Und die Orgie mit den Balletteusen geht weiter, und fromme Mädchen kommen in den Himmel – vielleicht

Zwiespältig ist der Eindruck, den der Amsterdamer Tannhäuser hinterlässt..Das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Maestro Albrecht musiziert grandios, reicht dem Publikum die berüchtigte Wagner Droge und wird zusammen mit seinem Dirigenten zu Recht gefeiert. Musiker und Maestro sind die Stars des Abends. Allein was aus dem Graben klang, fand  nicht immer den entsprechenden Widerhall auf der Bühne. Anders ausgedrückt: nicht alle Rollen waren, wie man das in Amsterdam gewohnt ist und auch erwartet, optimal besetzt. Nach einem matten ersten Aufzug, in dem sich Tannhäuser offensichtlich sehr schont und Venus sich nicht minder zurückhält, fragt man sich beklommen, wie das wohl weiter gehen soll. Die Sorge war unbegründet. Es ging ganz passabel weiter. Ein  – so will es die Regie – noch von Venus berauschter Tannhäuser singt  beim Sängerkrieg die Konkurrenten leicht nieder, mimt und singt dann gekonnt den Jammerlappen. Und auch die gefürchtete Rom Erzählung gelingt ihm ohne Schwierigkeiten. Doch warum die Regie aus dem stimmlich so geforderten Sänger unbedingt einen nervösen aufgekratzten Typen machen musste, der von einer mütterlichen Venus halbherzig flieht und beim scheuen Kuss einer altjüngferlichen Elisabeth gleich ausrastet, das habe ich nicht verstanden.

Pardon, wir machen keine Sängerkritik. Das steht uns nicht an. Sagen wir nur ganz vorsichtig. Der Tannhäuser ist für Daniel Kirch wohl nicht unbedingt die ideale Rolle. Und bei den beiden Damen hätte man sich in Stimme und Bühnenerscheinung ein bisschen mehr erotische Ausstrahlung gewünscht. Zumal es ansonsten auf der Bühne an  Erotik  und verkrampftem und unterdrücktem Sex nicht mangelte.… → weiterlesen

Absurdes Theater, Western, Schwarze Romantik nebst Science Fiktion – Geschichten aus der neuen Opernwelt, erlebt in Amsterdam und Brüssel

Alljährlich im Frühjahr veranstaltet De Nationale Opera in Amsterdam ein Festival des neues Musiktheaters –  „Opera Forward Festival“, und das Théâtre de la Monnaie, die Brüsseler Oper, will da nicht nachstehen. So besuchten wir in Brüssel eine „Welturaufführung“: Frankenstein mit der Musik von Mark Grey, in Amsterdam die Erstaufführung einer Übernahme aus  Milano: Fin de Partie mit der Musik von György Kurtág, die im vergangenen Jahr an der Scala uraufgeführt wurde. Und dann sahen wir noch ein John Adams /Peter Sellars Opus: Girls oft he Golden West.

Sagen wir es gleich, ohne Umschweife. Modern, geschweige denn avantgardistisch war keine dieser Aufführungen. Anspruchsvoll in der Musik, ohne indes die Zuhörer zu überfordern, war allenfalls Kurtágs Oper. Ein allerdings auf die Dauer – man spielte ohne Pause mehr als zwei Stunden –  ermüdender Klangteppich. Vielleicht waren es auch nur locker aneinander gereihte Fetzen von Musik unterschiedlicher Art. Vielleicht waren es auch vielfach variierte Zitate. Hinzu kommt, dass sich das „absurde Theater“ – der Komponist vertonte das bekannte Stück von Samuel Beckett – vor allem durch eines auszeichnet: durch gezielte Langweile. Durch gezielte Langweile bis zum Überdruss soll der Zuschauer provoziert werden. Überdruss soll er erleiden angesichts nichtiger Figuren und deren banalem Geschwätz. Wagners Wotan hätte diese Ergüsse auf einen Satz gebracht: „Nur eines will ich noch: das Ende“.… → weiterlesen

Judith und die SS-Männer oder eine Résistance Heldin wider Willen. Eine peinlich verfehlte Inszenierung von Vivaldis Oratorium Juditha Triumphans an De Nationale Opera Amsterdam

 

Vivaldis Oratorium (sacrum militare oratorium), das im  Jahre 1716/1717 in Venedig von den jungen Damen des Ospedale della Pietà uraufgeführt wurde, erzählt die bekannte Episode aus dem Buch Judith des Alten Testaments: um ihre Stadt und ihre Glaubensgenossen vor den feindlichen Assyrern zu retten, geht die schöne Judith in das Lager der Feinde, gewinnt dort die Gunst des Anführers und tötet diesen.

Eine effektvolle Personenkonstellation – femme fatale erledigt den mit Hybris geschlagenen Macho – und eine nicht minder effektvolle politische  Parabel vom Sieg der Unterdrückten über die Unterdrücker.

Personenkonstellation und Parabel bilden für einen Theatermacher von heute mit realistischem Horizont und antifaschistischer Gesinnung geradezu eine Steilvorlage. Ganz in diesem Sinne macht Regisseur Floris Visser aus der Episode aus dem Alten Testament eine Heldenmär, die sich im zweiten Weltkrieg in einem von der SS  besetzten Land ereignet, die Jagd auf Juden macht. Die Zutaten bieten sich geradezu von selber an: Deportationen, Gewalt, Vergewaltigung, Erschießung von Résistance- Kämpfern, sadistische SS-Männer und ein Obersturmbannführer, der sich von der schönen Judith, die sich als Attentäterin mehr oder weniger freiwillig anbietet, leicht verführen lässt. Die Folgen für ihn und seine Männer sind offensichtlich.… → weiterlesen

Theatermacherin Lotte de Beer erledigt Rossini. Ein desaströser Il Barbiere di Siviglia an De Nationale Opera Amsterdam

Im Rossini Jahr – vor 150 Jahren verstarb der Komponist in Paris – sollte man keine Grand Opéra und keine Buffa des Maestro versäumen. Im Theater der Wien sahen und hörten wir zu Beginn der Spielzeit Guillaume Tell – in einer in Musik und Szene herausragenden Produktion, und jetzt waren wir in Amsterdam beim Barbiere di Siviglia, einem so berühmten und so viele tausend Male aufgeführten Melodramma buffo, wo man eigentlich nichts falsch machen kann.

In Amsterdam hat man eine besondere Leistung vollbracht.

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„Brangäne, du – Sag, wo sind wir?“ Tristan und Isolde an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, wir sind nicht an „Kornwalls grünem Strand“. Wo sind wir? Das fragt sich nicht nur Isolde. Das fragt sich auch der Zuschauer im Amsterdamer Opernhaus. Im ersten Akt sind wir wohl irgendwo in archaischer Zeit. Vielleicht in Japan? Vielleicht in einer Bob Wilson Inszenierung: statuarische Bewegungen. Licht- und Schattenspiele. Gestalten in langen grauen Mänteln. Oder sind wir vielleicht – ganz wie es das Libretto will – in den Luxuskabinen eines Schiffs? Sind die mit Jugendstil Ornamenten verzierten Vorhänge vielleicht stilisierte Segel?

Im zweiten Akt sind wir auf einem Friedhof. Die todessüchtigen Liebenden tragen Schwarz, nutzen flach liegende Grabsteine als Sitz- und Ruhegelegenheiten. Erzählte Zeit ist vielleicht ein unbestimmtes Mittelalter. Der König – von der Kutte her, die er trägt, zu urteilen – ist wohl der Abt eines Klosters. Seine Diener sind mit Spießen bewaffnet. Der Bösewicht Melot, ein rüstiger Greis mit Rollator, sticht mit seinem Taschenmesser zu.

Aber vielleicht ist der Friedhof mit der Fülle seiner phallisch aufgereckten Pflanzen zugleich ein Treibhaus und verwiese damit auf ein in der Dekadenzliteratur häufig genutztes erotisch konnotiertes Bildsymbol. Und dann stünde der phallische Friedhof für die Symbiose von Eros und Thanatos, wäre die szenische Realisierung des dominanten Leitmotivs in Tristan und Isolde, dem Eins-Sein von Liebe und Tod.  War das die Intention von Regisseur und Bühnenbildner? Vielleicht.

Im dritten Akt lösen sich die  Rätsel von Zeit und Raum. Jetzt sind wir beim Beckett Müll gelandet. Estragon und Wladimir alias Tristan und Kurwenal warten auf Godot alias Isolde. Sie kommt immerhin anders als Godot. Zu spät, wie es das Libretto verlangt. Im Finale macht die Regie noch einmal eine Kehrtwendung, kehrt zur Bob Wilson Manier des Anfangs zurück. Isolde singt ihr „Mild und leise […]“, ihr „ertrinken – versinken“ als schwarzer Schattenriss im Bob Wilson Licht.

In Amsterdam – dies ist anscheinend die Grundkonzeption der Inszenierung – hat Pierre Audi, der langjährige Intendant des Amsterdamer Musiktheaters, wohl seinen eigenen Abschied inszeniert, hat noch einmal auf frühere Arbeiten und die berühmter Gastregisseure verwiesen.

Doch lassen wir die Inszenierung. Zum Tristan geht man nicht wegen der Inszenierung, auch nicht wegen der „Handlung“, sondern – eine banale Bemerkung – wegen der Musik. Mag Nietzsche auch versucht haben, uns glauben zu machen, dass Wagner „die Musik krank gemacht habe“, dass er mit seiner Musik uns „hypnotisieren“ wolle. Es stört uns nicht. Im Gegenteil. Wir lieben die Wagnerdroge. Und auch so wie sie Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest bereitet: nicht  rauschhaft, sondern – so vor allem im dritten Akt – düster, traurig, verzweifelt. Der „Liebestod“ nur ein Wahn – ganz im Einklang mit der Inszenierung.

Auf der Bühne Stars des internationalen Musiktheaters. Da gibt es nichts zu bekritteln: Stephen Gould als Tristan, Ricarda Merbeth als Isolde, Günther Groissböck als König Marke, Michelle Breedt als Brangäne.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Februar 2018. Die Premiere war am 18. Januar 2018.

 

 

Die lustigen Mannsbilder von Paris. La Bohème an De Nationale Opera Amsterdam

Ja, wie lustig ist doch das Studentenleben, Pardon : das Künstlerleben in Paris. Da hat man zwar kein Geld, und frieren im Winter muß man auch. Aber zum Ausgleich hat man immer Spaß miteinander.

Ja, wenn da nicht Eros und Thanatos wären, die stören das lustige Leben beträchtlich und hinterlassen ‚Betroffenheit‘. Die schwindsüchtige Mimi – sie ist doch so sanft und so schön, zwar nicht so sexy wie die Violetta, aber eine Femme fragile mit der morbiden Erotik der brustkranken jungen Frauen ist auch sie. Sie alle machen die Männer ‚verrückt‘. Und diese Mimi mit der „gelida manina“ betört den armen Poeten  Rodolfo im ersten Akt und dringt im Finale in die lustige Männerrunde ein und legt sich dort einfach zum Sterben nieder – und rührt diese und uns im Publikum noch immer, immer wieder schon seit mehr als einhundert Jahren – ganz gleich, in welches Ambiente sie die Inszenierung steckt : in die literarische Traumwelt des Poeten wie einst in Leipzig in der inzwischen legendären Konwitschny Inszenierung, in die Welt gestrandeter Astronauten, so soll, folgt man dem Feuilleton der  FAZ  von heute, dem 4. Dezember, Claus Guth in der Bastille Oper La Bohème in Szene gesetzt haben oder ganz simpel ‚realistisch‘ wie sie Benedict Andrews in Amsterdam versteht.

„La gelida manina “ und ihr Pendant „Mi chiamano Mimi“ sind , zumal Puccini sie leitmotivisch variiert, halt Ohrwürmer, deren sentimentaler Wirkung der Zuhörer sich kaum entziehen kann. Mag er sich auch noch so oft sagen: „ich kann dieses Zu Viel, diese Zuckersüße, vulgo: diesen Kitsch, der so ungeniert an Herz und Schmerz der Zuhörer appelliert, ich  kann dies alles nicht mehr ertragen“.

Musik und mit ihr die Szene tun alles, um den Eindruck der Rührseligkeit und des Kitschs zu optimieren. Aus dem Graben klingt es sanft und süß. Dort schwelgt man geradezu im Piano und im Pianissimo. Mimi in der Person der Eleonora Buratto singt so brillant und so anrührend, dass so manche Dame im Publikum mit ihr leidet und so mancher anämische Jüngling das Hüsteln vergißt.

Rodolfo In der Person des Sergey Romanovsky singt ständig von der Liebe, und im Finale da jammert er wie Alfredo. Nein, er setzt noch eins drauf – so verlangt es wohl die Regie von ihm – und landet mit amore und dolore und belle lacrime in den Armen seines Freundes  -und damit unweigerlich im Kitsch. Doch schön und mit dem Puccini Schmelz  ( nicht Schmalz! ) singt er alle Male.

Regie und Ausstatter haben für unsere lustigen Mannsbilder ein lichtes Atelier gebaut, in dem sie im Winter frieren und im Sommer toben  dürfen und den kleinen Mädchen, die im Garten schaukeln, zuschauen können. Ein latentes erotisches Signal , ein unmarkierter, fragmentarischer Verweis auf die Kunstgeschichte? So subtil kann die Regie, die mit Ausnahme des dritten Akts ganz auf ‚realistisch‘ setzt, wohl nicht sein. Nur im Finale des dritten Akts geht es bedeutungsschwer zu. Da rieseln vom Sternenhimmel die Schneeflöckchen herab, und Mimi und Rodolfo schreiten, die Hände ineinander verschlungen, ins Dunkle. Und wieder sind wir im Kitsch gelandet.

„Allein, was tut‘s“. Das Publikum ist begeistert, und der Bravo-Brüller schreit seine Lust noch in die letzten Takte hinein.

Wir besuchten die Aufführung am 3. Dezember 2017, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 1. Dezember.

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