Im Museum der ‚Grand Opéra’. Andreas Kriegenburg inszeniert Meyerbeer, Les Huguenots an der Opéra National de Paris

Wenn man wissen, hören, sehen will, was die grand opéra ausmacht, dann muss man dorthin fahren, wo sie entstanden ist: nach Paris. Dort gibt es dann alles auf einmal zu hören und zu sehen, was im frühen 19. Jahrhundert die Opernwelt bestimmte, ein Genre, dem sich weder Verdi noch Wagner entziehen konnten. Und die von viel oder auch zu viel Wagner und Verdi geschädigte Opernbesucherin glaubt bei Meyerbeer immer wieder Wagner und Verdi mitzuhören: Wagner bei den gewaltigen Chören und den Finalszenen, Verdi zum Beispiel in dem großen Liebesduett im vierten Akt. Vielleicht hat die Besucherin auch zu viel darüber gelesen, dass Verdi und vor allem der frühe Wagner, gewollt ob ungewollt, auf Meyerbeer zurück verweisen.

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„Ein Käfig voller Narren“ – oder wie man in Würzburg Meyerbeer erledigt. Die Hugenotten am Mainfranken Theater Würzburg

Ich habe nichts gegen kleine Häuser. Ganz im Gegenteil. Ich habe in Lübeck und in St. Gallen herausragende Wagner Aufführungen erlebt, und ich habe in kleineren Häusern auch schon ärgerliche Flops ertragen  – genauso wie in den großen Häusern. Doch jetzt in Würzburg  war  ich so verärgert, dass ich mich nach dem zweiten Akt in die benachbarten Weinstuben geflüchtet habe. Die Vergewaltigung eines großen Komponisten, auf die man es in Würzburg  offensichtlich angelegt hat, wollte und konnte ich  nicht länger ertragen.

Die Grand opéra, wie man sie in Würzburg versteht, beginnt spektakulär – als Transvestiten Show in einem abgetakelten  Revuetheater. Ja, warum auch nicht. Warum soll man eine Grand opéra nicht dekonstruieren und parodieren, warum soll man sie nicht von aller historischen Verfettung befreien. In Würzburg versucht sich die Regie an diesem Befreiungsschlag und schlägt gleich so heftig zu, dass sie die Oper tot schlägt. Da lässt sie die Festgesellschaft, die Männergesellschaft, in Strapsen auftreten, da erfindet sie für das Revuetheater eine Prinzipalin, die den Clown spielt, dazu. Da macht man aus den beiden Hugenotten Raoul und Marcel Max und Moritz, aus der Königin einen singenden Revuestar, genauer: ein Bunny Girl und aus der armen Valentine, dem Objekt der Begierde‘ zweier Männer, eine Käthe Kruse Puppe. All das ist sicherlich sehr amüsant. Nennen wir eine solche Konzeption der Einfachheit halber die Karnevalisierung der Grand opéra.

Ich hätte das alles amüsiert und klaglos hingenommen, ja wenn nur der Musik Part gelungen wäre. Doch wenn man  nur die Nebenrollen wie zum Beispiel die des  Pagen und die des Saint-Bris angemessen besetzen kann und Tenor und Bass an diesem Abend weit von ihrer Hochform entfernt sind, dann parodiert nicht nur die Szene, dann parodieren auch die Stimmen – und dieses Mal wohl unfreiwillig – die Grand opéra. Und das ist gar nicht lustig. Das ist nur ärgerlich, um nicht zu sagen: peinlich.

Natürlich erwarten wir im Mainfranken Theater nicht solche Hochleistungen oder solchen Stargesang, wie sie die Hugenotten in Berlin  oder auch in Nürnberg bieten. Aber etwas mehr als an  diesem Abend in Würzburg geboten wurde, hätten wir uns doch erhofft. Vielleicht war ja nach der Pause auch alles anders. Mag ja sein. Aber ich konnte nach zwei Akten Szene und Musik – mit Verlaub gesagt –  nicht länger ertragen, habe meinen Mantel bei der schönen Garderobiere abgeholt, noch ein bisschen mit ihr über die Aufführung geschwatzt – sie kannte sie nicht – einen älteren Theaterbesucher fragen hören, ob das auch alles „authentisch“ sei und bin aus dem Theater geflohen. Ein Glück nur, dass der Silvaner im Bürgerspital ausgezeichnet und das Hotel, der Würzberger Hof, exzellent waren.

Wir sahen die Aufführung am 22. Januar 2017. Die Premiere war am 2. Oktober 2016.

 

 

 

Giacomo Meyerbeer, Le Prophète. Eine aktualisierte Reality-Show am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Revolte in der Banlieue, ein Fanatiker als Muttersöhnchen und Tyrann nebst Belcanto in der Tiefgarage. Spannend und (manchmal) unterhaltsam ist das Spektakel, das Theatermacher Tobias Kratzer in Karlsruhe in Szene setzt, alle Male.

Die Regie transponiert die Geschichte vom Aufstieg, Terror und Untergang der Wiedertäufer und deren Propheten  aus der Reformationszeit in die Pariser Vorstädte von heute, hängt dem scheinbar so charismatischen Anführer der Sektierer und Revoluzzer einen Ödipuskomplex an – und lässt doch Belcanto zu. Und dies nicht nur beim scheinbar so idyllischen Beginn, sondern vor allem im vorletzten Bild, wenn Fidès, die Mutter des Propheten (in der Person der Ewa Wolak), auf der Ladefläche eines Kleinlasters in der Tiefgarage hocken muss und trotz dieser für die Sängerin mehr als unbequemen Lage einfach grandios singt. Le sublime et le grotesque, das Schöne und Hässliche, verschränken, überlagern sich – ganz wie es sich für eine Grand opéra aus romantischer Zeit gehört.

Ob der sublime Belcanto all die Hässlichkeit, als dieses Hyperreale, in dem die Inszenierung schwelgt, als Kontrastprogramm  braucht? … → weiterlesen

Effektvoll – Spektakulär – Virtuos. Marc Minkowski und Olivier Py präsentieren Giacomo Meyerbeer: Les Huguenots im Théâtre de la Monnaie in Brüssel

Effektvoll – Spektakulär – Virtuos. Marc Minkowski und Olivier Py präsentieren Giacomo Meyerbeer: Les Huguenots im Théâtre de la Monnaie in Brüssel

Vor gut zehn Jahren, so schreibt Maestro Minkowski im Programmheft, habe sich ihm die Möglichkeit geboten, Wagner oder Meyerbeer zu dirigieren: Tristan und Isolde oder Robert Le Diable: „Il m’a fallu faire le choix  entre un chef – d’oeuvre absolu et l´inconnu“. Er habe sich für das heute praktisch Unbekannte und damals im 19. Jahrhundert so überaus Bekannte entschieden. Meyerbeer  heute aufführen zu können, das sei eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen dürfe.  Mit Les Huguenots werde im Brüsseler Opernhaus eine Rarität geboten, von der ein großes Pariser Opernhaus nichts  habe wissen wollen. Und so sind wir denn extra nach Brüssel gefahren, um in La Monnaie fünf Stunden lang Mayerbeer zu hören. Selbst die Dilettantin begreift sehr schnell, dass Verdi und Wagner dieser heute so gänzlich aus dem Repertoire verschwundenen Grand Opéra eines Meyerbeer so manches zu verdanken haben: die großen Chöre mit ihren Massenauftritten, die dramatischen und die so eingängigen ‚lyrischen‘ Szenen mit ihrem ‚Belcanto‘ wie  zum Beispiel die erste Arie  (mit obligater Solovioline) des Raoul, in der der junge Hugenottenanführer von seiner Liebe zu einer Unbekannten erzählt, die Auftrittsarie des Pagen mit der Botschaft der Königin für Raoul, die hoch artifizielle Koloraturarie der Königin zu Beginn des zweiten Akts. Szenen der Intimität, die mit den großen dramatischen Szenen kontrastieren wie der Verschwörung im vierten  Akt oder  der Ermordung der Hugenotten im Finale des fünften Akts. Bei Meyerbeer, so glaubt die Dilettantin, die  zuvor noch nie eine Oper des „grand Giacomo“  gehört hat, zu begreifen, ist alles spektakulär, alles auf Effekt hin an gelegt: das Leise, das vielleicht auch schon das Kitschige streift, das Laute, das dem seelenlosen Dröhnen manchmal nahe kommt. Oder warum sagen wir nicht, selbst auf die Gefahr hin, uns als vollständige Ignorantin zu outen: Wagner berauscht – Meyerbeer bietet  eher laue Drogen. Wagner zieht an oder stößt ab – Meyerbeer lässt trotz aller Passion die Zuhörer eher kalt. Ganz im Sinne der Musik setzt auch die Inszenierung auf das Spektakuläre und Effektvolle. Kein Zweifel: der französischen Theatermacher Olivier Py ( vor ein paar Jahren beeindruckte er uns in Genf mit seiner Trilogie du Diable)  weiß die Bedürfnisse seines Publikums zu befriedigen und die Klischees aus dem Fundus der Grand Opéra souverän aneinander zu reihen: ein bleicher graubärtiger Hugenotte, dem Kleriker und Frauen in gleicher Weise verhasst sind – beide sind des Teufels – und der im Choralton seinen Gott preist und diesen bedenkenlos für sich instrumentalisiert und als sein Gegenspieler ein machtgieriger, glatzköpfiger Katholikenanführer, der  in seinem Fanatismus alle Protestanten massakrieren will und aus Versehen seine  eigene Tochter gleich mit umbringt. Mitten zwischen den beiden Parteien eine scheinbar engelsgleiche Königin, die mit Intrigen und Verführungsspielchen ihre politischen Ziele verfolgt. Des Weiteren ein verliebter Hugenottenführer, der aus dem Teufelskreis des Fanatismus nicht auszubrechen vermag und – diesem zugetan  – das  katholische Mägdelein, das Töchterchen des gewalttätigen Katholiken, das im Finale  sich geradezu zu einer Jeanne d’Arc  steigert. Eine Konfiguration, die zwanghaft in die Tragödie  führen muss, ohne dabei das Publikum mit aufgesetzter Ideologie allzu sehr zu belästigen. Die verspäteten bürgerlichen Romantiker unter uns dürfen sich gefahrlos an der ‚Liebe als Passion‘ erfreuen. Die Gutmenschen im Publikum können sich entspannt zurücklehnen: die Kreuze, mit denen sich die verfeindeten Glaubensbrüder attackieren und massakrieren, waren ihnen schon immer verdächtig, und Fundamentalisten, wie sie sich da unversöhnlich auf der Bühne, sei es in den Kostümen des 16. Jahrhunderts, sei es im heutigen Outfit, gegenüber stehen, waren uns schon immer ein Graus – wir sind doch so liberal und tolerant  –  und dass die Mächtigen dem Sex nicht abgeneigt sind, das wissen wir ja aus der Zeitung. A propos Sex. Für die Voyeure unter uns hält die Regie Nackedeis beiderlei Geschlechts bereit – ganz zu schweigen von den barbusigen Tänzerinnen, die bei der in der Grand Opéra obligatorischen Balleteinlage für Entspannung sorgen. So haben wir denn in Brüssel ein großes Spektakel gesehen: ein Spektakel mit Sex und Crime, Fanatismus und romantischer Liebe bis in den Tod, eine Männerorgie im ersten Akt, ein mit ausschließlich weiblichem Personal bevölkertes Arkadien im zweiten Akt, ein Zigeunerballett nebst Schlägerei zwischen Fundamentalisten im dritten Akt, eine Verschwörung unter werten Herren mit Anleihen an Rembrandtbilder im vierten Akt. Und im fünften Akt – das ist ja eigentlich schon obligatorisch, da werden die verfolgten Hugenotten zu verfolgten Juden, die im Namen des Kreuzes zusammengeschossen werden und die sonst so blässliche Valentin, die Tochter des Anführers der Katholiken und heimlich angetraute neue Gattin des Hugenottenanführers, reckt als eine neue Jeanne d’Arc  den katholischen Herren siegessicher und rachsüchtig das Kreuz entgegen. Fanatismus und Fundamentalismus haben kein Ende. Doch Theatermann Py ist kein Ideologe, der das Theater zur ’moralischen Anstalt‘ machen will. Py  bietet auf der Basis des Librettos von Eugène Scribe Unterhaltung, spektakuläre Unterhaltung (die Message versteht sich von selber), und Meyerbeer und sein Interpret Minkowski wollen das Gleiche – auf höchstem  Niveau. Keine Frage, dass in Brüssel brillant gesungen und musiziert wurde. Keine Frage, dass die Inszenierung mit ihrer Opulenz dem Stil der grand Opéra entspricht. Keine Frage, dass eine Meyerbeer Ausgrabung sich alle Male lohnt. Doch mit Verlaub, hoch verehrter Maestro Minkowski, wenn ich die Wahl hätte, Tristan und Isolde oder  Les Huguenots wieder zu hören, dann wüsste ich mich schnell zu entscheiden.  Wir sahen die Vorstellung am 30. Juni  – es war die letzte der laufenden Serie. Die Premiere war am 11. Juni 2011.