Bei der Wallfahrt der Feinsinnigen. Britten, Tod in Venedig an der Deutschen Oper Berlin

Dass Brittens Version der Thomas Mann Novelle die Kultoper der Feinsinnigen ist, dass Death in Venice sich als hohe Messe der Homoerotik und der Pädophilie –  im antiken Sinne des Wortes –  hören, sehen und genießen lässt, das ist ein Gemeinplatz. Und dass Death in Venice ein bestimmtes Publikum anzieht, das ist nicht minder ein Gemeinplatz.

Ich muss gestehen, dass ich mir jetzt beim Berliner Tod in Venedig inmitten der  so überaus stark vertretenen Gemeinde  der homophilen Feinsinnigen etwas fremd vorkam, zumal  sich nicht jedermann  so kultiviert und  – im positiven Sinne – so dekadent gab, wie ich das eigentlich erwartete. Gleich neben mir in der ersten Parketreihe outete sich ein junger Mann als Voyeur und wurde nicht müde, seinen Feldstecher auf die Akteure zu richten. Es waren ja in der Tat auch viele schöne junge Männer – der Darsteller des Tadzio war nicht der einzige – auf der Bühne zu bewundern.  Und dass dort ein müder bürgerlicher Literat im Zweireiher, der dem ‚Arbeitsethos‘ verfallen ist, angesichts all dieser männlichen Schönheiten und ihres Körperkults  seine ‚verdrängten‘ homoerotischen‘ Neigungen entdeckt, diese auslebt und sich vielleicht dem einen oder anderen im Publikum als Identifikationsfigur anbietet,  dies versteht auch, wer die Thomas Mann Novelle und den gleichnamigen Visconti Film nicht kennt.

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„La froide majesté de la femme stérile“ oder Nachtmären in der gynokolischen Klinik. Die Frau ohne Schatten an der Staatsoper im Schiller Theater

Ich mag diese glitzernde Strauss Musik. Ich mag das manchmal so hohle Pathos. Ich mag diese so rauschhafte Klangfarbenpracht und nicht minder das selige Pianissimo. Ich mag diese so nostalgische Dekadenz. Ich mag all das, mit dem Strauss sein Publikum zu verzaubern weiß.

Wie immer in den Strauss Opern dominieren auch in der Frau ohne Schatten die weiblichen Stimmen. Wenn wie jetzt in der Staatsoper fast alle hohen Stimmen zu brillieren wissen und das Gleiche für Tenor und Bass gilt und wenn noch dazu die Staatskapelle im Strauss-Klang geradezu zu schwelgen weiß und Maestro Zubin Mehta den Solisten im Orchester ausgiebig Gelegenheit gibt, mit ihrer Kunstfertigkeit zu beeindrucken, ja dann bleiben eigentlich keine Wünsche offen.

Und doch bleibt ein gewissen Unbehagen, ein Unbehagen, das nicht von der Musik herrührt, sondern … → weiterlesen

„Ein Käfig voller Narren“ – oder wie man in Würzburg Meyerbeer erledigt. Die Hugenotten am Mainfranken Theater Würzburg

Ich habe nichts gegen kleine Häuser. Ganz im Gegenteil. Ich habe in Lübeck und in St. Gallen herausragende Wagner Aufführungen erlebt, und ich habe in kleineren Häusern auch schon ärgerliche Flops ertragen  – genauso wie in den großen Häusern. Doch jetzt in Würzburg  war  ich so verärgert, dass ich mich nach dem zweiten Akt in die benachbarten Weinstuben geflüchtet habe. Die Vergewaltigung eines großen Komponisten, auf die man es in Würzburg  offensichtlich angelegt hat, wollte und konnte ich  nicht länger ertragen.

Die Grand opéra, wie man sie in Würzburg versteht, beginnt spektakulär – als Transvestiten Show in einem abgetakelten  Revuetheater. Ja, warum auch nicht. Warum soll man eine Grand opéra nicht dekonstruieren und parodieren, warum soll man sie nicht von aller historischen Verfettung befreien. In Würzburg versucht sich die Regie an diesem Befreiungsschlag und schlägt gleich so heftig zu, dass sie die Oper tot schlägt. Da lässt sie die Festgesellschaft, die Männergesellschaft, in Strapsen auftreten, da erfindet sie für das Revuetheater eine Prinzipalin, die den Clown spielt, dazu. Da macht man aus den beiden Hugenotten Raoul und Marcel Max und Moritz, aus der Königin einen singenden Revuestar, genauer: ein Bunny Girl und aus der armen Valentine, dem Objekt der Begierde‘ zweier Männer, eine Käthe Kruse Puppe. All das ist sicherlich sehr amüsant. Nennen wir eine solche Konzeption der Einfachheit halber die Karnevalisierung der Grand opéra.

Ich hätte das alles amüsiert und klaglos hingenommen, ja wenn nur der Musik Part gelungen wäre. Doch wenn man  nur die Nebenrollen wie zum Beispiel die des  Pagen und die des Saint-Bris angemessen besetzen kann und Tenor und Bass an diesem Abend weit von ihrer Hochform entfernt sind, dann parodiert nicht nur die Szene, dann parodieren auch die Stimmen – und dieses Mal wohl unfreiwillig – die Grand opéra. Und das ist gar nicht lustig. Das ist nur ärgerlich, um nicht zu sagen: peinlich.

Natürlich erwarten wir im Mainfranken Theater nicht solche Hochleistungen oder solchen Stargesang, wie sie die Hugenotten in Berlin  oder auch in Nürnberg bieten. Aber etwas mehr als an  diesem Abend in Würzburg geboten wurde, hätten wir uns doch erhofft. Vielleicht war ja nach der Pause auch alles anders. Mag ja sein. Aber ich konnte nach zwei Akten Szene und Musik – mit Verlaub gesagt –  nicht länger ertragen, habe meinen Mantel bei der schönen Garderobiere abgeholt, noch ein bisschen mit ihr über die Aufführung geschwatzt – sie kannte sie nicht – einen älteren Theaterbesucher fragen hören, ob das auch alles „authentisch“ sei und bin aus dem Theater geflohen. Ein Glück nur, dass der Silvaner im Bürgerspital ausgezeichnet und das Hotel, der Würzberger Hof, exzellent waren.

Wir sahen die Aufführung am 22. Januar 2017. Die Premiere war am 2. Oktober 2016.

 

 

 

Scheich Wotan im Beduinenzelt. Das Rheingold am Landestheater Linz. Ein mehr als enttäuschender Vorabend

In Linz, einst „die Stadt des Führers“, heute eine etwas heruntergekommene Industriestadt, hat die Republik Österreich kürzlich einen groß dimensionierten Musiktheatertempel errichtet: Foyers so weitläufig wie halbe Fußballfelder, gleich zwei Restaurants der gehobenen Kategorie, beide vor Vorstellungsbeginn bis auf den letzten Platz besetzt. Und auch noch nach der Vorstellung sind Rauchersalon nebst Restaurant auf der Dachterrasse stark frequentiert. Künstler und Publikum frönen lustvoll der Gula, laben sich an der ,Grande bouffe‘.

Der etwas versteckt liegende Theatersaal  ist ganz in Rot ausgeschlagen, ein blutig roter Vorhang, rote Sessel (ja, wir wissen schon: rot ist die Farbe der Liebe. Rot ist das Blut. Und um Liebe und Totschlag geht es ja meist in der Oper). In jeden Sessel ist eine Videoanlage eingebaut, die dem interessierten oder sich vielleicht langweilenden Zuschauer erlaubt, das Libretto zu lesen, das Theaterprogramm der Saison zu erkunden und sich einen Tisch im Restaurant zu reservieren. Keine Frage, im neuen Landestheater in Linz ist für Lektüre und Verdauung gesorgt, wobei frei nach Gerard Mortier die Oper ja nicht wegen der Verdauung besucht werden sollte.… → weiterlesen

Lohengrin bei den Logenbrüdern und „unter Lilien vergessen“. Eine Wiederaufnahme am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Einen in Musik und Szene  recht heterogenen Lohengrin bietet man in Wiesbaden, eine Aufführung, die mich etwas ratlos lässt. Ich enthalte mich jeglicher Sängerkritik. Sie steht mir als simpler Opernbesucherin nicht zu.  Ich erlaube mir nur ein paar allgemeine Bemerkungen. Das Heterogene beginnt schon beim Ensemble. Seltsam erschien es mir, dass wohl nur  die Partien des ‚hohen Paars‘ herausragend besetzt waren, dass Elsa und Lohengrin (Johanni van Oostrum und  Marco Jentzsch)  in Stimme und Bühnenerscheinung faszinierten und dass im Gegensatz hierzu andere tragenden Rollen – um es vorsichtig zu sagen – nicht unbedingt optimal besetzt waren.

Ob aus dem Orchestergraben  wirklich der so ‚rauschhafte‘ Wagner  klang, der angeblich anämische Jünglinge fiebern, sie „erstarrt, blass, atemlos“ werden lässt? Hat Wagner an diesem Abend „mit Musik hypnotisiert“? Zumindest dem Herrn vor mir, der ständig mit seinem Handy spielte, widerfuhr dieser Zustand nicht und wohl auch nicht den beiden treuen alten Abonnenten neben mir, die nach dem zweiten Akt nicht wiederkehrten. Wahrscheinlich tue ich den Musikern Unrecht. Doch mit Verlaub gesagt: diese Wiesbadner Lohengrin Musik vermittelt weder Rausch noch Melancholie. Der Meister „in Tönen eines schwermütigen und schläfrigen Glücks“, um noch einmal Nietzsche zu zitieren, schien mir fern.

Ich will ja nicht sagen, dass es mir nicht gefallen hat. Doch von einem so berühmten Haus wie dem einstigen Wiesbadner Hoftheater – ein neobarocker Fellner und Helmer Prachtbau, bei dem die beiden damaligen Stararchitekten wohl an nichts zu sparen brauchten, von einem Haus mit diesem Renommee hatte ich mir eigentlich ein bisschen mehr als grundsolides Stadttheater gehobener Kategorie erwartet. Aber vielleicht ist ja bei den „Internationalen Mai-Festspielen“ alles anders?

Und die Inszenierung? Wir sahen die Neueinstudierung der Inszenierung von Kirsten Harms aus dem Jahre 2012. Auch hier stößt man sich am Heterogenen. Die Regie verzichtet auf alle Mittelalter Klischees, verlegt die Handlung unter die Freimaurer und lässt  allen ideologischen Überbau beiseite. Dieser  Lohengrin, wie er da in seinem weißen eleganten Sommeranzug bei den überraschten Logenbrüder auftaucht, ist weder ein Künstler noch ein ‚Außerirdischer‘, weder ein Verführer noch ein Erlöser. Er ist eher ein Schauspieler, der wohl aus einer Aufführung der Sommergäste mal eben zu den Logenbrüdern herüber kommt, einen Streit schlichtet, eine Frau für sich einnimmt  und  der, da seine Forderung nach Diskretion nicht erfüllt wird, einfach wieder abgeht.

Ist das fragmentarische Zitieren von Literatur und Film vielleicht die Grundkonzeption der Inszenierung? Ist die Logenbrüderversammlung im ersten Akt, die da über eine verhuschte Elsa (in Kostüm und Maske einer gebeutelten jungen Frau aus einem neorealistischen Film) urteilt, eine Variante der Priesterversammlung in der Zauberflöte? Ist die groß dimensionierte Erscheinung des Schwans ein Verweis auf Werner Herzogs Lohengrin? Ist die Szene Ortrud/Telramund  im zweiten Akt vielleicht eine Parodie auf einen Hexensabbat? Ortrud, die gerade einen Schwan geköpft hat, zwingt den armen Gatten, Blut zu trinken? Wenn im Finale des zweiten Akts die Logenbrüder (bei Wagner die „Edlen von Brabant“) sich unter großen schwarzen Regenschirmen verstecken, erinnert die Regie dann an das Film-Musical Singin‘ in the Rain?

Im dritten Akt öffnet die Regie die Datei  ‚Höhenkammliteratur‘. Elsa und Lohengrin singen und träumen von ihrer Liebe inmitten eines Lilienfeldes. Was manchem Zuschauer vielleicht als Kitsch, meinetwegen als subtiler Kitsch, vorkommen mag, ist eine Hommage an die mystische Literatur, ein Zitat aus einer Ode von San  Juan de la Cruz:

„ […] alles schwindet, ich geb mich hin,

nichts ahnend mehr,

unter Lilien vergessen.“

“[…] entre las azucenas olvidado.”

Dass aus dem Vergessen nichts wird, das wissen wir als kundige Opernbesucher. Der Schauspieler Lohengrin erzählt noch schnell den Logenbrüdern ein hübsches Märchen und verschwindet in Wiesbaden im Wortverstande in der Versenkung.

Allgemeiner Beifall für alle Mitwirkenden. Wie seltsam. Wie  wohl einst zu Kaisers Zeiten. Im Wiesbadner Hoftheater scheint die Zeit still zu stehen.

Wir sahen die „Premiere der Neueinstudierung“ am 15. März 2015.