Im Museum der ‚Grand Opéra’. Andreas Kriegenburg inszeniert Meyerbeer, Les Huguenots an der Opéra National de Paris

Wenn man wissen, hören, sehen will, was die grand opéra ausmacht, dann muss man dorthin fahren, wo sie entstanden ist: nach Paris. Dort gibt es dann alles auf einmal zu hören und zu sehen, was im frühen 19. Jahrhundert die Opernwelt bestimmte, ein Genre, dem sich weder Verdi noch Wagner entziehen konnten. Und die von viel oder auch zu viel Wagner und Verdi geschädigte Opernbesucherin glaubt bei Meyerbeer immer wieder Wagner und Verdi mitzuhören: Wagner bei den gewaltigen Chören und den Finalszenen, Verdi zum Beispiel in dem großen Liebesduett im vierten Akt. Vielleicht hat die Besucherin auch zu viel darüber gelesen, dass Verdi und vor allem der frühe Wagner, gewollt ob ungewollt, auf Meyerbeer zurück verweisen.

Theatermacher Kriegenburg, von dem man eigentlich erwartete, dass er die grand opéra aktualisieren und psychologisieren oder sie vielleicht sogar als ‚Traumspiel‘ in Szene setzen würde, hat auf alles neumodische Zeug verzichtet. Er hat dem Affen Zucker gegeben und die Hugenotten so inszeniert, wie so wohl – so erfährt man im Programmheft –  in 1.128 (sic!) Aufführungen gegeben worden sind: einhundert Jahre lang, von der Uraufführung im Jahre 1836 bis zum Jahre 1936 : ein großes  Bühnenspektakel, prachtvolle historische Kostüme, aufwendige Dekorationen, Couleur locale der Religionskriege des 16. Jahrhunderts, gezückte Degen und Flintenschüsse, Mord und Totschlag, melodramatische Passionen, dümmliche und fanatische Mannsbilder, eine wohlmeinende und so hilflose Königin, eine junge Frau im Konflikt zwischen Vater und Liebhaber, die dem Geliebten in den Tod folgt, eine Hundertschaft von Choristen, eine weitere Hundertschaft von Statisten, Ballett, Belcanto, grandiose Ensemble-Szenen. Mit einem Wort: effektvolles romantisches Theater im Stile eines Victor Hugo, wie es das Publikum in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts liebte und wie es auch noch das Publikum von heute über fünf Stunden hinweg begeistert.

Dazu diese eklektizistische Musik, die von der Romanze, den Bravourarien und den leicht süßlichen Duetten bis hin zu Chorälen und bombastischem Getöse alle Register zu ziehen und alle Gefühle anzusprechen weiß. Vom  Widerwillen gegenüber den fanatischen Fundamentalisten („Dieu le veut! Oui, Dieu veut le sang.“) bis zum Mitgefühl mit den Liebenden, die in einer Welt, wo Hass, Gewalt und Blutrausch herrschen, keine Chance haben.

Mit einem Wort: grandios inszeniertes Theater. Doch so altertümlich, so historisierend, so museal, dass es mir auf die Dauer langweilig geworden ist. Ja, warum soll Theatermacher Kriegenburg seine „Kunstfertigkeiten“ nicht einmal in der historisierenden Inszenierung einer klassischen ‚grand opéra‘ zeigen.  Keine Frage, dass ein so routinierter und zu Recht berühmter Theatermann wie Kriegenburg auch mit diesem Genre umzugehen weiß.

Doch die an ‚moderne‘ Inszenierungen gewöhnte Opernbesucherin erwartet ein bisschen mehr und erhofft sich neue Deutungen eines alten Stücks. Eine Aktualisierung des Fundamentalisten Themas bietet sich doch geradezu an. Mord und Totschlag im Namen eines Gottes ist doch heute wieder auf der Tagesordnung. Aktuell sind nicht minder die Hilflosigkeit und die Beschwichtigungsversuche wohlmeinender Politiker. Hinzu kommt, dass das, was Meyerbeer und Scribe als sein Librettist auf  die Bühne bringen, geradezu ein Albtraum ist, der nicht historisierend ins Museum der Geschichte weg geschoben werden sollte.

Das Publikum der ‚grand opéra‘ liebte und liebt eben die großen historischen Spektakel, diese Melange aus Herz und Schmerz und blutiger Historie. Die mörderischen Exzesse der Bartholomäusnacht liegen halt schon 445 Jahre zurück. Da kann man sich beruhigt zurücklehnen. Oder vielleicht auch nicht? Doch lassen wir die Inszenierung. Kriegenburg hat sich für eine historisierende Grundkonzeption entschieden und diese beeindruckend durchgezogen. Dass eine solche Konzeption der aus Deutschland angereisten Opernbesucherin missfällt, ist eine andere Sache.

Reden wir lieber von der Musik und den Sängerinnen. In Paris singen und agieren zwei grandiose Sopranistinnen: Lisette Oropesa in der Rolle der Königin und Ermonela Jaho als unglückliche  Liebende. Schöner und besser geht es kaum. Sie beide zu hören, ist ein Genuss. Gegenüber den beiden Damen hatte es der Tenor in der Hauptrolle sehr schwer. Doch wir wollen niemanden schlecht reden. Bei den Pariser Hugenotten dominieren halt die Damen. Dass im Graben unter der Leitung von Michele Mariotti exzellent musiziert wurde, versteht sich bei dem hohen Niveau des Hauses von selber.

Wir sahen und hörten die Aufführung am 20.Oktober, die achte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 28. September 2018.