Ja, wie lustig ist doch das Studentenleben, Pardon : das Künstlerleben in Paris. Da hat man zwar kein Geld, und frieren im Winter muß man auch. Aber zum Ausgleich hat man immer Spaß miteinander.
Ja, wenn da nicht Eros und Thanatos wären, die stören das lustige Leben beträchtlich und hinterlassen ‚Betroffenheit‘. Die schwindsüchtige Mimi – sie ist doch so sanft und so schön, zwar nicht so sexy wie die Violetta, aber eine Femme fragile mit der morbiden Erotik der brustkranken jungen Frauen ist auch sie. Sie alle machen die Männer ‚verrückt‘. Und diese Mimi mit der „gelida manina“ betört den armen Poeten Rodolfo im ersten Akt und dringt im Finale in die lustige Männerrunde ein und legt sich dort einfach zum Sterben nieder – und rührt diese und uns im Publikum noch immer, immer wieder schon seit mehr als einhundert Jahren – ganz gleich, in welches Ambiente sie die Inszenierung steckt : in die literarische Traumwelt des Poeten wie einst in Leipzig in der inzwischen legendären Konwitschny Inszenierung, in die Welt gestrandeter Astronauten, so soll, folgt man dem Feuilleton der FAZ von heute, dem 4. Dezember, Claus Guth in der Bastille Oper La Bohème in Szene gesetzt haben oder ganz simpel ‚realistisch‘ wie sie Benedict Andrews in Amsterdam versteht.
„La gelida manina “ und ihr Pendant „Mi chiamano Mimi“ sind , zumal Puccini sie leitmotivisch variiert, halt Ohrwürmer, deren sentimentaler Wirkung der Zuhörer sich kaum entziehen kann. Mag er sich auch noch so oft sagen: „ich kann dieses Zu Viel, diese Zuckersüße, vulgo: diesen Kitsch, der so ungeniert an Herz und Schmerz der Zuhörer appelliert, ich kann dies alles nicht mehr ertragen“.
Musik und mit ihr die Szene tun alles, um den Eindruck der Rührseligkeit und des Kitschs zu optimieren. Aus dem Graben klingt es sanft und süß. Dort schwelgt man geradezu im Piano und im Pianissimo. Mimi in der Person der Eleonora Buratto singt so brillant und so anrührend, dass so manche Dame im Publikum mit ihr leidet und so mancher anämische Jüngling das Hüsteln vergißt.
Rodolfo In der Person des Sergey Romanovsky singt ständig von der Liebe, und im Finale da jammert er wie Alfredo. Nein, er setzt noch eins drauf – so verlangt es wohl die Regie von ihm – und landet mit amore und dolore und belle lacrime in den Armen seines Freundes -und damit unweigerlich im Kitsch. Doch schön und mit dem Puccini Schmelz ( nicht Schmalz! ) singt er alle Male.
Regie und Ausstatter haben für unsere lustigen Mannsbilder ein lichtes Atelier gebaut, in dem sie im Winter frieren und im Sommer toben dürfen und den kleinen Mädchen, die im Garten schaukeln, zuschauen können. Ein latentes erotisches Signal , ein unmarkierter, fragmentarischer Verweis auf die Kunstgeschichte? So subtil kann die Regie, die mit Ausnahme des dritten Akts ganz auf ‚realistisch‘ setzt, wohl nicht sein. Nur im Finale des dritten Akts geht es bedeutungsschwer zu. Da rieseln vom Sternenhimmel die Schneeflöckchen herab, und Mimi und Rodolfo schreiten, die Hände ineinander verschlungen, ins Dunkle. Und wieder sind wir im Kitsch gelandet.
„Allein, was tut‘s“. Das Publikum ist begeistert, und der Bravo-Brüller schreit seine Lust noch in die letzten Takte hinein.
Wir besuchten die Aufführung am 3. Dezember 2017, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 1. Dezember.