Das Trauma vom Frühlingserwachen oder ein Fest für eine Sopranistin. Daphne an der Oper Frankfurt

Das Trauma vom Frühlingserwachen oder ein Fest für eine Sopranistin. Daphne an der Oper Frankfurt

Der späte Strauss, so liest man mancherorts, sei nur noch der Schatten des einstigen Genies  gewesen und als er dann nach dem Tode Hofmannsthals und der Emigration Stefan Zweigs bei der Daphne an einen Wiener Kleinliteraten als Librettistin geraten sei, da sei es eigentlich aus mit ihm gewesen. Lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob das Konglomerat aus Mythemen des Apollo/Daphne- und des Dionysosmythos, aus Dreiecksgeschichte und Freudscher Triebverdrängung, das Joseph Gregor für Strauss fabriziert hat, wirklich so einfältig ist, wie mancherorts behauptet wird.  Immerhin hat es Strauss dazu inspiriert, seine glitzernde Welt der Klänge und der Koloraturen noch einmal aufzubereiten und wenn dann wie jetzt in Frankfurt so herausragende  Strauss Sänger wie Juanita Lascaro  als Daphne und Lance Ryan als Apollo  auf der Bühne stehen, dann verzaubert auch noch die Musik des späten Strauss. Natürlich ist die Daphne keine Salome und keine Zerbinetta. Doch Möglichkeiten, mit ihrer Kunst zu brillieren, bietet auch die Rolle der Daphne einer Sopranistin in Fülle – und in Frankfurt weiß die Protagonistin diese zur Begeisterung des Publikums zu nutzen. Zur Faszination des Abends trägt auch die durchdachte und zugleich spektakuläre Inszenierung bei. Regisseur Claus Guth hält sich mit der Verwandlungsszene und den mythischen Materialien, wie man sie bei Ovid findet, gar nicht weiter auf: die Nymphe Daphne – so heißt es bei Ovid – kann sich der Nachstellungen Apolls kaum noch erwehren, und erschöpft  von der Flucht vor dem verliebten Gott bittet sie um Hilfe. Diese wird ihr in der Weise zuteil, dass sie vor den Augen Apolls in einem Lorbeerbaum verwandelt wird. Guth erzählt die Geschichte im Rückblick, aus der Perspektive einer zur alten Frau gewordenen Daphne, die noch einmal an den jetzt verfallenen Ort des Geschehnes zurückkehrt, ihre Geschichte noch einmal erlebt, ihr Trauma noch einmal erfährt: ihren vergeblichen Versuch, sich vor den Menschen in die Natur, zu den Pflanzen und Bäumen zu flüchten, die Leidenschaft, mit der sie ihr Freund aus Kindertragen bedrängt, das Dionysosfest, auf dem die maskierten Anhänger des Gottes sie zu vergewaltigen suchen, die anhaltenden Nachstellung des verliebten Fremden (eine Rolle, die der Gott Apoll angenommen hat), die gewalttätige Eifersucht des Fremden, der den Jugendfreund tötet, das Entsetzen über die Tat, die Flucht … Es sind gleichsam Filmsequenzen, in denen sich die Greisin Daphne als junges Mädchen wieder erkennt, eine Frau, die all ihre Geschlechtlichkeit zu verdrängen suchte und gerade deswegen zum Objekt der Begierde wurde. Anders als in vielen seiner sonstigen Arbeiten will Guth bei seiner Frankfurter Daphne den Mythos nicht aktualisieren oder neu  verorten. Die Erzählung bleibt im zeitlich und örtlich Unbestimmten, wird zum Albtraum einer Verstörten. Ein großer Opernabend in Frankfurt. Wir sahen die Aufführung am 26. Juni 2010, die neunte Vorstellung. Die Premiere war am 28. März 2010

Nachtrag vom 10. Februar 2019

Bald neun Jahre ist es her, dass wir die Claus Guth Inszenierung der Daphne in Frankfurt sahen, eine Inszenierung, die nicht im Geringsten abgespielt ist. Ganz im Gegenteil. Beim Wiedersehen wird man auf Deutungen aufmerksam, die einem damals entgangen sind. Nur ein Beispiel: die „bukolische Tragödie“, wie sie Guth versteht, ist auch ein Kinderschänderstück. Daphne ist eben nicht nur das Opfer Apolls, wie es die gängige Variante des Mythos will. Ihre Traumata, ihre sexuelle Gestörtheit, ihre Flucht in das Vegetative, gehen auf ihre Kindheit zurück. Sie ist das Opfer eines Inzest, Opfer ihres Vaters (in der gängigen Variante der Flussgott Peneios). Diese zunächst befremdende Deutung fügt sich ein in das Spiel mit den Mythen. Daphne, die Schutz in der Natur sucht und zum Lorbeerbaum wird ist zugleich Myrrha, das Opfer des Inzests, das in einen Myrrhe-Baum verwandelt wird.

Natürlich braucht man das Spiel mit den Mythen und die impliziten Verweise auf Freud gar nicht zu verfolgen. Es genügt, sich an den ‚glitzerten Klangteppich‘ der Strauss-Musik und an die so exzellenten Stimmen zu halten. Und man erlebt einen Strauss Abend der Extraklasse – mit Jane Archibald in der Titelrolle und Andreas Schager als Apollo.