Abschied ohne Wiederkehr. Eine opera seria ohne lieto fine. Leonardo Vinci, Didone abbandonata im Rokoko Theater Schwetzingen

Eine absolute Rarität ist in diesem „10. Winter in Schwetzingen“ zu hören. Vincis Oper vom Jahre 1726 in Händels Bearbeitung. Ein Pasticcio, so informiert Maestro Wolfgang Katschner konzis im Programmheft, bei dem Händel Rezitative gekürzt, Arien gestrichen, Arien anderer zeitgenössischer Komponisten eingefügt, doch am Stil der ‚Scuola di Napoli‘, zu deren herausragenden Vertretern Vinci zählt, nichts geändert hat. Auch die Händel Fassung haben Katschner und seine Mitarbeiter noch einmal bearbeitet und dabei – nicht zuletzt aus dramaturgischen Gründen – auf manches da capo in den Arien und auf manches Rezitativ verzichtet. Ob die vielen Striche notwendig waren, ob dabei vielleicht so manche Kostbarkeit verloren ging, das kann ich nicht beurteilen.

Wie dem auch sei. Dieses Schwetzinger Pasticcio begeistert alle Male. Und dies zu Recht. Was Solisten, Orchester und Szene boten, das war einfach exzellent. Zwei Countertenöre, Kangmin Justin Kim  als Enea und primo uomo, Terry Wey als Jarba und secondo uomo,  die geradezu um die Wette singen. Rivalen als Sänger, die als Bühnenfiguren um die Gunst der Didone kämpfen, der Primadonna in der Person der Rinnat Moriah, die als Sängerin, Schauspielerin und noch dazu als Bühnenerscheinung die Szene dominiert. Auch die drei kleineren Rollen sind ungewöhnlich gut besetzt.… → weiterlesen

„Heut – hast du’s erlebt“ – wie man in Schwetzingen Niccolò Jommelli erledigt

Es war doch alles so gut gemeint – und es war so schrecklich. In diesem Jahr soll der Komponist Jommelli gefeiert werden: vor dreihundert Jahren geboren, ein Star der Scuola di Napoli, eine Berühmtheit im Settcento, dessen Oper Fetonte mit großem Pomp im Jahre 1768 im Schloss von Schwetzingen uraufgeführt wurde.  Ja, warum soll man nicht zum Geburtstag des Komponisten mit einer Inszenierung des Fetonte an diese Uraufführung erinnern. Es war alles so gut gemeint – und es war so schrecklich.

Als Nichtmusiker kritisiere ich keine Sänger und keine Instrumentalisten. Doch mit Verlaub gesagt: es kann doch nicht sein, dass es bis zur Pause immer wieder hakt, dass Jommellis Musik immer wieder wie Katzenmusik klingt und dass, so schien es mir immer wieder, nur die Titelrolle angemessen besetzt ist. Es kann doch auch nicht sein, dass man einem Choreographen, der laut Programmheft zuvor noch nie eine Oper inszeniert hatte, eine opera seria als Spielwiese überlässt und dass dieser daraus eine Klamotte mit Metatheatereinlagen macht. Das soll nicht heißen, dass die eine oder andere Szene, wie zum Beispiel die Beschwörungsszene, nicht geglückt  sei oder dass manche Passagen wie zum Beispiel die Apollo Szene im letzten Akt  oder auch die Arien des Fetonte (in der Person des Countertenor Antonio Giovannini) nicht ahnen ließen, wie Jommelli klingen kann.

Doch alles in allem war es ein trister, verlorener Sonntagnachmittag. Man fährt frustriert nach München zurück und ärgert sich darüber, wie wenig Mühe  sich in Schwetzingen das Produktionsteam  mit einer „Ausgrabung“ gemacht hat.

Wir sahen die Aufführung am 21. Dezember im Rokokotheater. Die Premiere war am 28. November 2014.

 

 

Les enfants terribles erledigen eine favola pastorale. Johann Adolf Hasse, Leucippo bei den Schwetzinger SWR Festspielen

Eine Ausgrabung, so löblich sie auch immer ist, sollte, wenn sie denn gefallen soll, angemessen hergerichtet sein. Im Rokoko Theater in Schwetzingen, wo man nicht die Dresdner, sondern entsprechend der Örtlichkeit die „Schwetzinger Fassung“ vom Jahre 1757 spielt, hat man diesen ‚archäologischen‘ Grundsatz missachtet und Hasses Favola ziemlich verunstaltet. Die Mainzer Operndirektorin, die die Inszenierung verantwortet, hatte sich wohl in der Nachbarschaft umgesehen und dort entdeckt, dass sich in Gießen Händels Agrippina als Kindergeburtstagsparty in Szene setzen lässt. Und sie hatte sich wohl auch an Konwitschnys Klassenzimmer Lohengrin in Hamburg erinnert. Anregungen, die die Regie wohl aufgenommen hat, wenn sie Hasses arkadische liebeskranke Hirten in einen Haufen pubertierender, herum polternder Jugendlicher von heute verwandelt, die vom strengen Herbergsvater und seiner intriganten Assistentin nur mühsam gebändigt werden können. Ja, warum nicht. Der Mythos lebt bekanntlich in seinen Varianten, so abwegig sie auch sein mögen, und ein Klassiker soll sich ja dadurch auszeichnen, dass er einfach alles aushält.

Leider geht die aktualisierende Variante bei Pasquinis Libretto und Hasses Musik nicht so recht auf. Todesstrafe bei Übertretung des Liebesverbots und Selbstmord mit kräftig fließendem Theaterblut und zwanghaftem lieto fine durch Intervention der Assistentin (im Libretto der als Hirte verkleidete Gott Apollo). Eine Komödie mit opera seria Zutaten. Und dies alles unter randalierenden, pubertierenden, sich am ‚Frühlings Erwachen‘ ergötzenden und von den misslichen Konsequenzen einer verbotenen Passion verstörten Jugendlichen auf einer Klassenfahrt? Unfreiwillige oder beabsichtigte Komik und Erledigung der favola pastorale Tradition? Vielleicht war dies die Grundkonzeption der Inszenierung.

All dies ließe sich leicht hinnehmen, wenn wenigstens der Musik-Part überzeugt hätte. Doch dieser stand von Anfang an unter einem unglücklichen Stern. Die Primadonna konnte krankheitsbedingt die Rolle der unglücklich-glücklichen Daphne, die der Liebe verfällt, nur mimen. Ein unter vielen Mühen gefundener Ersatz mühte sich redlich im Orchestergraben, und man vermisste schmerzlich die „geläufige Gurgel“, den Schmelz, die exzellente Gesangskunst einer Franziska Gottwald, die als Primadonna vorgesehen war und die nur die Premiere hatte singen können. Wie Hasse klingen kann, wie wunderschön seine Arien sind, das wusste an diesem Abend (vielleicht als einzige der Mitwirkenden) Claudia Rohrbach in der Rolle des Delio/Apollo in aller Brillanz vorzuführen.

Hasses Musik, so bemerkt Maestro Junghänel im Programmheft, lebe von ihrer „Gesangsbezogenheit […] hier kommt die Musik förmlich aus der Stimme heraus, das ist einzigartig“(S.15). Wie schade, dass an diesem Abend in Schwetzingen diese „Gesangsbezogenheit“ so viel weniger als eigentlich erhofft zum Tragen kam. Hasse braucht  halt große Stimmen – wie man im Settecento wohl wusste. Es müssen ja nicht gleich Farinelli und Faustina Bordoni sein. Doch  ein ‚Abglanz‘ solcher Stimmen sollte es schon sein.

Wir sahen die Aufführung am 27. Mai 2014, die „Dernière“. Die Premiere war am 22. Mai 2014. Wie schade doch, dass unsere Musiktheater so selten Hasse auf ihr Programm setzen,