Abschied ohne Wiederkehr. Eine opera seria ohne lieto fine. Leonardo Vinci, Didone abbandonata im Rokoko Theater Schwetzingen

Eine absolute Rarität ist in diesem „10. Winter in Schwetzingen“ zu hören. Vincis Oper vom Jahre 1726 in Händels Bearbeitung. Ein Pasticcio, so informiert Maestro Wolfgang Katschner konzis im Programmheft, bei dem Händel Rezitative gekürzt, Arien gestrichen, Arien anderer zeitgenössischer Komponisten eingefügt, doch am Stil der ‚Scuola di Napoli‘, zu deren herausragenden Vertretern Vinci zählt, nichts geändert hat. Auch die Händel Fassung haben Katschner und seine Mitarbeiter noch einmal bearbeitet und dabei – nicht zuletzt aus dramaturgischen Gründen – auf manches da capo in den Arien und auf manches Rezitativ verzichtet. Ob die vielen Striche notwendig waren, ob dabei vielleicht so manche Kostbarkeit verloren ging, das kann ich nicht beurteilen.

Wie dem auch sei. Dieses Schwetzinger Pasticcio begeistert alle Male. Und dies zu Recht. Was Solisten, Orchester und Szene boten, das war einfach exzellent. Zwei Countertenöre, Kangmin Justin Kim  als Enea und primo uomo, Terry Wey als Jarba und secondo uomo,  die geradezu um die Wette singen. Rivalen als Sänger, die als Bühnenfiguren um die Gunst der Didone kämpfen, der Primadonna in der Person der Rinnat Moriah, die als Sängerin, Schauspielerin und noch dazu als Bühnenerscheinung die Szene dominiert. Auch die drei kleineren Rollen sind ungewöhnlich gut besetzt. Doch wir machen hier keine Sängerkritik. Die professionellen Musikkritiker werden sicherlich das eine oder andere zu bemängeln haben. Ich kann nur sagen, dass beeindruckend schön gesungen wurde und dass man es nur bedauern kann, dass die virtuosen Arien von Vinci und von Hasse (zwei Arien von Hasse wurden eingefügt) so selten auf der Bühne zu hören sind. Allenfalls konzertante Aufführungen sind gelegentlich zu hören. So zuletzt Vincis Catone in  Utica im Theater an der Wien.

Die Regie(Yona Kim) sieht von allem Spektakulären ab, setzt, ganz wie es dem Metastasio Libretto entspricht, auf Minimalismus, konzentriert sich auf die Seelenanalyse, auf die inneren Kämpfe der Protagonisten. Dieser Äneas, der sich schon zum Abschied bereit macht, immer wieder zögert, immer wieder hin und her gerissen zwischen seiner Leidenschaft für Dido und den Zwängen seiner imperialen Mission,  ist, wie er  in seinem weißen Outfit daher kommt, wie er da erschöpft sich auf einen Stuhl setzt, müde und desinteressiert  die Angriffe des Barbaren Jarba abwehrt, dieser Äneas  ist ein gebrochener, ein grüblerischer Held, ein typischer Metastasio Protagonist. Nicht von ungefähr hatte August Wilhelm Schlegel im Hinblick auf die Metastasio Figuren von einer „gewissen Weichlichkeit in den Gefühlen und in ihrem Ausdruck“ gesprochen. Genau diese Weichlichkeit in den Gefühlen“, so schien es mir,  hat die Personenregie zielbewusst und gekonnt herausgearbeitet.

So wenig wie die Inszenierung Äneas als strahlenden Helden vorstellt, so wenig präsentiert sie auch Dido als Herrscherin. Wie diese mit allen Registern der Liebesdiskurse  und mit der Sprache des Körpers um Äneas kämpft, ist sie, um noch einmal Schlegel zu zitieren, doch nur „eine liebesschmachtende Nymphe“, der die Musik in der Todesszene noch nicht einmal mehr eine Arie gönnt. Mit einem Recitativo accompagnato verabschiedet sie sich. Und zuvor darf der Barbar, den die Regie zur Karikatur eines lüsternen afrikanischen Macho macht, noch eine große Arie (eine Arie von Hasse) seitlich von der ersten Reihe des Parketts singen.

Ein in Musik und Szene ungewöhnlich gelungener Opernabend  im Rokoko Theater in Schwetzingen.

Wir sahen die Aufführung am 28. Dezember. Die Premiere war am 5. Dezember 2015.