Das Oratorium als Horrorstück. Claus Guth setzt in Amsterdam Händels Jephtha in Szene

Im Alten Testament, im Buch der Richter, auf das Händels Jephtha verweist, findet sich eine Variante des Iphigenie Mythos: für das Kriegsglück opfert der Anführer seine Tochter. Die biblische Variante des Mythos verbindet sich mit einem Mythem aus dem Idomeneo Mythos: der Anführer gelobt, die erste Person, die ihm nach seiner glücklichen Heimkehr begegnet, zu opfern. In Händels Oratorium gibt es wie in den beiden zitierten Mythen ein ‚lieto fine‘. Weder die antiken Götter noch der alttestamentarische Gott nehmen das Menschenopfer an.

Von einem ‚lieto fine‘ und von mythischen Zeiten will die Regie in Amsterdam nichts wissen. Aus Händels Oratorium macht sie ein Kriegsstück und kontaminiert dieses mit einer Psychostudie und einem Horrorfilm. Erzählt wird vom Sieg des heutigen Israel über seine feindlichen Nachbarn. Anführer der Israelis in diesem Konflikt ist ein aus dem Exil zurückgekehrter General mit Namen Jephtha, der sich zu dem Schwur hinreißen lässt, bei einem Sieg einen Menschen zu opfern. Dass ihm das Idomeneo  Geschick widerfahren könnte, sein eigenes Kind, in seinem Fall seine Tochter Iphis, töten zu müssen, ist dem Militär in seiner Hybris entgangen. Doch Versprechen ist Versprechen. Gelübde ist Gelübde. Befehl ist Befehl. Mag der stolze General dabei auch zum Jammerlappen mutieren und die ihn  tragende  Gesellschaft zu einer Horde gnadenloser Schranzen werden. Ungerührt schauen sie zu, wie sich die Vorbereitungen zur Hinrichtung der Tochter quälend in die Länge ziehen. Und jetzt – im dritten Akt – wird aus dem Kriegsstück und aus der Psychostudie über einen rücksichtslosen Militär, der über Leichen geht, wenn es nur Gott und Vaterland wollen, ein Horrorfilm. Ein Horrorfilm, der sich in Sadismus weidet, der zeigt, wie die Masse und die sadistischen Henker im Priesterrock die Tochter, mag sie auch im letzten Augenblick durch die mutige Intervention einer Frau mit dem Leben davon kommen, in den Wahnsinn treiben. Ihr Ende ist das Irrenhaus. Und alle preisen Gott – wie es sich ziemt für ein Oratorium.

Passen ein solcher Horrorfilm, eine solch erbarmungslose Psychostudie, ein solch modernes Kriegs- bzw. Antikriegsstück zu Händels Musik? Erschlägt die Szene nicht die Musik? Ich weiß es nicht. Ich maße mir kein Urteil an. Wie dem auch sei. In jedem Fall erlebte das Publikum ein Fest des Regietheaters und zugleich ein Sängerfest – mit Richard Croft in der Titelrolle, mit Anna Prohaska als Tochter und Bejun Mehta in der Rolle des Hamor.

Wir sahen die Aufführung am 11. November, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 9. November.

 

 

Sommergäste am Meer – Traum- und Puppenspiel in Partituren. Jürgen Flimm inszeniert Le Nozze di Figaro an der Staatsoper im Schiller Theater. Stefan Herheim an der Staatsoper Hamburg

Ein Zufall, dass zwei renommierte Staatsopern Mozarts und Da Pontes Commedia per musica nahezu gleichzeitig herausbringen: am 7. November war die Berliner Premiere, am 15.  November die Hamburger. Ein Zufall, dass in beiden Häusern renommierte Theatermacher für die jeweilige Produktion verantwortlich zeichnen. Ein Vergleich der beiden Inszenierungen bietet sich geradezu von selber an.

Wir wollen nicht vom musikalischen Part sprechen. Jeder Vergleich wäre in diesem Fall nicht sehr fair: in Hamburg steht das hauseigene Ensemble auf der Bühne und singt und spielt wie es dem Niveau eines großen Musiktheaters entspricht. Mehr war nicht zu erwarten. Und mehr wurde auch nicht geboten. In Berlin hingegen  hat man zu den schon allseits bekannten großen Namen des Hauses wie Anna Prohaska als Susanna  und Katharina Kammerloher als Marcellina für die weiteren tragenden Rollen noch dazu Stars der internationalen Opernszene engagiert:… → weiterlesen