„Die schöne Musi … da muß wa“ lachen. Herbert Fritsch inszeniert und bebildert Così fan tutte an der Staatsoper Hamburg

Im Laufe der Jahre haben wir schon so manche Così gesehen: tragische, komische, dümmliche, intelligente, subtile, pädagogische. Inszenierungen, die auf den Traumdiskurs als Grundkonzeption setzen, andere, die es lieber mit dem Metatheater halten, wieder andere, die es auf ein Switchen zwischen den Zeiten, auf ein Schweben zwischen der Welt des Settecento und der Welt von Heute zielen. Wieder andere begreifen Cosī fan tutte als ironisches Spiel mit den Liebesdiskursen des 18. Jahrhunderts. Die Möglichkeiten der Interpretation – so legen es Musik und Libretto nahe – sind anscheinend unbegrenzt.

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Hommage an die Kunst. Der Achim Freyer Parsifal an der Staatsoper Hamburg

Vor gerade einem Monat haben wir Parsifal „am geweihten Ort“, in Bayreuth, erlebt – und waren enttäuscht. Natürlich wusste ‚das unsichtbare Orchester‘ die Parsifal Musik angemessen zu zelebrieren. Natürlich waren fast alle Rollen brillant besetzt. Doch die eher unsägliche Inszenierung, die das Geschehen mühsam zu aktualisieren suchte und sich letztlich in einer Utopie des Gutmenschentums und in einer Propaganda Show der ‚Willkommenskultur‘ verlor, trug nicht unbedingt zum Wagner-Rausch bei.

Von all diesen gut gemeinten, doch letztlich nur ärgerlichen Aktualisierungen und banalen Botschaften ist Achim Freyers Hamburger Parsifal weit entfernt, Lichtjahre entfernt. In Hamburg ereignet sich eine geradezu perfekte Harmonie von Bild- und Klangmagie, ein Spektakel, das – so vor allem im ersten Aufzug – das Publikum in einen Sog von Bildern und Klängen hineinzieht.

Die in  rot-schwarzem Dämmerlicht gehaltene, in Halbkreisen und Galerien aufsteigende Bühne zeigt Chiffren, Zahlen und Figuren, schwarz gekleidete Gestalten mit weiß geschminkten Gesichtern, zeigt einen Amfortas als Schmerzensmann, einen Christus, der vom Isenheimer Altar herunter gestiegen zu sein scheint, zeigt einen Parsifal Tor als Harlekin und eine schwarz eingehüllte Kundry mit bleichem Gesicht und dunkel geschminkten Augen. Eine „Höllenrose“, eine Hexengestalt aus der Märchenwelt? ‚Das weiß ich nicht‘.

Die Fülle der fragmentarischen Verweise erschlägt geradezu: Matthias Grünewald, Bruegel, die Surrealisten, Klee, Miró, Grosz, Botero, die Nazarenos aus der Semana Santa in Sevilla. All dies ist versammelt, und noch vieles mehr. Eine Fülle heterogener Zeichen und Figuren, die den Zuschauer faszinieren und zugleich verwirren. Nennen wir das das, was wir auf der Bühne sehen oder auch nur erahnen können, die ‚Bibliothek von Babel‘ der Kunstgeschichte, die zum Leben erwachte Bibliothek oder auch das konkret gewordene ‚imaginäre Museum‘.

Und dazu dieser unendliche Sog der Musik, einer Musik, der man sich nicht entziehen kann, die gleichsam in einen Traum einlullt. Zu Recht zitiert das Programmheft in diesem Zusammenhang die bekannten Verdikte Nietzsches gegen Wagner: Wagner der Verführer. „Die Musik als Circe“. „Der Parsifal wird in der Kunst der Verführung ewig seinen Rang behalten als Geniestreich der Verführung. […] Ah dieser alte Zauber! Dieser Klingsor aller Klingsore!“

Mit seinen magischen Bilderwelten, seinem Rausch aus Farben und Figuren hat Achim Freyer dem „Verführer großen Stils“ gleichsam zugearbeitet, und Kent Nagano    und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg tun  das Ihrige, auf dass „die Musik als Circe“ fungiere, als unendlicher Klangteppich, als Droge zum Wagner-Rausch.

Die Hamburger Staatsoper bietet eine Parsifal Aufführung, die zu den besten gehört, die ich in den letzten Jahren gehört und gesehen habe. Wir besuchten die Vorstellung am 24. September 2017, die Premiere b. Die Premiere war am 16. September 2017.

 

 

 

 

 

 

 

Im Museum des Regietheaters. Die Hamburgische Staatsoper nimmt Konwitschnys Lohengrin und Deckers Salome wieder auf

An die zwanzig Jahre alt ist die Lohengrin Inszenierung, und die Salome bringt es noch auf ein par Jahre mehr. Und doch wirken beide nicht wie  Relikte aus grauer Vorzeit wie so mancher Opernschinken, den die großen Häuser jahrzehntelang  im Repertoire haben. Ganz im Gegenteil. Beide Inszenierungen sind nicht im geringen abgespielt, faszinieren noch immer. Und hat man Gelegenheit wie jetzt Hamburg, sie nacheinander an zwei aufeinander folgenden Abenden zu sehen, dann entdeckt man eigentümliche Parallelen. Dass Herodes ein Pädophiler ist, dass Salome mit dem von ihm geforderten Tanz diesen an seine Gelüste erinnert und dass sie den Lustgreis mit dem Messer des „jungen Syrers“ geradezu aufschlitzen will, das mag man aus dem Libretto herauslesen. (Über Deckers Salome, die wir vor nunmehr sechs Jahren schon gesehen hatten, findet der Interessierte im Zerlina Blog eine Notiz). Dass indes auch die Person des Lohengrin, wie ihn Konwitschny sieht, nicht ganz frei von pädophilen Neigungen ist, das ist eine eher ungewohnte Variante des Mythos. Und doch ergibt sie sich konsequent aus der Regiekonzeption.

In Hamburg spielt eine Schulklasse, eine Laienspielschar im kaiserlichen Deutschland, Lohengrin, und alle, Lehrer wie Schüler, spielen mit. Der beliebteste und von allen Mädchen umschwärmte Lehrer mimt den Lohengrin. Die Mädchen drängen sich um ihn, streiten um seinen Mantel. Eine linkische, zur Schwärmerei neigende große Blonde hat es Oberlehrer Lohengrin besonders angetan. Und sie macht die Elsa. Ein tölpelhafter, übergewichtiger Jungmann spielt den Telramund, und die kleine rothaarige Zicke ist die böse Hexe Ortrud. Der Klassensprecher ist der König, und der den Zeigestock oder auch den Rohrstock schwingende Junglehrer macht den Heerrufer. Spielort ist das Klassenzimmer mit den alten ausgedienten Bänken, dem Podium für den Lehrer und der grünen Wandtafel, auf der sich die Personenkonstellation und noch manches andere skizzieren lassen.

Lohengrin als ‚Frühlings Erwachen‘ für Pubertierende? Nein, eher nicht. Angesagt ist wohl Lohengrin als Nestroy Posse. Ja, warum nicht. Die komischen und parodistischen Elemente im Lohengrin hatten ja schon die Zeitgenossen Wagners gesehen, und die Regie stellt sich wohl auch in diese Tradition – und variiert sie. In Hamburg beginnt die Komik schon bei der Kostümierung. Ehrwürdige Choristen  treten als kurzbehoste Schüler auf, und nicht mehr ganz junge Damen zwängen sich in Mädchenkleider und albern wie Gören. Im ersten Akt geht die Nestroy Posse noch so einigermaßen auf. Doch je weiter die Handlung voran schreitet, wird der Kontrast zwischen Spiel auf der Bühne und Musik aus dem Graben immer größer, wird die Musik immer übermächtiger und drängt die Schülerposse beiseite. Im dritten Aufzug, im zweiten Bild, kapituliert schließlich die Regie und gibt alles Possenhafte auf, unterwirft sich geradezu der Musik und setzt dann doch noch in die Schlussakkorde hinein einen starken Akzent. Aus den Schülern sind junge Männer geworden und aus den Ranzen Tornister. Versammlungsort ist nicht mehr das helle Klassenzimmer, sondern ein dunkler Platz. Der junge Gottfried, der da im Wortverstande aus der  Versenkung auftaucht, ist ein Kind mit Stahlhelm und Maschinenpistole. Die Posse ist aus. Die Tragödie des ersten Weltkriegs beginnt.

Kein Zweifel. Eine eigenwillige und spektakuläre Inszenierung ist in Hamburg zu sehen, die mit den gängigen Floskeln wie Theater auf dem Theater, Metatheater, Aktualisierung, Variante des Mythos, Komik und Posse nicht zu fassen ist. Mir scheint, es ging um etwas anderes, um etwas, das  schon bei der Ouvertüre deutlich wurde. Bei den so einschmeichelnden Klängen, bei der so sanften und doch so wirkungsvollen Wagnerdroge, die Maestro Nagano mit dem  Philharmonischen Staatsorchester Hamburg bereitete, schien es mir, als ob der alte Streit über der Vorrang der Musik gegenüber Wort und Szene  implizit noch einmal aufgenommen würde: Prima la musica, dopo le parole (dopo la messa in scena). In Hamburg siegte im Streit der Künste die Musik.

Wir sahen die Aufführung am 24. November 2016, die „43. Vorstellung seit der Premiere am 18. Januar 1998“.

 

Sommergäste am Meer – Traum- und Puppenspiel in Partituren. Jürgen Flimm inszeniert Le Nozze di Figaro an der Staatsoper im Schiller Theater. Stefan Herheim an der Staatsoper Hamburg

Ein Zufall, dass zwei renommierte Staatsopern Mozarts und Da Pontes Commedia per musica nahezu gleichzeitig herausbringen: am 7. November war die Berliner Premiere, am 15.  November die Hamburger. Ein Zufall, dass in beiden Häusern renommierte Theatermacher für die jeweilige Produktion verantwortlich zeichnen. Ein Vergleich der beiden Inszenierungen bietet sich geradezu von selber an.

Wir wollen nicht vom musikalischen Part sprechen. Jeder Vergleich wäre in diesem Fall nicht sehr fair: in Hamburg steht das hauseigene Ensemble auf der Bühne und singt und spielt wie es dem Niveau eines großen Musiktheaters entspricht. Mehr war nicht zu erwarten. Und mehr wurde auch nicht geboten. In Berlin hingegen  hat man zu den schon allseits bekannten großen Namen des Hauses wie Anna Prohaska als Susanna  und Katharina Kammerloher als Marcellina für die weiteren tragenden Rollen noch dazu Stars der internationalen Opernszene engagiert:… → weiterlesen

Oratorium mit Tragödien-Intermezzi. Berlioz, Les Troyens an der Staatsoper Hamburg

Les Troyens, ein hybrides Werk, in dem sich Grand Opéra und Tragédie lyrique überlagern, sind eine Rarität auf den deutschsprachigen Bühnen. Und dies schon deswegen, weil die Oper Längen, „gefährliche Längen“, hat. Eine komplette Aufführung würde angeblich gut fünfeinhalb Stunden dauern. So verteilt man die Aufführung – so vor vier Jahren in Karlsruhe –  auf zwei Abende, spielt am ersten Abend die Kassandra Tragödie und die Zerstörung Troias und am zweiten die Dido Tragödie. Oder man streicht wie jetzt in Hamburg die Oper auf gut drei Stunden zusammen und spielt beide Teile an einem Abend. Die Strichfassung haben in Hamburg nicht der Dirigent oder gar der Regisseur hergestellt. Hier hat man diese undankbare Aufgabe dem Komponisten und Berlioz-Experten Pascal Dusapin anvertraut.… → weiterlesen

„Wie schön ist die Prinzessin Salome…“Eine Wiederaufnahme der Salome an der Staatsoper Hamburg

„Wie schön ist die Prinzessin Salome…“ Eine Wiederaufnahme der Salome an der Staatsoper Hamburg

Nein, schön ist sie  wirklich nicht die Prinzessin von Judäa, wie sie sich uns da in Willy Deckers jetzt fünfzehn Jahre alter Inszenierung in Hamburg  präsentiert. Sie ist eine glatzköpfige Schaufensterpuppe im langen weißen Flatterkleid. Glatzköpfig und jetzt noch dazu mehr oder weniger monumentale Kleiderständer sind auch Herodes und Herodias, Narraboth und der Page.  Mannequins, Marionetten, Kunstfiguren sind sie alle, die da dem machtvollen, selbstsicheren Fundamentalisten mit langem Haar und langem Bart, grauer Mönchskutte und weitem Mantel gegenübertreten.… → weiterlesen