Rossinis dramma giocoso vom Jahre 1825 ist eigentlich nichts anderes als ein unendlicher Reigen von herrlichen Melodien, ein Koloraturgezwitscher, ein Potpourri rührender Cavatinen, witziger Buffo-Duette, ein Auf und Ab von Arien, Duetten, Choreinlagen. Mit anderen Worten: eine grandiose musikalische Rossini-Show, in der noch dazu Maestro Rossini sich selber parodiert. Ein Spaß für die Sänger, ein Spaß für das Publikum.
Natürlich funktioniert das Ganze nur in einem Haus, das gleich eine ganze Schar von exzellenten Sängerinnen und Sängern aufbieten kann. Kein Zweifel, dass die Oper Zürich ein solch hochkarätiges Ensemble engagieren kann. Wen aus dem Ensemble soll man ausdrücklich nennen? Vielleicht Julie Fuchs als La Contessa di Folleville, die dank ihrer „geläufigen Gurgel“ so mühelos durch die Register eilt, so bravourös die Koloraturen zu zwitschern weiß. Oder Rosa Feola als Corinna, die so anrührend die Cavatinen singt oder Javier Camarena als Conte di Libenskof, ein brillanter Rossini-Tenor, der sich noch dazu selber zu parodieren weiß.
Bei dieser so grandiosen Rossini-Show ist die Inszenierung letztlich nur eine quantité négligeable. Doch in Zürich da will man es an gar nichts fehlen lassen und hat zu den Starsängern auch noch einen Starregisseur engagiert: Christoph Marthaler, der den Rossini Irrsinn auch noch szenisch auf die Spitze treibt. In einer Mischung aus Bonner Kanzler Bungalow und Schweizer Sanatorium (Abteilung Psychiatrie) streitet, lacht, flirtet eine buntgemischte Gesellschaft aus ganz Europa und treibt ihre Scherze. Und damit es für die wenigen Nicht-Rossini Fans, die sich in die Oper verirrt haben, nicht zu langweilig wird, erfindet die Regie gleichsam als pantomimisches Accompagnato zu den Musiknummern Parallelhandlungen.
Zitieren wir ein Beispiel aus den ersten Szenen: zu der berühmten Auftrittsarie der Contessa di Folleville (Nomen est Omen) gibt es einen verrückten Sketsch als szenische Beigabe. Ein Epileptiker, der gerade einen Anfall erleidet und dem noch dazu ein Infarkt droht, wird vom herbeieilenden medizinischen Notfallteam wieder ins Leben zurückgeholt. Und gleich gibt es einen zweiten Notfall: das Hündchen der Contessa ist ins Koma gefallen und kann nicht mehr wiederbelebt werden. Allgemeine Betroffenheit beim Team. Und zu diesem Sketsch zwitschert La Contessa di Folleville (Julie Fuchs) ihre Koloraturen. Vielleicht zehn Minuten lang? Vielleicht ohne Luft zu holen? In jedem Fall, ohne in Ohnmacht zu fallen.
Folie, nichts als Folie. Rossini-Folie über drei Stunden hinweg – szenisch unterlegt mit Marthaler Geschichten aus Absurdistan.
Ein großer Rossini-Abend im Opernhaus Zürich. Hoffen wir auf eine Wiederaufnahme in der nächsten Saison. Wir sahen die Aufführung am 27. Dezember 2015. Die Premiere war am 6. Dezember 2015.