Santa Cecilia e le „voci celesti“. Pfingstfestspiele 2019 in Salzburg oder das Cecilia Bartoli Festival

Alle Jahre wieder kommt der Santo Spirito zum Pfingstfest hernieder. Alle Jahre wieder wallfahren viele tausend junge Leute nach Salzburg. Alle Jahre wieder sammeln sich zu Pfingsten die internationalen Kohorten der Luxusrentner und jubeln ihrer Diva, der Sängerin, Komödiantin und Prinzipalin Bartoli zu.

Und dies, obwohl  es Cecilia ihren Jüngern nicht leicht macht. Das Programm ist stets ambitiös und fordernd. Für Populäres gibt es wenig Raum. Als Mitwirkende sind nur Musiker, Sänger und Sängerinnen und Theatermacher de Extraklasse eingeladen. Beim diesjährigen Galakonzert waren gleich ein Dutzend Stars der internationalen Opernszene präsent, die Arien von Händel und Hasse, von Porpora und Broschi , von Leo und Rameau vortrugen. Und natürlich ist die Prinzipalin in ihrer Rolle als Opernstar mit dabei.

Die Bartoli – auch dies ist an ihr zu bewundern – schont sich nicht. Nicht nur beim Galakonzert und bei Pergolesis Stabat Mater tritt sie als Solistin auf. Die große Rolle der Alcina übernimmt sie gleich in beiden Aufführungen. Dass sie in dieser Rolle brilliert, erstaunt ihre Fans nicht. Sie erwarten gar nichts anderes. Und in der Tat singt sie die berühmten Melancholie Arien geradezu ergreifend schön: im Finale „Mi restano le lagrime“ und im ersten Akt „Si, son quella, non più  bella“. Die Klagen einer alternden Frau, die weiß, dass sie ihren jugendlichen Liebhaber nicht länger halten kann.

Für die Fans der „lodernden Kolaraturen“ und der Arie della smania gibt’s auch Vieles, und dies nicht nur bei den Szenen der Bartoli, sondern auch bei Sandrine Piau in der Rolle der Morgana.

Sagen wir einfach: die Salzburger Alcina Produktion ist ein Fest der Stimmen. Und wenn dann noch Philippe Jaroussky den Ruggiero singt,  dann brauchen wir gar nicht auf den Highlight „Verdi prati“ zu warten, dann sind die Freunde der Händel Musik und der .voci celesti“ von Anfang an hingerissen und sagen sich nur: besser geht es nicht. Irgendwo habe ich gelesen, die begeisterte Rezeption der Gesangsstimmen, sei ein “ Orgasmus in der Opernloge“. Vielleicht ist es so.

Die Begeisterung für die „voci celesti“, dieser Stimmfetischismus ließ sich auch bei Porporas Polifemo erleben, einem dramma per musica, das Max Emanuel Cencic und seine Sängerinnen und Sänger in einer sogenannten „halbszenischen Aufführung“ präsentierten. Wie einst in London das Publikum die beiden Konkurrenten Porpora und Händel  miteinander vergleichen konnte, hatte jetzt das Salzburger Publikum die gleiche Gelegenheit. Ich gestehe, ich weiß nicht, für wen ich mich entscheiden würde. 

 Julia Lezhneva als Galatea, Yuriy Mynenko als Aci, Cencic als Ulisse, eine Sopranistin und zwei Counter,  und der Bass Pavel Kudinov in der Rolle des Zyklopen Polifemo singen so phantastisch schön, natürlich allen voran die Lezhneva, dass man nur noch denkt, ja so muß es wohl  ei Farinelli und seinem Ensemble geklungen haben. Und vielleicht ist die Anekdote, dass Farinelli dem spanischen König   Abend für Abend „Alto Giove, ė tua grazia“ vorgesungen haben  soll, nicht ganz falsch. Bei dieser Musik und bei diesen Stimmen braucht es in der Tat nur ein minimalistisches Dekor oder auch gar keins. Porpora in der Salzburger Besetzung zu hören, das ist ein ästhetisches  Vergnügen.

Doch zurück zu Alcina – zu Alcina der Zauberin, der Ikone der Liebe, der Ikone der Scheinwelt des Theaters, die auf Tassos Armida und auf die Kirke der Odyssee verweist. In der Inszenierung von Damiano Michieletto spielt die Komponente der Scheinwelt des Theaters, die in der Zürcher Alcina, die ( auch mit der Bartoli und Jaroussky in den Hauptrollen), die dort vor ein paar Jahren zu sehen war, allenfalls eine untergeordnete Rolle. Michielettos Alcina bewegt sich zwischen zwei Welten: einer ‚realen‘ Welt, die durch eine Glaswand von einer Märchenwelt, einer Scheinwelt , getrennt ist. Die Märchenwelt ist der Ort bleicher Gestalten und auch der Ort, in dem Alcina als Greisin erscheint. Als die Welt der ‚ Realen‘ in den Personen der Bradamante und des ‚bekehrten‘ oder auch umgepolten Ruggiero die Märchen- und Geisterwelt zerschlägt, da zerstören sie auch Alcina. Am Boden liegt eine alte weißhaarige Frau.

Eine Deutung, die mir etwas zu flach erscheint. Der Alcina Mythos in seiner Variante als Ikone der Scheinwelt des Theaters ist unsterblich. Der Einbruch des ‚ Realen‘ kann Alcina nur vordergründig zerstören. So hat, wenn ich mich recht erinnere, Christof Loy in seinen Inszenierungen den Alcina Mythos begriffen. 

 Wie dem auch sei. Die Salzburger Alcina ist in Musik, Stimmen und Szene großes, brillantes Theater. Die Produktion, die im Sommer bei den Festspielen noch mehrfach zu sehen sein wird, sollte man nicht versäumen.

Wir besuchten die Premiere am 7. Juni 2019

Salzburger Mozartwoche – Im Zirkus Villazón

Soll man sich darüber ärgern oder einfach nur darüber lachen, wie ein einstmals gefeierter Sänger aus dem Lande der Azteken in seiner neuen Rolle als Intendant eines berühmten Festivals der Mozartmusik aus diesem Fest ein Fest der Selbstvermarktung, der Selbstgefälligkeit, des Narzissmus macht, bei öffentlichen Auftritten  sich mit einer pseudo-mexikanischen Folklore Band umgibt, herumtänzelt und dazu verkündet, Mozart sei der Größte, aber wohl meint, er sei der Größte.

Doch seien wir beruhigt: die Machtübernahme ist nicht total. Noch immer musizieren in Salzburg die Wiener Philharmoniker (wenngleich im Kleinen Haus). Auch Christophe Rousset und Les Talens lyriques sind noch da und bieten eine Rarität: die „Azione sacra“:La Betulia liberata (im bei weitem nicht ausverkauften Haus für Mozart).Louise Alder brilliert im Mozarteum mit einem ganzen Kranz von Mozart Arien. Über der Residenz weht nicht die mexikanische Flagge. Kein Habsburger wird wie damals in Mexiko erschossen. Abgeschafft ist nur die noble österreichische Küche. Beim Empfang der Mozart Gesellschaft gibt’s jetzt mexikanischen Fast Food. Fake News sind, dass es demnächst zum Trinken nur noch Cerveza Villazón (vulgo Corona) gäbe, im Landestheater nur noch Stücke von Villazón aufgeführt würden und vom Publikum in Zukunft mexikanische Kostümierung erwartet würde.

Doch nehmen wir das Ganze nicht so ernst. Unser  Multitalent oder altdeutsch unser Tausendsassa wollte einfach nur zeigen, dass er auch ein großer Komödiant ist. Vielleicht stürzt er sich demnächst von der Zirkuskuppel herab und treibt mit seiner Band alle Kritiker aus dem Musentempel.

 

Akrobaten in der Zirkuskuppel – ratlos das Publikum. Carlus Padrissa inszeniert T.A.M.O.S. in der Felsenreitschule und macht aus Mozarts frühem Fragment Tamos, einem Freimaurer Lehrstück, ein Multimedia Spektakel mit leicht abgedroschenem  Mozart Soundtrack und Computer-Musik.

„ich habe keine Lust auf Zirkus in der Felsenreitschule – zu Hochpreisen“ – meinte der Herr neben mir. Ich konnte ihm nur zustimmen. Das Freimaurer Geschwafel– neudeutsch: der Betroffenheitsjargon der Gutmenschen – machte das Ganze noch unerträglicher. Doch seinen wir nicht zu streng. Halten wir Carlus Padrissa zu Gute, dass er, ganz anders als im Programmheft verkündet, das langweilige Freimaurer konterkarieren und eine große Show in Szene setzen wollte. Ein  Spektakel, in dem Bühnentechnik und Videoabteilung ihre Kunstfertigkeiten vorführen durften, sich zu Furcht und Schrecken, Gaudi und Staunen des Publikums so richtig austoben konnten. Da glitzern die Lichter, da zaubern die Spotlights ein Disko-Ambiente herbei, das jede Nobeldisko wie eine billige Scheune aussehen lässt. Da stürzen sich die feindlichen Soldaten vom Himmel herab auf die Bösen (wahlweise auch auf die Guten), da werden die Mauern erklettert, da explodieren die Bomben (ein Glück, dass wir vor der Vorstellung erfahren, es seien keine wirklichen), da fällt farbiges Wasser vom Felsen und duscht den Hauptdarsteller, da fahren die Sänger im offenen Fahrstuhl gen Himmel und produzieren sich aus luftigen Höhen. Da gibt’s gleich zu Anfang eine Leiche im Plastiksack. Keine Angst: der Hohepriester in der Person des uns allen so vertrauten René Pape  singt zur Einsegnung einen Ohrwurm aus der Zauberflöte. Im Finale reißt unser kräftiger Bass den „Baum der Unwahrhaftigkeit‘ aus. Der gute  Prinz kriegt nach vielem Leiden die Prinzessin, und die Kohorte der Choristen sammelt sich wieder auf der Szene und singt uns noch ein paar Hits aus der Zauberflöte.

Keine Frage: Carlus  Padrissa und sein Team verstehen sich auf die großen Bühnenspektakel. In der Technik sind sie hypermodern. Doch in der Konzeption sind sie von gestern. Was sie bieten, das ist barockes Maschinentheater mit den  Techniken von heute. Die Musik wird dabei zur quantité négligeable. ‚Allein, was tut’s‘. Dem Publikum hat’s am Ende gefallen. Die alten verknöcherten Mozartverehrer bleiben halt beim nächsten Mal zu Hause oder gehen gleich in den Zirkus.

 

 

Der schwarze Satan aus der Fruchtblase bringt Verstörung und Tod. Romeo Castellucci inszeniert Salome bei den Salzburger Festspielen 2018, und Asmik Grigorian triumphiert in der Titelrolle

 

Wenn Theatermacher Castellucci – oder sollen wir lieber sagen, wenn Theatermagier Castellucci seine Theaterkiste aufmacht, dann ereignet sich großes, spektakuläres Theater, dann tun sich neue Sichtweisen auf, dann werden die alten Geschichten neu erzählt, anders erzählt – bis hin zu ihrer Zerstörung, dann wird das Publikum verwirrt und provoziert.

So war es schon bei Castelluccis Brüsseler Parsifal, den wir vor nunmehr sieben Jahren am Théâtre de la Monnaie sahen, einem Parsifal, in dem die Regie jeglichen Erlösungsbrimborium brutal hinweg gefegt hatte. So war es noch provozierender bei Glucks  Orpheus und Eurydike bei den Wiener Festwochen 2014, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit geradezu schamlos eingerissen wurden, wo eine reale Komapatientin zum Objekt der Voyeurs wurde und der Abstieg in die Unterwelt zum Abstieg in die Hölle der Intensivstation wurde, ein Inferno, aus dem kein lieto fine ins Leben zurück  führt.

Auf Provokation und Verstörung hat es Castellucci  auch bei seiner Salzburger Salome angelegt – und dies mit großem Erfolg. Die Szene ist ein geschlossener, ein geradezu klaustrophobischer Raum. Die zugemauerten Galerien der Felsenreitschule sind zu einer Art Klagemauer mutiert, vor der grotesk geschminkte Personen mit roten Gesichtern, in langen schwarzen Mänteln und mit großen schwarzen Hüten in rituellen Bewegungen auftreten. Sind sie alle Talmud Schüler oder vielleicht doch nur Marionetten, die an unsichtbaren Fäden geführt werden. Ein schwarz geschminkter Jochanaan, der selbst von den ersten Parkettreihen her kaum als Person zu erkennen ist, tritt in einer gigantischen Fruchtblase auf. Ist das der Satan selber, der sich als Prophet ausgibt? Oder ist er die Karikatur eines Voodoo Priester, ein Schamane, ein sich lautstark in Szene setzender Krimineller aus der Bronx?… → weiterlesen

Klamotte mit Gezwitscher. Cecilia Bartoli brilliert auf ihrem Pfingsten Festival in Salzburg: Rossini, L’Italiana in Algeri

Natürlich spielt  das Ensemble Matheus unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi einen witzigen, ironischen, glitzernden Rossini, ganz wie man sich das so wünscht und schon so manches Mal bei Rossini Abenden gehört hat. Natürlich ist die Signora Bartoli eine  Sängerin mit „geläufiger Gurgel“, die  zur Begeisterung des Publikums die Koloraturen so scheinbar ganz ohne Anstrengung zu zwitschern vermag. Und noch dazu ist sie eine grandiose Komödiantin, die gleich vom ersten Auftritt an die Szene beherrscht. Seit Jahrzehnten und noch immer ein Star und ein ‚Bühnentier. Es ist ein Vergnügen, ihr zu zuhören und sie auf der Bühne zu sehen. Natürlich sind auch die Buffo-Rollen mit exzellenten Sängerschauspielern besetzt, die nicht davor zurückschrecken, sich selber der Lächerlichkeit preis zu geben. Natürlich ist der Tenor die Karikatur seiner selber. Alles toll, als unterhaltsam, alles lustig. Frei nach dem Motto aus dem Kindergarten: „Witz komm raus. Du bist umzingelt“. Da darf die frustrierte Ehefrau sich mit Pralinen voll stopfen.  Da dürfen die dickbäuchigen Männer in Unterhosen herum stolzieren, die Trottel vom Dienst machen und sich von den Weibern vorführen lassen. Die algerischen Muselmänner sind allesamt dümmliche geile Machos. Die Italiener immerhin noch Furbi, die die Algerier  – natürlich unter der Führung der schönen Isabella austricksen. „Mein Gott, wenn das nur gut geht. Das ist ja ausländerfeindlich und nicht political correct“ flüsterte die Dame in der Reihe hinter mir ihrem Begleiter zu. „Keine Angst Sabine. Das ist doch alles nur Spaß, alles nur Nonsens, alles nur Theater“. Ja, wir wissen schon: „Tutto il mondo è burla“. Burla, Scherz und Witz und Komödie. Leider hat das berühmte Regie-Duo Moshe Leiser und Patrice Caurier Burla durchweg als Klamotte verstanden und  wohl verdrängt, dass Rossinis Musik Komödie ist und dass manche seiner Figuren auf die Commedia dell’arte verweisen. Klamotte über drei Stunden hinweg, das muss nicht sein. Das wird auf die Dauer langweilig. Immerhin gab es diese wunderschönen Koloraturen zu hören, Belcanto vom Allerfeinsten – mal vom Kamel herunter, mal auf den Knien des gewichtigen  Mustafà, mal in der Badewanne, mal als Knutschszene. Und an den Parodien der italienischen und algerischen Mannswelt haben wir alle, Emanzen und Machos, Ehefrauen und Mätressen, unseren Spass gehabt. Spass zu exorbitanten Preisen. Nun ja, wer die Bartoli hören und sehen will, der darf nicht knauserig sein und muß auch schon  mal eine etwas  dürftige  Inszenierung  in Kauf  nehmen. Irgendwo steht bei  Heine, wer Rossini nicht mag, der muß im Paradies ständig Fugen von Bach hören. Ob unser tüchtiges Regie-Duo Rossini mag.? Ich hab‘ da meine Zweifel.

 

Wir sahen die Aufführung am 20. Mai. 2018. Die Premiere war am 18. Mai 2018. Fünf weitere Vorstellungen gibt es noch im August.

 

 

Im Studio der Selim Pictures. Die Entführung aus dem Serail bei der Mozartwoche 2018 in Salzburg

Salzburg, Mozartplatz

Nein, dieses Mal sind wir nicht in Neuköln, in der Berliner Türkenenklave, auch nicht im Asylantenheim, auch nicht im Revuetheater in Istanbul, auch nicht im Drogenbordell im Mittleren Westen, auch nicht in der vorehelichen Psychohölle, auch nicht bei den Gutmenschen der Spätaufklärung, auch nicht bei Lawrence von Arabien und seinen sadistischen Beduinen.In Salzburg hat Theatermacherin Andrea Moses Mozarts aufklärerisches Orientmärchen in ein Filmstudio verlegt, wo Produzent und Regisseur und Drehbuchautor Selim das Sagen hat. Ein Selim, der sich nicht mit diesen drei Funktionen zufrieden gibt, sondern bei Bedarf auch noch die Hauptrolle übernimmt: den etwas in die Jahre gekommenen Möchte-Gern-Liebhaber einer etwas spießig-naiven jungen Frau, die unbedingt an ihrer Sandkasten-Liebe festhalten will.Über diese Variante des Drehbuchs, die ihm von einem Schreiberling untergejubelt wurde, ist Selim mehr als verärgert. Er hat nicht die geringste Lust darauf, den „Gutmenschen vom Bosporus“ zu machen. Ganz im Gegenteil. Er würde am liebsten den jungen Trottel Belmonte, der ihm ganz in der Nachfolge seines Vaters die Geliebte abspenstig macht, zusammen mit dessen gesamter Bagage an die Wand stellen. Ganz entsprechend fuchtelt er schon mal wild und gefährlich mit der Pistole herum. Warum Selim sich schließlich doch für die sanfte Variante des Drehbuchs entscheidet, das bleibt das Geheimnis der Theatermacherin Andrea Moses. Vermutlich wollte sie unsere Salzburger Luxusrentner nicht vor den Kopf stoßen und scheute vor der Provokation zurück, mit der Martin Kusej vor ein paar Jahren seine Entführung aus dem Serail in Aix-en- Provence enden ließ. Dort verdursten Belmonte und Konstanze, Blonde und Pedrlllo auf der Flucht in der Wüste. Und die Köpfe werden Ihnen noch dazu abgeschlagen, und zugleich wird das ganze aufklärerische Getue mitsamt seiner Verklärung des Orients und seinem Gutmenschen Geschwätz als Verlogenheit entlarvt.Die Transposition des Geschehen in ein Filmstudio, das Ausspielen eines latenten Sadismus, die Umformung der Rolle des Selim, die vielen, mitunter recht albernen Gags, die Zitate aus anderen Werken Mozarts, das Einspielen orientalischer Musik, all das hat einem Teil des Premieren Publikums überhaupt nicht gefallen. Nach der Pause blieben viele Plätze leer ( Die sechste Parkettreihe, In der wir unsere Plätze hatten, blieb , um nur ein Beispiel zu nennen, nach der Pause zur Hälfte leer). Wer halt ein hübsches traditionelles Orientmärchen zum Verdauen nach dem Abendessen erwartet hatte, der war enttäuscht.  Dem übrig gebliebenen Teil des Publikums hat die zwar nicht unbedingt originelle, aber doch stringente Filmversion der Entführung gefallen – nicht zuletzt dank des grandiosen Peter Lohmeyer in der Rolle des Selim. Ein Schauspieler, der aus einer scheinbaren Nebenrolle die Hauptrolle des Stücks zu machen wußte und alle anderen Mitwirkenden zu „singenden Statisten“ machte, die ihre „geläufigen Gurgeln“ vorführen durften. Dass diese singenden Statisten allesamt herausragende Sängerinnen und Sänger waren und dass unter der Leitung von René Jacobs exzellent musiziert wurde, das verseht sich von selbst.Wir besuchten die Premiere an 26. Jänner 2018.

Gender-Switching nebst Epochen-Switching. Christof Loy inszeniert Ariodante bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2017

Wer ist eigentlich dieser Ariodante? Aus welcher Zeit ist er gefallen? – dieser scheinbar so konventionelle Primo Uomo in einer scheinbar so konventionellen opera seria vom Jahre 1734. Ein fahrender Ritter auf der Suche nach der ihm bestimmten Aventüre? Ein Außenseiter an einem Königshof, dem die Prinzessin zufällt. Ein Naiver, ein Leichgläubiger, ein Verliebter, ein Opfer einer hinterhältigen Kabale? 

All diese gängigen Deutungen der Figur sind für Loy nur oberflächliche, untergeordnete Zugänge. In einer hoch anspruchsvollen und subtilen Inszenierung schlägt er eine ganze andere, eine 

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