Im Ästhetizismus schwelgen oder Apoll als SS-Offizier? Capriccio und Daphne an der Semperoper Dresden

Im Rahmen der „Richard-Strauss-Tage“ bot die Semperoper ein Kontrastprogramm, wie es schärfer wohl nicht sein kann. Daphne, eine „bukolische Tragödie“ – so der Untertitel – und Capriccio, „ein Konversationsstück für Musik“ sind bekanntlich in der Nazi-Zeit entstanden und uraufgeführt worden. Bedeutet dies, dass, wenn man diese beiden Stücke in Szene setzt, ein Zeitbezug unbedingt hergestellt werden muss? Soll man die Daphne Tragödie, wie es die Intention des Komponisten und seines Librettisten will, sich in ferner unbestimmter mythischer Zeit ereignen lassen oder soll man sie aktualisieren? Soll man Capriccio, wie es seine Schöpfer intendierten, in der Rokoko-Zeit spielen lassen, in Rokoko-Kostümen Künstler und Adlige Salongespräche über die Hierarchie der Künste, über die gegenseitige Abhängigkeit von Wort und Musik und Szene führen lassen, alle Diskussionen in der Schwebe lassen und all dies mit einer galanten Liebesgeschichte verbinden und auch diese in der Schwebe lassen? Mit anderen Worten: soll man einfach Theater spielen, eine Oper, die von der Entstehung einer Oper erzählt, eine Metaoper, in Szene setzen?

In Dresden hat man sich für beide Möglichkeiten entschieden. Im Capriccio schwelgen Szene und  Orchester und Gesang in Schönheit und Glanz, lässt im Finale die berühmte amerikanische Sopranistin noch einmal geradezu wehmütig all die Virtuosität erklingen, die Strauss den Frauenstimmen in seinen Opern und Liedern zugedacht hat. Im Capriccio gibt  es keinerlei Zeitbezug. Es sei denn, man versteht dieses bedingungslose Ästhetisieren als Opposition und Protest gegen die Barbarei jener Zeit. Strauss hätten die so ganz seinen Wünschen entsprechende sanfte Interpretation seiner Musik und auch die Szene wohl gefallen. Eine vor mehr als zwanzig Jahren entstandene Marelli Inszenierung in der Tradition Ponnelles.

Ein Strauss Abend, wie man ihn in dieser Perfektion, in dieser perfekten Konventionalität, selten sieht und hört.

Am Abend zuvor Daphne: eine plakative Transponierung des Geschehens in die Zeit des SS-Staats.  Eine recht eigenwillige und ziemlich waghalsige Variante des Daphne-Apollo Mythos schlägt Torsten Fischer vor.  Daphne, die sich den Zwängen der rauschhaften Feste und dem Druck des Volkes und ihrer Eltern entzieht, ist Sophie Scholl.  Apollo wird zum über Leben und Tod befindenden hohen SS Offizier, der mit seinen gewaltbereiten Männern in das Fest einbricht und sich einer verschüchterten Daphne/Sophie nähert. In diesem Ambiente ist es nur folgerichtig, dass der verschmähte Liebhaber  Leukippos von Kostüm und Maske her ein Hitlerjunge ist und dass der SS Offizier seinen Rivalen von seiner Garde liquidieren lässt. Nicht genug damit. Aus der scheuen Liebesgeschichte zwischen Apollo und Daphne, wie sie das Libretto andeutet, wird eine amouröse Beziehung zwischen Sophie und dem stattlichen blonden Offizier. Selbstverständlich fehlen weder die jubelnden Massen, in die Sophie alias Daphne Flugblätter wirft noch die schwarz gekleideten Juden, die von den SS Männern zu einer Grube hin abgeführt werden. Im Tode gruppieren sich die Abgeführten zu einer Verästelung, zu einem nur eben angedeuteten  Gezweig.  Daphne wird im Finale zu den Toten hinunter steigen. Die Verwandlung in einen immer grünenden Lorbeerbaum, das heißt in ein Eins-Werden mit der Natur, wie sie die klassische Variante des Daphne- Mythos will, findet nicht. Verwandlung heißt für Daphne/Sophie Eins-Werden mit dem Tod.

Aus der „bukolischen Tragödie“, die Strauss und sein so gern geschmähter Librettist Joseph Gregor im Jahre 1938 für Dresden kreierten, hat die Regie ein makabres, wohl gezielt provozierendes  Horrorstück aus der Nazizeit gemacht. Ein Horrorstück, das Orchesterklang und Gesang, waren beide auch noch so brillant, geradezu erschlägt. Prima la messa in scena e poi la musica. Man mag die Variante des Mythos, die Torsten Fischer in Szene setzt, für abwegig halten. Doch immerhin wird der ‚Kern‘ des Mythos: die übermächtige vernichtende Gewalt und die Verwandlung bewahrt. Und  konsequent und stringent und noch dazu spannend erzählt ist die Inszenierung alle Male.

Wir sahen Daphne am 15. November 2014 (die Premiere war am 2. Oktober 2010). Capriccio am 16. November 2014 – die „46. Vorstellung seit der Premiere am 28. November 1993“.

 

Das Trauma vom Frühlingserwachen oder ein Fest für eine Sopranistin. Daphne an der Oper Frankfurt

Das Trauma vom Frühlingserwachen oder ein Fest für eine Sopranistin. Daphne an der Oper Frankfurt

Der späte Strauss, so liest man mancherorts, sei nur noch der Schatten des einstigen Genies  gewesen und als er dann nach dem Tode Hofmannsthals und der Emigration Stefan Zweigs bei der Daphne an einen Wiener Kleinliteraten als Librettistin geraten sei, da sei es eigentlich aus mit ihm gewesen. Lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob das Konglomerat aus Mythemen des Apollo/Daphne- und des Dionysosmythos, aus Dreiecksgeschichte und Freudscher Triebverdrängung, das Joseph Gregor für Strauss fabriziert hat, wirklich so einfältig ist, wie mancherorts behauptet wird.  Immerhin hat es Strauss dazu inspiriert, seine glitzernde Welt der Klänge und der Koloraturen noch einmal aufzubereiten und wenn dann wie jetzt in Frankfurt so herausragende  Strauss Sänger wie Juanita Lascaro  als Daphne und Lance Ryan als Apollo  auf der Bühne stehen, dann verzaubert auch noch die Musik des späten Strauss. Natürlich ist die Daphne keine Salome und keine Zerbinetta. Doch Möglichkeiten, mit ihrer Kunst zu brillieren, bietet auch die Rolle der Daphne einer Sopranistin in Fülle – und in Frankfurt weiß die Protagonistin diese zur Begeisterung des Publikums zu nutzen. Zur Faszination des Abends trägt auch die durchdachte und zugleich spektakuläre Inszenierung bei. Regisseur Claus Guth hält sich mit der Verwandlungsszene und den mythischen Materialien, wie man sie bei Ovid findet, gar nicht weiter auf: die Nymphe Daphne – so heißt es bei Ovid – kann sich der Nachstellungen Apolls kaum noch erwehren, und erschöpft  von der Flucht vor dem verliebten Gott bittet sie um Hilfe. Diese wird ihr in der Weise zuteil, dass sie vor den Augen Apolls in einem Lorbeerbaum verwandelt wird. Guth erzählt die Geschichte im Rückblick, aus der Perspektive einer zur alten Frau gewordenen Daphne, die noch einmal an den jetzt verfallenen Ort des Geschehnes zurückkehrt, ihre Geschichte noch einmal erlebt, ihr Trauma noch einmal erfährt: ihren vergeblichen Versuch, sich vor den Menschen in die Natur, zu den Pflanzen und Bäumen zu flüchten, die Leidenschaft, mit der sie ihr Freund aus Kindertragen bedrängt, das Dionysosfest, auf dem die maskierten Anhänger des Gottes sie zu vergewaltigen suchen, die anhaltenden Nachstellung des verliebten Fremden (eine Rolle, die der Gott Apoll angenommen hat), die gewalttätige Eifersucht des Fremden, der den Jugendfreund tötet, das Entsetzen über die Tat, die Flucht … Es sind gleichsam Filmsequenzen, in denen sich die Greisin Daphne als junges Mädchen wieder erkennt, eine Frau, die all ihre Geschlechtlichkeit zu verdrängen suchte und gerade deswegen zum Objekt der Begierde wurde. Anders als in vielen seiner sonstigen Arbeiten will Guth bei seiner Frankfurter Daphne den Mythos nicht aktualisieren oder neu  verorten. Die Erzählung bleibt im zeitlich und örtlich Unbestimmten, wird zum Albtraum einer Verstörten. Ein großer Opernabend in Frankfurt. Wir sahen die Aufführung am 26. Juni 2010, die neunte Vorstellung. Die Premiere war am 28. März 2010

Nachtrag vom 10. Februar 2019

Bald neun Jahre ist es her, dass wir die Claus Guth Inszenierung der Daphne in Frankfurt sahen, eine Inszenierung, die nicht im Geringsten abgespielt ist. Ganz im Gegenteil. Beim Wiedersehen wird man auf Deutungen aufmerksam, die einem damals entgangen sind. Nur ein Beispiel: die „bukolische Tragödie“, wie sie Guth versteht, ist auch ein Kinderschänderstück. Daphne ist eben nicht nur das Opfer Apolls, wie es die gängige Variante des Mythos will. Ihre Traumata, ihre sexuelle Gestörtheit, ihre Flucht in das Vegetative, gehen auf ihre Kindheit zurück. Sie ist das Opfer eines Inzest, Opfer ihres Vaters (in der gängigen Variante der Flussgott Peneios). Diese zunächst befremdende Deutung fügt sich ein in das Spiel mit den Mythen. Daphne, die Schutz in der Natur sucht und zum Lorbeerbaum wird ist zugleich Myrrha, das Opfer des Inzests, das in einen Myrrhe-Baum verwandelt wird.

Natürlich braucht man das Spiel mit den Mythen und die impliziten Verweise auf Freud gar nicht zu verfolgen. Es genügt, sich an den ‚glitzerten Klangteppich‘ der Strauss-Musik und an die so exzellenten Stimmen zu halten. Und man erlebt einen Strauss Abend der Extraklasse – mit Jane Archibald in der Titelrolle und Andreas Schager als Apollo.