L’imagination: „la reine des facultés“ – Johannes Erath inszeniert Les Contes d’Hoffmann als Fest der Phantasie, des Traums und des Theaterzaubers an der Semper Oper

So viele Male haben wir Hoffmanns Erzählungen nun schon gesehen. In Berlin, in der Komischen Oper, da drehte sich alles um den genialischen Trunkenbold  und seine phantastisch-groteske Welt. Im Alkoholdelirium eines fast vergreisten Hoffmann werden dessen jugendliche Doppelgänger und deren Geschichten wieder lebendig, und vergeblich sucht der alte Hoffmann, seine Wiedergänger, sein Alter Ego, vor der Katastrophe zu bewahren. In Bregenz waren Hoffmanns Erzählungen zum Revuetheater, in dem sich  alle Identitäten und alle Gattungsformen auflösen, geworden. In München macht man es sich ganz einfach. Da engagiert man zwei Stars der internationalen Opernszene für die Hauptrollen und macht von der Inszenierung nicht viel Aufhebens – das gängige Rezept, mit den sich ein großes Haus immer füllen lässt.

Eigentlich kann ich diese spätromantische Gefühlsduselei, den süßen Kitsch, die so zahlreichen Ohrwürmer nicht mehr ertragen – und gehe trotzdem immer wieder hin. Die Offenbach Musik ist halt so schön und so eingängig. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass wir im Abstand von nur wenigen Tagen gleich zwei Werke von Offenbach sehen durften – in Inszenierungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: in der Oper Stuttgart einen musikalisch und szenisch drögen und langweiligen Orpheus und in der Semper Oper Les Contes d’Hoffmann als Fest der Stimmen, der überbordenden Phantasie und des Theaters auf dem Theater.… → weiterlesen

Im Ästhetizismus schwelgen oder Apoll als SS-Offizier? Capriccio und Daphne an der Semperoper Dresden

Im Rahmen der „Richard-Strauss-Tage“ bot die Semperoper ein Kontrastprogramm, wie es schärfer wohl nicht sein kann. Daphne, eine „bukolische Tragödie“ – so der Untertitel – und Capriccio, „ein Konversationsstück für Musik“ sind bekanntlich in der Nazi-Zeit entstanden und uraufgeführt worden. Bedeutet dies, dass, wenn man diese beiden Stücke in Szene setzt, ein Zeitbezug unbedingt hergestellt werden muss? Soll man die Daphne Tragödie, wie es die Intention des Komponisten und seines Librettisten will, sich in ferner unbestimmter mythischer Zeit ereignen lassen oder soll man sie aktualisieren? Soll man Capriccio, wie es seine Schöpfer intendierten, in der Rokoko-Zeit spielen lassen, in Rokoko-Kostümen Künstler und Adlige Salongespräche über die Hierarchie der Künste, über die gegenseitige Abhängigkeit von Wort und Musik und Szene führen lassen, alle Diskussionen in der Schwebe lassen und all dies mit einer galanten Liebesgeschichte verbinden und auch diese in der Schwebe lassen? Mit anderen Worten: soll man einfach Theater spielen, eine Oper, die von der Entstehung einer Oper erzählt, eine Metaoper, in Szene setzen?

In Dresden hat man sich für beide Möglichkeiten entschieden. Im Capriccio schwelgen Szene und  Orchester und Gesang in Schönheit und Glanz, lässt im Finale die berühmte amerikanische Sopranistin noch einmal geradezu wehmütig all die Virtuosität erklingen, die Strauss den Frauenstimmen in seinen Opern und Liedern zugedacht hat. Im Capriccio gibt  es keinerlei Zeitbezug. Es sei denn, man versteht dieses bedingungslose Ästhetisieren als Opposition und Protest gegen die Barbarei jener Zeit. Strauss hätten die so ganz seinen Wünschen entsprechende sanfte Interpretation seiner Musik und auch die Szene wohl gefallen. Eine vor mehr als zwanzig Jahren entstandene Marelli Inszenierung in der Tradition Ponnelles.

Ein Strauss Abend, wie man ihn in dieser Perfektion, in dieser perfekten Konventionalität, selten sieht und hört.

Am Abend zuvor Daphne: eine plakative Transponierung des Geschehens in die Zeit des SS-Staats.  Eine recht eigenwillige und ziemlich waghalsige Variante des Daphne-Apollo Mythos schlägt Torsten Fischer vor.  Daphne, die sich den Zwängen der rauschhaften Feste und dem Druck des Volkes und ihrer Eltern entzieht, ist Sophie Scholl.  Apollo wird zum über Leben und Tod befindenden hohen SS Offizier, der mit seinen gewaltbereiten Männern in das Fest einbricht und sich einer verschüchterten Daphne/Sophie nähert. In diesem Ambiente ist es nur folgerichtig, dass der verschmähte Liebhaber  Leukippos von Kostüm und Maske her ein Hitlerjunge ist und dass der SS Offizier seinen Rivalen von seiner Garde liquidieren lässt. Nicht genug damit. Aus der scheuen Liebesgeschichte zwischen Apollo und Daphne, wie sie das Libretto andeutet, wird eine amouröse Beziehung zwischen Sophie und dem stattlichen blonden Offizier. Selbstverständlich fehlen weder die jubelnden Massen, in die Sophie alias Daphne Flugblätter wirft noch die schwarz gekleideten Juden, die von den SS Männern zu einer Grube hin abgeführt werden. Im Tode gruppieren sich die Abgeführten zu einer Verästelung, zu einem nur eben angedeuteten  Gezweig.  Daphne wird im Finale zu den Toten hinunter steigen. Die Verwandlung in einen immer grünenden Lorbeerbaum, das heißt in ein Eins-Werden mit der Natur, wie sie die klassische Variante des Daphne- Mythos will, findet nicht. Verwandlung heißt für Daphne/Sophie Eins-Werden mit dem Tod.

Aus der „bukolischen Tragödie“, die Strauss und sein so gern geschmähter Librettist Joseph Gregor im Jahre 1938 für Dresden kreierten, hat die Regie ein makabres, wohl gezielt provozierendes  Horrorstück aus der Nazizeit gemacht. Ein Horrorstück, das Orchesterklang und Gesang, waren beide auch noch so brillant, geradezu erschlägt. Prima la messa in scena e poi la musica. Man mag die Variante des Mythos, die Torsten Fischer in Szene setzt, für abwegig halten. Doch immerhin wird der ‚Kern‘ des Mythos: die übermächtige vernichtende Gewalt und die Verwandlung bewahrt. Und  konsequent und stringent und noch dazu spannend erzählt ist die Inszenierung alle Male.

Wir sahen Daphne am 15. November 2014 (die Premiere war am 2. Oktober 2010). Capriccio am 16. November 2014 – die „46. Vorstellung seit der Premiere am 28. November 1993“.

 

Geschichten vom Herrn Mandryka. Arabella an der Semperoper

Eine recht seltsame Veranstaltung war da am Montagabend im Rahmen der Dresdner „Richard-Strauss-Tage“ 2014 zu erleben. Ein ausverkauftes Haus, die Kohorten der internationalen Luxus-Rentner im Parkett und im Rang, ein (wie nicht anders zu erwarten) begeistertes Publikum, das kritiklos alle Mitwirkenden feiert, der  bekannte Dresdner Stardirigent am Pult, eine Regie, die den Zuschauer nicht im geringsten fordert, zwei ‚Weltstars‘ der Opernszene als Protagonisten. Und – man mag es kaum glauben –in den ersten beiden Aufzügen pure Langeweile. Die Musik plätschert halt so dahin – uninspiriert und desinteressiert. Wollte uns der berühmte Maestro hören lassen, dass der späte Strauss in der Arabella wohl doch nur der Epigone seiner selbst sei? Erst im dritten Aufzug da dreht die Musik auf. Da erklingt endlich die glitzernde oder, wenn man so will, die kitschige Strauss-Musik, die so fasziniert und einlullt. Da wird dann endlich „lyrische Komödie“ gesungen und gespielt.

Pure Langeweile in den ersten beiden Akten  – mit Ausnahme der Szenen, in denen Mandryka (in der Person des Thomas Hampson ) auftritt. Ein Sänger und Darsteller, der mit seiner Bühnenpräsens und seiner machtvollen Stimme alle anderen Mitwirkenden geradezu an die Wand singt und spielt und dabei auch die so berühmte Sopranistin recht blass aussehen lässt. Natürlich bezaubert Anja Harteros noch immer mit ihrer so wunderschönen Stimme, ist  sie noch immer eine Strauss-Sängerin par excellence. Doch wenn das Regieteam  sie zur sentimentalen Zicke macht, die von Kindheit an auf den bärenstarken Mann, auf den „Richtigen“ wartet, sie  noch dazu in eine so ärmlich wie uncharmant  wirkende hellblaue Abendrobe steckt, dann hat sie es gegen einen so übermächtig wirkenden Hampson zusätzlich schwer. Von der Regie darf sie keine Hilfe erhoffen. Die lässt der Einfachheit halber meist von der Rampe singen  und begnügt sich mit Mätzchen. Nur zwei  Beispiele: damit wir auch alle im Publikum mitkriegen, wie Arabellas Traummann beschaffen ist, dürfen wir einen Blick ins Kinderzimmer werfen: dort spielt Arabella als Kind nicht etwa mit einem Teddybär, sondern hockt vor einem riesigen  Bären. Nicht genug damit. Damit  auch die gänzlich Unbedarften im Publikum merken, dass Mandryka  der Arabella den Himmel auf Erden bereiten will, tritt zur ersten Begegnung des Paares ein Double auf, fährt mit dem Fahrstuhl auf halbe Höhe, mimt dort ein Liebespaar oder, wenn man so will, ein heiliges Paar in himmlischen Höhen. Ja, wir wissen noch aus den Wiener Operetten: die Liebe ist eine Himmelsmacht.  War das nun Ironie oder Parodie? Ich fürchte, es war ernst gemeint.

Was soll man da noch mehr sagen? Dass die als Jüngling verkleidete Zdenka so hübsch androgyn ist und auch noch brillant zu singen weiß, dass das Leutnant Matteo auch nach der kurzen Liebesnacht mit der Zdenka nicht weiß, ob er hetero oder vielleicht doch schwul ist und deswegen schmollend in der Ecke stehen muss, dass der spielsüchtige Papa  nebst Gräfin und Kartenaufschlägerin für diesen Abend freien Ausgang aus dem Sängeraltenheim bekommen haben, dass der Besetzungszettel den Librettisten Hofmannsthal unterschlägt, dass es Programme schon eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn nicht mehr gib? Oder soll man noch hinzufügen, dass zwei Weltstars zwar einen lukullischen Abend bereiten können. Aber Musiktheater ist das nicht. „Allein was tut’s“.  Ich hab‘ Euch singen gehört. Und es war grandios. Vergessen wir den Rest.

Wir sahen die Vorstellung am 10. November, die zweite Aufführung seit der Premiere am 7. November 2014.

 

 

„So bist nun ewig du verdammt“ und endest im Selbstmord oder im Puff der Madame Venus. Zwei Wiederaufnahmen des Tannhäuser an der Semperoper und an der Oper Frankfurt

Gleich zwei Wiederaufnahmen aus der Konwitschny Schule erlebten wir an den letzten beiden Wochenenden. Ich sage bewusst ‚erleben‘, denn große Opernabende waren in der Tat in Dresden und in Frankfurt zu erleben. Die Semperoper zeigte wieder Konwitschnys spektakulären Tannhäuser, der vor nunmehr über sechzehn Jahren Premiere hatte. Und in Frankfurt stand Vera Nemirovas Tannhäuser Inszenierung vom Jahre 2007 wieder auf dem Programm. Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: gäbe es einen Wettstreit der beiden Inszenierungen, dann gewänne alle Male die Semperoper den ersten Preis. Ginge es um den musikalischen Part, dann gebührte der Frankfurter Wiederaufnahme wohl der erste Preis.

Den Tannhäuser der Semperoper hatte ich vor über fünf Jahren schon einmal gesehen und war damals restlos begeistert: „Ein grandioser Opernabend, an dem es nichts zu bekritteln gibt“ – das hatte ich mir damals notiert. Jetzt bei der Wiederaufnahme muss man leider ein paar Abstriche machen. Natürlich schwelgte die Staatskapelle in Wagners „Klangfarbenpracht“ (Bernd Loebe). Doch die Aufführung litt von Anfang an an einem Handicap: der Sänger der Titelrolle war schon bei seinem ersten Auftritt indisponiert und hielt nur mühsam den ersten Aufzug durch, konnte in den folgenden Akten nur den Tannhäuser mimen, und ein Sänger des Ensemble musste kurzfristig die Gesangsrolle von der Seitenbühne aus übernehmen. Und das machte  er nach zögerndem Beginn recht brillant und rettete so die Aufführung.

Doch für all dies Ungemach entschädigt Konwitschnys Inszenierung, die auch nach all den Jahren keine Spur von Patina angesetzt hat und noch immer fasziniert und in der noch immer berückende Einzelheiten zu entdecken sind.  Erträumt sich Tannhäuser im ersten Akt ein Orpheus Schicksal? Sind die Gespielinnen der Venus, die Tannhäuser Marionetten zerreißen, Mänaden, die auch ihn bald zerreißen werden?  Sind die Wartburgsänger Judenkarikaturen? Wird im Finale des zweiten Aufzugs Goya und sein Zyklus Desasters de la Guerra zitiert und im zweiten Akt vielleicht  die Farbenpracht eines Miró? Sind die Pilger im Finale  Taliban Fanatiker und  Talmudschüler, die Kreuze schwingen? Oder sind die Kreuze, die auch schon die Wartburgsänger mit sich schleppten, nur sinnentleerte Symbole? Ehemalige christliche Symbole, die zu Phallussymbolen geworden sind? Ist alles Religiöse gleich welcher Provenienz doch nur Mummenschanz?  Fragen über Fragen, auf die die Regie keine Antwort gibt. Nur eine Antwort weiß sie: Erlösung wird Dir nimmermehr zuteil. Eine Tannhäuser Deutung gegen den Strich, wie man sie von Konwitschny auch nicht anders erwartet hatte. (Zu den Einzelheiten verweise ich auf meine Bemerkungen, die sich im Blog unter der Rubrik Dresden finden).

Und in Frankfurt? Da bleibt die Regie in der Tradition von Konwitschnys Anti-Erlösungsdiskurs und verschärft und karikiert diesen noch dazu.… → weiterlesen

Staub, Staub! Überall Staub. Der Rosenkavalier in der Semperoper Dresden

Verstaubt ist der Musentempel. Verstaubt ist das Publikum. Verstaubt  ist die Inszenierung. Ja, selbst der so berühmte Dirigent, den man in seiner Münchner Zeit ob der Dynamik und der Subtilität, mit denen er uns  in seinen Konzerten auch im Altbekannten  neue Nuancen erschloss, stets bewundert hat, wirkt so müde und schlaff. So ganz in Melancholie und Entsagung versunken, so als habe er all die glitzernde Erotik der Musik vergessen und verdrängt.

Ein Glück nur, dass Anne Schwanewilms den Monolog der Marschallin so seelenvoll schön wie immer singt. Wie schade, dass ihr Oktavian so seelenlos perfekt  in kalter Schönheit singt. Wie ärgerlich, dass der Ochs zum tölpelhaften, bayerisch-österreichischen Bauern im Vorruhestand gemacht wird.

Natürlich geht es im zweiten Akt etwas zügiger und temperamentvoller zu. Das verlangen schon Libretto und Partitur. Natürlich  ist das Finale im dritten Akt, das berühmte Terzett der Damen und das Duett Octavian- Sophie, wie immer berührend schön. Bei dem  renommierten Orchester und bei der hochkarätigen Besetzung kann ja  auch  gar nichts schief gehen.

Ansonsten. Mon Dieu, was ein Staub, was für eine Langeweile, zum Einschlafen. Oper für das Seniorenstift.

Da sind wir nun extra nach Dresden gefahren. Nicht um die 57. Vorstellung einer altbackenen Inszenierung  vom Jahre 2000 zu sehen, sondern um die Strauss Interpretation des großen Dirigenten zu hören. Doch der berühmte Musiker, so schien es mir an diesem Abend, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Er, der einst mit seinen Münchner Philharmonikern ein großes durchweg aufgeschlossenes und verständnisvolles Publikum zu begeistern wusste, dirigiert hier in Dresden abgespieltes Repertoire vor einem größtenteils unverständigen Publikum, das ihm regelmäßig in die Schlusstakte hineinklatscht.

Vielleicht gilt auch für Dresden, was einst Thomas Bernhard als gerade für  Künstler so gefährliche Salzburger Krankheit diagnostizierte:  „Wer hier lebt [..], muß, bevor es für ihn zu spät ist, wieder weggehen, will er nicht werden wie diese stumpfsinnigen Bewohner […], die mit ihrem Stumpfsinn alles abtöten, das noch nicht so ist wie sie selbst“ (Der Untergeher).

Wir sahen die Vorstellung am 12. Juni 2013.

10. 04. 09 Ein Parsifal für Nostalgiker in der Semperoper

Für eine Parsifal Aufführung – so mag man in der Dresdner Intendanz denken – braucht man nur den unverwüstlichen Recken aus dem hohen Norden als Gurnemanz  zu engagieren. Dann kann schon nichts mehr schief gehen. Und wenn wir dann noch einen weiteren nordischen Recken, den Wagner gestählten Münchner Siegfried, als Parsifal gewinnen können und der einstige Stuttgarter Ring Star  am Pult steht, ja dann können wir unserem geduldigen Publikum auch ein Parsifal Märchen anbieten, das einstens in den Zeiten des Arbeiter- und Bauernstaates einer unserer damaligen Hofsänger in Szene gesetzt hat. Ja, es ist eigentlich nicht vorstellbar: im sächsischen Vorzeigemusentempel, da ist doch tatsächlich eine Parsifal Inszenierung von Theo Adam aus dem Jahre 1988 zu besichtigen.

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