Ein Fest der Stimmen sind diese beiden Händel Opern alle Male. Wenn man Rinaldo, die opera seria, die man schon so viele Male , sei es in München in der David Alden Inszenierung, sei es kürzlich in Frankfurt als eine Art Comédie Ballet, gesehen hat, wenn man wie jetzt in Wien Rinaldo nur hört, dann fasziniert dieses Fest der Stimmen umso mehr. Es sind nicht nur die so bekannten Schlager oder Ohrwürmer: „Cara sposa, amante cara, dove sei?“, „Augelletti, che cantate“, „ Lascia ch‘io pianga mia cruda sorte“, auf die man geradezu gespannt wartet. Noch so manche andere Arie wie zum Beispiel Rinaldos Wettstreit mit den Trompeten „Or la tromba in suon festante“ begeistern das Publikum und geben Sängerinnen und Sängern Gelegenheit, mit ihren „geläufigen Gurgeln“ zu brillieren. Und wenn dann zu Almirenas „Augelletti, che cantate“ die Blockflöten von den Rängen herab ‚zwitschern‘ und gleich fünf Trompeten mit dem Counter wetteifern oder wenn der Cembalist in Nachahmung Händels eine große Soloszene hat, ja dann ertappt man sich bei dem Gedanken, ob nicht doch konzertant live für manche Oper die angemessene Aufführungspraxis wäre. Doch wenn man sich an den Münchner Händel Zyklus erinnert oder an den Orlando denkt, wie ihn Claus Guth jetzt in Wien in Szene gesetzt hat, dann verwirft man diesen ketzerischen Gedanken gleich wieder und glaubt von neuem an die Macht des Musiktheaters.… → weiterlesen
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Strindberg Hölle nebst Traumdiskurs, Apokalypse und Kunsthistorie. Beat Furrer, Violetter Schnee. Eine Uraufführung an der Staatsoper unter den Linden
Was ist das für ein krudes, disparates Zeug, das da mit großer Kunstfertigkeit, solidem Bildungsbürgerwissen und mit nicht geringen Anforderungen an Vorkenntnisse und Imagination der Zuschauer in der Staatsoper präsentiert wird. Was ist das für eine schrecklich simple Musik, die zwischen Lärm und einem Soundtrack für Weltraumexpeditionen changiert, eine Musik, die den Kritiker der FAZ zu lyrischen Ergüssen animierte und die doch nur fad und langweilig ist und auch dem aufgeschlossenen Zuhörer auf die Dauer auf die Nerven geht. „Aufstiebender Graupel von Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten und Saxophon gerbt uns das Ohr“ (Jan Brachmann in der FAZ am 15. Januar 2019). Schön ist die Musik. Noch schöner ist es, wenn sie aufhört. So ungefähr heißt es mit milder Ironie in Die schweigsame Frau. Von milder Ironie kann beim violetten Schnee nicht die Rede sein. Hier regiert in Szene und Musik eher der Bierernst.
Doch lassen wir den Soundtrack. Die Musikhistoriker werden ihn zu beschreiben und einzuordnen wissen. Sprechen wir lieber vom Stück und seiner szenischen Umsetzung. Was wird eigentlich erzählt? Eine Schreckensvision, die im Kunsthistorischen Museum von Bruegels Gemälde Die Jäger im Schnee ausgelöst wird. Eine ausführliche Beschreibung des Bildes, die zu Beginn des Stücks eine weiß gekleidete Frau vorträgt. Eine Wiedergängerin aus dem Totenreich? Eine Irre, die Identifikationsmöglichkeiten sucht? Eine Horrorgeschichte, in der Bruegels Gestalten lebendig werden, aus dem Bild heraustreten und immer wieder stumm durch die Szene geistern. Eine Psychohölle, die sich fünf Personen bereiten, die von einem Schneesturm in einem einsamen Haus eingeschlossen wurden und die immer mehr in Traum und Wahn abgleiten. Die Wiederkehr einer Selbstmörderin. Ein Weltuntergang, der wohl von einem Ausbruch auf dem Planeten Mars, dem roten Planeten, ausgelöst wurde. Jetzt verstehen wir auch den etwas befremdenden Titel des Stücks. „Violetter Schnee“ ist keine barocke Metapher, sondern ganz konkret zu verstehen: der rote Planet färbt bei seinem Ausbruch den Schnee.
„Zu viel! Zu viel!“. Ein hybrides Libretto, das °basierend auf einer Vorlage von Vladimir Sorokin“ Händle Klaus fabriziert hat. Motive, Themen und Geschichten, die sich überlagern und ineinander übergehen und die Claus Guth mit leichter Hand (manchmal auch etwas krampfhaft) zu durchaus gelungenen Szenen zusammenfügt. Man denke zum Beispiel an die finalen Szenen: Tote, Untote, vielleicht noch Lebende, alle nur noch als schemenhafte Gestalten erkennbar, verharren im Schneegestöber. Ein roter Sonnenball – vielleicht der Planet Mars? – nähert sich immer bedrohlicher. Das Ende der Welt. (Damit es auch jeder im Zuschauerraum merkt, dass das Ende nahe ist, zitieren die Übertitel die Apokalypse).
Und doch, mag auch die eine oder die andere Szene faszinieren, bleibt ein eher trister Gesamteindruck: was uns da in Szene und Musik vorgeführt wird, das ist Schnee von gestern, „Ce sont les neiges d’antan“.
Wir besuchten die Aufführung am 16. Januar, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 13. Januar 2019.
Die melancholische Witwe. Claus Guth inszeniert an der Oper Frankfurt Die lustige Witwe
Über dreihunderttausend (sic!) Mal , so erfährt man im Magazin der Oper, sei seit ihrer Uraufführung im Jahre 1905 Die Lustige Witwe in aller Welt schon aufgeführt worden – „ein Welterfolg“. Aus Omas Wunschkonzert kennen wir alle die Ohrwürmer: das Vilja-Lied, den Walzer „Lippen schweigen“ und so manch anderen Hit, den Johannes Heesters angeblich noch im Alter von einhundert Jahren auf der Bühne sang. Jedes Programheft, das auf sich hält, zitiert Beispiele aus der Rezeptionsgeschichte: banale („Der Walzer ‚Lippen schweigen‘ verkörpert alle Wünsche der weiblichen Psyche“) und (pseudo) gelehrte. Unter letzeren dürfen Carl Kraus und Adorno nie fehlen. Sie alle mögen ja den Sachverhalt getroffen haben, besser gesagt: einen Teil davon. Ich gebe gerne zu, dass ich gegenüber Libretto und Musik meine Vorurteile habe: diese Mischung aus Balkanfolklore, Pariser Fin du Siècle, Lebewelt und Demi- Monde, Beziehungskiste und gehörnten Ehemännern, versoffenen Kleinstaat- Diplomaten und der Macht des Geldes als letztlich alles bestimmender Textgenerator. Auch mit der Musik, mag sie wie jetzt in Frankfurt auch noch so temperamentvoll und eingängig präsentiert werden, kann ich nicht so recht etwas anfangen.
Und warum bin ich überhaupt hingegangen? Wenn Marlis Petersen singt und spielt und wenn noch dazu Claus Guth inszeniert, dann kann man immer einen „großartigen Abend“ erwarten. Und das war auch in Frankfurt der Fall. Wie Marlis Petersen die melancholische Witwe singt und gestaltet, die nicht mehr ganz junge Frau, die ihren Jugendfreund, ihre erste Liebe, zurückgewinnen will, das ist schon ein Ereignis (Ich muss allerdings gestehen, dass sie mir als große Tragödin, als Violetta oder Maria Stuarda, noch besser gefällt).
Und wie Claus Guth die Klischees des Librettos neu montiert, wie er ein simples Libretto mit Parallelgeschichten ergänzt und überhöht, auch dies ist ein Ereignis. Die Inszenierung versteht sich als ‚work in progress‘ und als ‚Theater auf dem Theater‘. Wir befinden uns in den Kulissen und Künstlergarderoben eines Filmstudios, wo Die lustige Witwe gedreht wird, wo ein genervter Regisseur immer wieder in das Geschehen eingreift und seine Leute zusammensucht, wo Kameramann und Scriptgirl auf der Szene sind, wo die Diva ständig mit ihrem Partner streitet – Hanna und Danilo, die sich noch aus ihrer Zeit in den balkanischen Wäldern kennen und noch manche Rechnung miteinander offen haben. Die private Geschichte der beiden Sängerschauspieler überlagert sich zum Ärger des Regisseurs mit dem Geschehen auf der Bühne. Und nicht nur dort. In den Künstlergarderoben geht das Streiten der beiden weiter. Ein Streiten, das sich im Finale im happy end auflöst – oder auch nicht. Das Schlussbild zeigt eine melancholische Diva, die einsam vor dem Spiegel in ihrer Garderobe sitzt.
Keine Frage, dass dies alles unterhaltsam und sophisticated gemacht ist und dass überdies auch die Erwartungen eines Operettenpublikums, das Tänze und Feste Revueeinlagen und Balkanromantik sehen will, erfüllt werden. Theatermacher Guth zerstört nicht das Operettenlibretto. Er macht die eher verborgenen Schichten des Libretto sichtbar: die unerfüllten und unerfüllbaren Sehnsüchte und die mit diesen verbundene Melancholie, Nuancen, die ein oberflächliches Operetten Trallala verschüttet.
Wir besuchten die Aufführung am 3. Juni 2018, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 13. Mai 2018.
Albträume eines Sado-Maso? Lucio Silla am Teatro Real in Madrid
Eine opera seria des jungen Mozart, die im Jahre 1772 in Mailand uraufgeführt wurde, wie soll man die in Szene setzen? Eine opera seria, in der sich ganz klassisch Arie an Arie reiht, in der die Primadonna brilliert und in deren Schatten auch der Primo Uomo seine Kunstfertigkeit zeigen darf und der Tenor, wenngleich ihm die Titelrolle zukommt, musikalisch in den Hintergrund gerückt wird und auch vom Handlungsverlauf her nicht gerade bella figura machen darf. Zweifellos eine Herausforderung für jeden Theatermacher.
Anders als vor Jahren in Salzburg, als ein berühmter Theatermann kläglich am Lucio Silla scheiterte, als er getreu der political correctness und gegen Musik und Libretto den Diktator Sulla meucheln, die Sänger auf der weiten Bühne der Felsenreitschule hilflos herum stehen und die Musik von einer Statistenhorde zertrampeln ließ, anders als der Salzburger Theatermann hat Regisseur Claus Guth eine intelligente und geistreiche Konzeption entwickelt.
Bei Guth bleibt alles Geschehen in der Schwebe, werden dem Zuschauer unterschiedliche Zugänge suggeriert.… → weiterlesen
„La froide majesté de la femme stérile“ oder Nachtmären in der gynokolischen Klinik. Die Frau ohne Schatten an der Staatsoper im Schiller Theater
Ich mag diese glitzernde Strauss Musik. Ich mag das manchmal so hohle Pathos. Ich mag diese so rauschhafte Klangfarbenpracht und nicht minder das selige Pianissimo. Ich mag diese so nostalgische Dekadenz. Ich mag all das, mit dem Strauss sein Publikum zu verzaubern weiß.
Wie immer in den Strauss Opern dominieren auch in der Frau ohne Schatten die weiblichen Stimmen. Wenn wie jetzt in der Staatsoper fast alle hohen Stimmen zu brillieren wissen und das Gleiche für Tenor und Bass gilt und wenn noch dazu die Staatskapelle im Strauss-Klang geradezu zu schwelgen weiß und Maestro Zubin Mehta den Solisten im Orchester ausgiebig Gelegenheit gibt, mit ihrer Kunstfertigkeit zu beeindrucken, ja dann bleiben eigentlich keine Wünsche offen.
Und doch bleibt ein gewissen Unbehagen, ein Unbehagen, das nicht von der Musik herrührt, sondern … → weiterlesen
Eine postfreudianische Harry Potter Show mit politischen Implikationen. Rodelinda am Teatro Real in Madrid
Wie soll man eine Händel Oper in Szene setzen, eine ganz klassische opera seria, in der sich Arie an Arie reiht, die sich auf zwei Duette beschränkt, in der gleich zwei Countertenöre um die Wette singen, in der Sopran und Mezzosopran, Tenor und Bass brillieren. Eine Oper, deren Libretto von den üblichen Machtspielen, von den Ränken um die Herrschaft, von Rivalitäten und Eifersüchteleien und natürlich von der Liebe erzählt. Mit anderen Worten, in der es ganz konventionell um Macht und Leidenschaft geht und in der die entsprechenden Diskurse durchgespielt werden.
David Alden hatte in seiner Münchner Inszenierung, die dort vor mehr als zehn Jahren zu sehen war, die Handlung ins … → weiterlesen