Im Museum der ‚Grand Opéra’. Andreas Kriegenburg inszeniert Meyerbeer, Les Huguenots an der Opéra National de Paris

Wenn man wissen, hören, sehen will, was die grand opéra ausmacht, dann muss man dorthin fahren, wo sie entstanden ist: nach Paris. Dort gibt es dann alles auf einmal zu hören und zu sehen, was im frühen 19. Jahrhundert die Opernwelt bestimmte, ein Genre, dem sich weder Verdi noch Wagner entziehen konnten. Und die von viel oder auch zu viel Wagner und Verdi geschädigte Opernbesucherin glaubt bei Meyerbeer immer wieder Wagner und Verdi mitzuhören: Wagner bei den gewaltigen Chören und den Finalszenen, Verdi zum Beispiel in dem großen Liebesduett im vierten Akt. Vielleicht hat die Besucherin auch zu viel darüber gelesen, dass Verdi und vor allem der frühe Wagner, gewollt ob ungewollt, auf Meyerbeer zurück verweisen.

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Vom Erhabenen in der Seniorenresidenz. Krzysztof Warlikowski inszeniert Iphigénie en Tauride an der Opéra national de Paris

Die Iphigenie hatten wir zuletzt im vergangenen Jahr bei den Salzburger Pfingstfestspielen gesehen. Dort hatte die Regie aus Glucks „Tragédie lyrique“ einen Actionfilm gemacht und die Handlung in eine Kolchose verlegt, wo in schreiende Farben gekleidete Bäuerinnen unter der Leitung einer höchst depressiven Oberbäuerin von einem gewalttätigen Bürokraten dazu gezwungen werden, jeden Fremden, der sich in die Kolchose verirrt hat, abzuschlachten. Wie jeder Mythos lädt auch der Iphigenie Mythos zu aktualisierenden Varianten ein und dass dieser über ein gehöriges Gewaltpotential verfügt, ist offensichtlich. Entscheidend ist nur, ob man das Aktualisieren bis hin zu Banalität und Trash treiben und wie weit man das  Thema der Gewalt herausstellen will.

Vom Hyperrealismus, der nur zu leicht in die unfreiwillige Komödie umkippen kann und  von banaler Aktualisierung  und Trash, wie sie in Salzburg exerziert wurden, hält sich in Paris  die Regie fern. Für Warlikowski sind Iphigenie wie auch schon Orest Traumatisierte, die von ihrer Vergangenheit nicht loskommen und die diese immer wieder neu erleben. Er setzt auf eine vorsichtige und zurückhaltende Aktualisierung, macht aus Iphigenie eine elegante gekleidete alte Dame, die inmitten wohl  gut betuchter  Kriegerwitwen – sie legen zum Finale die Ordensspangen ihrer Männer an – ihre letzten Tage in einer Seniorenresidenz verbringt und die in einem Rückblick noch einmal die schrecklichen Geschehnissen in Tauris und dazu die Katastrophe ihrer Familie vom beinahe vollbrachten rituellen Mord an ihr selber über den Mord an ihrem Vater bis hin zur Ermordung ihrer Mutter durch deren eigenen Sohn erlebt. Dieser Rückblick gerät ihr zur Traumerzählung, in der sich die Katastrophe der Familie hinter einer Spiegelwand und ihre eigene Geschichte auf der Vorderbühne ereignen.

In diesem Doppelspiel, in dem sich die Ereignisse überlagern und die für die Träumende gleichzeitig stattfinden, ist die Rolle der Iphigenie doppelt besetzt.  Die von ihren  Albträumen geschlagene greise Iphigenie ist eine stumme Rolle für eine Schauspielerin. Die Iphigenie, die diese in ihren Träumen sieht, ist eine junge Frau, die Priesterin der Diana, die zur Schlächterin verdammt ist  und die im letzten Augenblick vom Brudermord bewahrt wird, eine Rolle, in der Véronique Gens, wie nicht anders zu erwarten war, brilliert.

Ein lieto fine, wie es Libretto und Musik wollen, kann es in diesem Scenario nicht geben. War die Rettung des Orest – sein Blut besudelter Hals spricht dagegen – vielleicht doch nur eine Wunschvorstellung der Iphigenie? Hat sie ihren Bruder doch abgeschlachtet? War der Tod des Tyrannen vielleicht nur ein Theatercoup? (Pylades sticht ihn in der Theaterloge ab, wo sich Thoas am Schauspiel der angeblich rituellen Ermordung des Orest weiden wollte). Die Regie lässt die Frage offen. Die Albträume der greisen Iphigenie enden erst mit ihrem Tod. Sie stirbt – in einer Nachstellung der Pietà – in den Armen einer Mitbewohnerin(?) des Greisenstifts.

Eine in jeder Weise faszinierende Inszenierung, eine Variante des  Mythos, die im Palais Garnier auch ein überwiegend touristisches Publikum zur Aufmerksamkeit zwingt.  Dass neben der Rolle der Iphigénie auch alle anderen Rollen herausragend besetzt sind, dass die ‚erhabene‘ Musik Glucks angemessen zelebriert wird, versteht sich im Pariser Opernhaus von selber.

Wir sahen am 2. Dezember 2016 die 20. Aufführung der Iphigénie en Tauride in dieser Inszenierung. Die Premiere war in der Spielzeit 2006/2007.

 

„Questo è il bacio di Tosca“. Ein großes Opernspektakel in der Bastille Oper

Für diese Pariser Tosca  hat man alles aufgeboten, was gut und teuer, nein, was mehr als gut und teuer ist. Weltstars auf der Bühne: Anja Harteros  als Operndiva Tosca, Bryn Terfel als sadistischer und machbesessener Baron Scarpia, Marcelo Álvarez als republikanisch gesinnter naiver Liebhaber Cavaradossi. Dass dieses ‚Trio celeste‘, mögen sie alle drei auch schon so viele Male ihre Rollen gesungen und gespielt haben, aus Puccinis Musik ein Sängerfest machen, das war zu erwarten. Dass sie so makellos, so brillant, so schön und dazu noch (dies gilt für die Harteros) so anrührend singen, ohne jemals zuckrig zu sein, ohne jemals in den süßen Puccini-Kitsch zu verfallen, das macht diese Pariser Tosca zum Ereignis.

Allerdings muss man Puccini lieben, bereit sein, sich den Emotionen, die seine Musik erweckt, um nicht zu sagen, ‚erregt‘, hinzugeben. Es ist ja auch alles da, was das spätromantische Herz begehrt, was das Mélodrame fordert, was das Publikum an der italienischen Oper immer wieder begeistert: Liebe, Lust und Eifersucht, Sex and Crime, Gewalt und Sadismus. Und dazu eine Personenkonstellation, die alle Beteiligten in Desaster und Tod führt. Eine schöne leidenschaftliche Frau, ein Bösewicht, der der Schönen Gewalt antun will und von dieser erdolcht wird, ein Liebhaber, dem seine Hilfsbereitschaft und Freiheitsliebe zum Verhängnis wird. Mit einem Wort: ein Opernkrimi mit Herz und Schmerz im Übermaß, stets in Gefahr im Kitsch zu ertrinken. Ja, wenn da  Maestro Ettinger die so eingängige Musik nicht stets vom Zuckerguss bewahrte, wenn da nicht die Sängerdarsteller mit ihrer Brillanz diesen Absturz  zu verhindern wüssten. Ja, dann hätte uns wohl nichts vor dem ‘Ertrinken, Versinken‘ bewahrt.… → weiterlesen

Das goldene Kalb ist ein müder Ochse. Romeo Castellucci inszeniert Moses und Aron an der Opéra National de Paris. Bastille

Arnold Schönberg macht heute niemandem mehr Angst. Ganz im Gegenteil. Seine Zwölftonmusik begeistert das Publikum, sorgt für ein volles Haus. Zumindest in Paris, wo der riesige Saal der Opéra Bastille bis zum letzten Platz ausverkauft war. Oder ist es vielleicht das biblische Thema, das  Schönbergs Oper so erfolgreich macht? Das ist ganz unwahrscheinlich, und  Romeo Castellucci, der in Personalunion für Regie, Ausstattung, Kostüme und Lichtdesign verantwortlich zeichnet, weist in seinen Vorbemerkungen zur Inszenierung ein mögliches Missverständnis auch gleich zurück: „ Der Moses, wie wir ihn hier zeigen, ist nicht der Moses der Bibel, sondern der Schönbergs, der Mensch Moses“.

In der Tat ist der Schönberg Moses kein Prophet, kein Heerführer, kein Handelnder, sondern ein Kontemplativer, ein introvertierter Logozentriker, der verzweifelt nach dem Wort, dem Logos sucht und dem sein Bruder und Gegenspieler Aron die Macht der Bilder entgegensetzt. In diesem Sinne ist die Regie nur konsequent, … → weiterlesen

Die Mär von der „Heiligen im Hurenkalender“ und in Almodóvars mediterraner Puppenstube: La Traviata und Il Barbiere di Siviglia an der Opéra National de Paris

Die Opéra Bastille bot  am vergangenen Wochenende ein Kontrastprogramm in vielerlei Hinsicht: La Traviata im Stile der Grand Opéra in reicher Ausstattung, in teuren Kostümen aus dem Zweiten Kaiserreich, historisierend, ohne eine Spur von Problembewusstsein, ohne den geringsten Versuch, zum Mythos der Kameliendame eine Variante anbieten zu wollen. Kein erotisches Glitzern – es  sei denn, man nehme das funktionslose prachtvolle Empire Bett, das im ersten Bild die Szene beherrscht, für ein erotisches Signal –  kein noch so schwacher Hauch von Verruchtheit, noch nicht einmal Sentimentalität oder gar Rührung.  Von Alexandre Dumas‘ Kameliendame  mit ihrer Lebensgier, ihrer morbiden Verbindung von femme fatale und femme fragile, von ihrer geheimen Sehnsucht nach der bürgerlichen Familie hat diese Pariser La Traviata nichts mehr. Violetta(im Outfit der Marguerite) darf immerhin in weißer Staatsrobe im ersten, in pastellfarbiger Robe im zweiten, in schwarzer Robe im dritten und im langen weißen Nachthemd im vierten Bild von der Rampe singen – und das macht sie sehr gut.  Und alle anderen Mitwirkenden tun es ihr gleich.  Kalt und perfekt, routiniert und emotionslos. Sie haben es halt schon hunderte Male in aller Welt gesungen. Da kann man nicht mehr erwarten.  Ein Glück, dass niemand  aus dem Publikum mitgesungen hat. Dieser süßliche, populäre Verdi-Kitsch lädt ja geradezu zum Mitsingen ein: „Parigi, o cara/caro, noi lasceremo“.

Allgemeine Begeisterung im Haus. Ich fand das alles nur öd und langweilig und versuchte mich an Konwitschnys so brillante La Traviata – Interpretation  zu erinnern. La Traviata als die Weise von Tod und Liebe für Voyeure, eine Deutung, die  die ‚Spaßgesellschaft‘ auf der Bühne und im Publikum, die sich am Leiden und an den Sehnsüchten der Kameliendame weidet, als sensationslüsterne Voyeure entlarvt.  Voyeure, die nach der Zärtlichkeit der liebes- und lebenssüchtigen Kameliendame gieren und sich am Sterben ihres Objekts der Begierde berauschen. Von all dem weiß das Regieteam in Paris nichts oder will davon nichts wissen. Es wollte wohl nur Opas Staatstheater mit Starsängern präsentieren. Und das ist ihm zweifellos gelungen.

Am Abend darauf, beim Barbier von Sevilla, war das Gegenteil zu besichtigen und zu hören. Ein Ensemble, in dem die Hauptrollen nicht unbedingt optimal besetzt waren. Doch zum Ausgleich dafür eine witzige und temperamentvolle Regie und eine Ausstattung, die mit der Regie offensichtlich um den ersten Preis wetteiferte.

Schauplatz des Geschehens ist ein ‚barrio popular‘, ein populäres  Viertel in irgendeiner mediterranen, vielleicht spanischen Stadt von heute: eine Straße mit leicht verfallenen Mietshäusern und der obligatorischen einfachen Bar. Im mittleren Haus, im Erdgeschoss und in der ersten Etage, wohnt der Doktor Bartolo. Und wenn sich dank der Drehbühne die Rückseite des Hauses öffnet, dann zeigen sich wie in einer Puppenstube eine Vielzahl von kleinen Wohnungen und Zimmern: die Karikatur einer kleinbürgerliche Idylle mit Küchen, Schlafzimmern, Salons. Und in diesen Puppenstuben treiben es zum Gaudi des Publikums die Leute halt so, wie es die Klischees wollen. Rosina, die Karikatur eines etwas in die Jahre gekommenen Punks, haust noch in ihrem Kinderzimmer, der Doktor Bartolo hat gleich daneben sein Bibliothekszimmer, in dem er sein Geld zählt. Im ersten Stock da gibt es den Salon und die Küche und den Balkon, den Bartolo gleich zumauern lässt, damit Rosina nicht vom Balkon auf das Auto herunterklettern kann, auf dem Almaviva, die Karikatur eines schwarzbärtigen Jungmannes,  seine Serenade singt,  nein nicht singt, sondern als Parodie eines Ständchens herunter knödelt. Figaro mit schwarzem langem Haar und im roten Anzug erfüllt ganz das Klischee eines Gitano, eines Zigeuners, aus Andalusien. Bartolo ist der reiche, sich ach so intelligent dünkende  gut situierte ‚Jubilado‘, der Rentner aus dem Mittelstand.

Damiano Michieletto,  Paolo Fantini und Silvia Aymonino, die für Regie bzw. Bühnenbild bzw. Kostüme verantwortlich zeichnen, zitieren und ironisieren, parodieren und karikieren eine Fülle  mediterraner Klischees, transferieren die Commedia dell’arte Figuren, mit denen das Libretto spielt, geistreich und witzig in unsere Gegenwart. So jagt  denn  ein Gag den anderen, dreht sich die Komödie – ganz wie es sich für eine Buffa gehört – immer schneller, wird immer atemloser. Und im Finale da tritt der Conte d‘Almaviva eben nicht, wie man das von den gängigen Inszenierungen her kennt, als eleganter Hochadliger auf, sondern bleibt das bärtige Männchen, das zur Identifikation seinen Personalausweis vorweist und mit dem ältlichen Punk auf dem schweren Motorrad davon braust.

So mancher im Publikum mag sich vielleicht gefragt haben, was dieses Männchen wohl mit dieser Jungfer  anfangen will.  Ganz einfach: dieses so scheinbar unpassende Liebespaar ist eine Parodie der Verliebten in der Commedia dell’arte, ist die Konsequenz der auf  Parodie setzenden Grundkonzeption der Inszenierung.

Pointiert gesagt: La Traviata ein Sängerfest, wie man es von einem großen Haus erwartet. Il Barbiere di Siviglia ein Fest der Regie und der Ausstattung, wie man es von einem traditionellen Haus nicht erwartet. Was wir in der Bastille sahen, war ja auch keine Produktion  der Opéra National de Paris, sondern eine Übernahme vom Grand Théâtre de Genève, eine Produktion, die Michieletto und sein Team dort im Jahre 2010 herausgebracht hatten.

Wir sahen La Traviata am 3. Oktober 2014 (die siebzehnte Aufführung in dieser Inszenierung)  und Il Barbiere di Siviglia am 4. Oktober 2014 (die siebte Aufführung in dieser Inszenierung).

Die Koma Patientin und die Opernvoyeurs oder Orphée et Eurydice am Théâtre de la Monnaie

Theatermacher Romeo Castellucci vermarktet Glucks Orpheus und Eurydice gleich zweimal: in der italienischen Version bei den Wiener Festwochen 2014 und jetzt in Brüssel in der französischen Version: eine Inszenierung, die mich beim ersten Sehen in Wien mit ihrem schamlosen Voyeurismus und ihrem vollständigen Mangel an Respekt vor einer Todkranken sehr verärgert, um nicht zu sagen, abgestoßen hatte.

Jetzt in Brüssel hat die Regie das so plakative, beschämende Spiel mit der Koma Patientin abgemildert und es dafür mit triefender Rührseligkeit überladen. War es in Wien eine junge Tänzerin, der eine große Karriere bevorstand und die von einem Augenblick auf den  anderen in einen Zustand kompletter Bewegungsunfähigkeit gefallen war, so ist es jetzt eine kinderliebe junge Frau aus der Unterschicht, der dieses Schicksal widerfährt. Und natürlich werden die entsprechenden ergänzenden Klischees aufgeboten: der untröstliche junge Ehemann, die Kinderlein, die zerstörte Idylle. Damit wir uns nicht missverstehen: die Geschichte von den beiden Schwerstkranken ist keine Fiktion, ist kein Theater, ist Wirklichkeit, keine mit den Mitteln des Theaters sublimierte oder gesteigerte Wirklichkeit, sondern krude Realität. Oder vielleicht doch nicht?

Die Regie tut mit ihrem ausführlichen Krankheitsbericht und der Vorgeschichte der jungen Frau, mit den Videoaufnahmen vom Weg zum Hospital,  mit den Live Aufnahmen von  der Klinik, vom Zimmer der Patientin, vom Gesicht und vom Haar der Patientin, die, über Kopfhörer angeschlossen, der Musik  live folgen soll, bis hin zu den Studiobedingungen im Opernhaus alles, um einen Anschein von Wirklichkeit zu produzieren. Doch war es nun wirklich die Wirklichkeit einer todkranken jungen Frau, die wir als Opernvoyeurs gesehen haben oder war das alles, was wir ansehen mussten, doch nur eine besonders raffinierte Form von Fiktion, bei der sich die Grenzen zur Wirklichkeit hin verwischen. War die Verwirrung der Zuschauer, das ‚wirkliche‘ Ziel, die ‚wirkliche‘ Grundkonzeption der Regie? Ich weiß es nicht.

Doch bleibt die grundsätzliche Frage bestehen: soll man, darf man, wenn man eine besonders ausgefallene Variante des Orpheus Mythos in Szene setzen will, das erbarmungswürdige Schicksal einer wirklichen Person mit fiktivem Geschehen vermischen, eine schwerkranke reale Person zu einer Figur des Theaters machen und diese und deren Krankheit zum Objekt der Schaulust des Publikums machen? Orpheus und Eurydike, das Theater der Sensationen mit einer Todgeweihten im Zentrum des Interesses? Sollte es das sein?

Ganz abgesehen davon: die Regie brauchte für ihre Variante des Orpheus Mythos gar nicht die im Wortverstande eingeschriebene und eingeblendete Erzählung von der Koma Patientin. Die Erzählung stört die an sich schon schlüssige und originelle Variante des Mythos doch nur: der Abstieg in die Unterwelt ist ein Abstieg in die Hölle der Intensivstationen. Alle Hoffnungen, die die „Götter in Weiß“ dem Besucher ihres Reiches machen, sind nur schnöde Illusionen. Aus der Hölle der Intensivstation gibt es keine Rückkehr ins Leben. Das lieto fine ist nur ein Arkadien Klischee, ein gemaltes Traumglück.

Eine Inszenierung, über die man sich ärgern, sich empören kann, die man, wie ich das noch in Wien getan habe, schlicht ablehnen kann und die mich jetzt in der Brüsseler Fassung eher unsicher gemacht hat. Eine Inszenierung, die zumindest originell, peinlich originell ist und die die so wunderschöne Gluck Musik mit Texttafeln in der Brecht Manie und mit, wenn auch letztlich zurückhaltenden, Videobildern zum Soundtrack degradiert. Und dabei wurde doch in Wien  und wohl mehr noch in Brüssel  so herausragend  schön musiziert und gesungen. Die Regie singt das Lied vom Tode. Die Musik erzählt vom Gegenteil.

Wir sahen die Aufführung im Théâtre de la Monnaie am 27. Juni. Die Premiere war am 18. Juni 2014.

Welch eine Befreiung, welch eine Erholung, nach dieser so zwiespältigen Brüsseler Aufführung am nächsten Abend in Paris im Palais Garnier Robert Wilsons Inszenierung von L’Incoronazione di Poppea zu erleben. Keine Frage, man muss den Manierismus  eines Wilson mögen. Man muss sich an  seinen manierierten Stil gewöhnen: an die vollkommen antirealistische Szene, an die rituellen, feierlichen Bewegungen der Darsteller, an ein Theater der ‚gedämpften‘ Leidenschaften, das, mag das Geschehen auch von Sex und Crime bestimmt sein, ganz im Sinne des klassischen französischen Theaters, alle konkrete Gewalt, alle Ausbrüche von Leidenschaft nicht in Aktionen, sondern  in Sprache und jetzt in der Oper  Monteverdis in Musik transponiert. Ja, und wenn dann, wie man es von der Opéra National erwartet, alle Rollen glänzend besetzt sind, dann sieht und hört man Oper vom Allerfeinsten. Hier wird anders als bei Castelluccis Orfeo keine Betroffenheit eingefordert. Hier ist Oper ein Fest der Schönheit, der Grazie, des Ästhetizismus, eben Oper als höfisches Fest.

Wir sahen die Aufführung am 28. Juni 2014.