkeit, Einfallslosigkeit, Servicewüste. Deutschland, noch immer ein Wintermärchen?
Fünfzig Jahre soll es her sein, dass das Deutsche Nationaltheater, wie sich die Spielstätte in Weimar nennen darf, zuletzt den Ring aufgeführt hat. Vor nunmehr zwei Jahren hat man es wieder versucht, und jetzt gibt es die zweite Reprise. Das Rheingold lässt sich als Operette spielen, als Umweltkatastrophe, als Mysterienspiel, als Metatheater im Bayreuther Festspielhaus, als Bausparerposse, als feindliche Übernahme eines Konzerns und als was noch alles. In Weimar beginnt man mit einer Kinderstunde, in der drei Schauspielschülerinnen – im Programmheft firmen sie unter dem Namen „Nornen“ – noch vor dem Vorspiel Verse raunen („Im Osten wob ich […]“). Zum Vorspiel treffen gleich die beiden Gegenspieler aufeinander. Haben Wotan und Alberich (oder sind es vielleicht Goethe und Schiller?) das Spiel, das wir gleich sehen werden, erfunden und setzten sie es gleich mit sich selber in den Hauptrollen in Szene? Ein schöner Metatheatergag gleich zu Anfang? Vielleicht. Und gehen wir dann vom Metatheater gleich zum Märchenspiel über, wenn ein groß gewachsener Alberich sich zwei Kurzskier unter die Knie bindet, so zum Zwerg mutiert und sich in dieser Gestalt den Sirenen, sprich: den Rheintöchtern nähert? Vielleicht.

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