Und wieder einmal der so geliebte Strauss Kitsch. Arabella am Staatstheater Wiesbaden

Sagen wir es gleich ohne Umschweife: hier in Wiesbaden gebührt der Lorbeerkranz dem Orchester und seinem Dirigenten. Hier wird unter der Leitung von Maestro Patrick Lange so ziseliert musiziert, hier werden alle Einzelstimmen so  wunderschön zum Klingen gebracht, alle Melodienbögen bis ins sanfteste Pianissimo ausgestaltet, dass es geradezu eine Lust ist zuzuhören. Mit einem Wort: Exquisite Strauss Klänge. Strauss vom Allerfeinsten.

Wie immer bei Strauss bekommen auch in der Arabella die Damen die schönsten Melodien. Und wie immer bei Strauss lassen auch hier die Damen die Herren alt aussehen. In Wiesbaden hat es der Herr Mandryka in der Person des Ryan McKinny besonders schwer. Mag er auch noch so eine elegante Bühnenerscheinung sein und sich alle Mühe geben. Mit einer Strauss Sängerin vom Format einer Sabina Cvilak kann er kaum mithalten. Sie zeigt ihm von Anfang an, wer hier der „Gebieter“ ist. Und kaum anders ergeht es dem Herrn Leutnant, dem verliebten Trottel Matteo, der nicht so recht weiß, ob er nun hetero, homo oder bi ist und der zu seinem Glück oder Unglück an eine ‚Heißblütige‘ geraten ist, an eine Zdenka (in der Person der Katharina  Konradi), die ihm noch dazu stimmlich überlegen ist.

In der Arabella dominieren halt die Damen mit ihrer Stimme und ihrer Bühnenerscheinung. Ganz im Sinne des Komponisten, der, wenn er den Frauenstimmen das Primat zuerkennt, die Trottel und Machos, die ihm Hofmannsthal geliefert hat, als solche hinstellt oder vorsichtiger gesagt: sie noch stärker zu Komödienfiguren macht als sie es schon vom Libretto her  sind.

Es wäre ein rundum schöner Strauss Abend in Wiesbaden geworden, wenn die Regie auch nur annähernd das Niveau des Musikparts erreicht hätte.… → weiterlesen

Ich will Dein Gebieter sein. Arabella an der Oper Leipzig.

„Muss man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die  meiste Begabung hat“. Was einst Richard Strauss mit milder Selbstironie zur Arabella bemerkte, trifft wohl den Sachverhalt. Kitsch oder zumindest Operette ist diese süß rührselige „lyrische Komödie“ um die kühle verarmte Schöne aus der Wienerstadt und den schwerreichen ungehobelten Märchenprinzen aus den slawonischen Wäldern, um das androgyne Mädchen und den bisexuellen Leutnant, um den heruntergekommenen spielsüchtigen Papa und  das groteske Trio der drei Grafen alle Male. „Zweifelhafte Existenzen!“ – der Stoff und die Figuren, aus denen die Komödien sind.… → weiterlesen

‚Er ist, mein ich, ein Regisseur? Da wird Er sich halt gar nichts denken.‘ Eine missglückte Arabella Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein

Nun, ganz so schlimm ist es nicht. In Düsseldorf hat man sich viel Mühe gegeben. Doch bei allem Nachdenken ist Theatermacherin Gürbaca nicht sehr weit gekommen und letztlich wohl auf eine Bemerkung bei La Bruyère gestoßen: „Tout est dit […]“. Alles ist schon gesagt und das schon seit viertausend Jahren. Ja, was soll man da noch mit der Arabella anfangen.  Eine Satire auf die Macht des Geldes (vulgo Kapitalismus)? Das gab ‘s schon so viele Male und ist überdies reichlich platt. Die politischen Komponenten zur Zeit der Uraufführung herausstellen (vulgo Uraufführung 1933)? Auch dies ist nicht sonderlich originell. Eine Wiener Operette inszenieren? Das ist ziemlich flach, und auch das hat man schon gemacht. Das ganze unter Mafiosi in der Tiefgarage spielen lassen? Auch das hat man schon gemacht.… → weiterlesen

Von der schönen Kapriziösen und dem tölpelhaften Bären nebst einigen politischen Implikationen. Eine Neuinszenierung der Arabella bei den Münchner Opernfestspielen 2015

Er ist, mein ich, halt ein Filmmacher? Da wird er sich halt gar nichts denken. So flüsterte mir Ariadne, die ihren Hofmannsthal kennt, nach einem einschläfernden ersten Akt in der Pause zu. Doch seien wir nicht so zynisch. Ein paar Gedanken hat sich der Filmemacher Andreas Dresen, der jetzt in der Bayerischen Staatsoper Arabella inszenieren durfte, immerhin gemacht. Zum Beispiel wird er darüber nachgedacht haben, was das denn eigentlich für ein Stück sei, das da im Libretto so scheinbar leichthin als „lyrische Komödie“ apostrophiert wird. Ist es  vielleicht ein Märchen? Das Märchen von der armen Schönen, die vom spielsüchtigen Herrn Papa an einen tollpatschigen Großbauern aus den balkanischen Wäldern verschachert wird und  die diesen gleich am ersten Abend domestiziert. Oder ist es  vielleicht eine Operette? Problemstellung im ersten, großes Fest im zweiten, happy end mit Amore und Hochzeit im dritten Akt. Oder ist es vielleicht eine Parabel, die von der Macht des Geldes erzählt? Oder ist es vielleicht gar ein politisches Stück? Fand doch die Uraufführung im fatalen Jahre 1933 statt. Oder ist es vielleicht „eine Farce und weiter nichts“? Oder vielleicht ist das Ganze, so im dritten Akt, eine Klamotte? Vornehm gesagt: Arabella ist offensichtlich ein hybrides Stück, in dem sich verschiedene Gattungsformen überschneiden und überlagern.

Die Regie greift zu Recht all diese Besonderheiten des Stücks auf – ein bisschen auf – und setzt diese bruchstückhaft in Szene, wobei ihr die Farce und  die Klamotte  und wohl auch die politische Parabel besonders zusagen. Dass der spielsüchtige Papa, die frustrierte Gattin, die sich beim Faschingsfest einen Jüngling schnappt, der liebestolle, sich Mut antrinkende Leutnant und das nicht minder liebestolle Mädchen Komödienfiguren sind  und mit ihrer Überzeichnung in die Farce oder in die Posse passen und dass die Regie sie alle entsprechend karikiert, liegt auf der Hand. Und hier bleibt sie ganz im traditionellen Rahmen.

Im Finale des dritten Akts indes da springt sie ungeniert in die Klamotte. Da kommt  der/die Zdenka schluchzend, so durchtrieben-unschuldig, im knielangen Nachthemd die Treppe herunter und will gleich ins Wasser gehen, da steht der Herr Leutnant mit offenem Hemd verdutzt in der Ecke und weiß offensichtlich nicht mehr, ob er nun hetero oder schwul oder beides ist, da will sich der Herr Mandryka gleich erschießen, und die schöne Arabella reicht ihm nicht das berühmte Glas  Wasser zur Versöhnung, sie schüttet es ihm einfach ins Gesicht. Und als er sie umarmen will, da eilt sie die Treppe hinauf und droht ihm mit dem Finger. Szenen einer künftigen Ehe. Ja, und wenn frei nach Freud  die Leiter (wahlweise Stiege und Treppe) ein Koitus Symbol ist, dann braucht unser tollpatschiger Bär sich nicht allzu viel zu erhoffen – und aus dem Märchen von der armen Schönen und dem reichen Prinzen wird wohl nicht viel werden.

Es mag ja sein, dass die Regie mit dieser finalen Klamotte uns im Publikum ein Versöhnungsbonbon reichen wollte, um die Einfallslosigkeit, die den ersten Akt bestimmt und die Tendenz zur politischen Belehrung, die im zweiten Akt dominiert, vergessen zu machen. Mit ihren mehr oder weniger aufgesetzten Verweisen auf die Uraufführungszeit, wie sie das Einheitsbühnenbild und teilweise auch die Kostüme  und nicht zuletzt auch das Verhalten des Mandryka im Finale des zweiten Akts suggerieren, schlägt die Regie in der Tat eine politische Deutung des Stücks vor. Spielort und Spielzeit sind nicht, wie es das Libretto will, Wien und die Zeit um  das Jahr 1860. Spielort sind zwei gigantische  ineinander übergehende Treppenbögen. Auf, unter und neben diesen entwickelt sich das Geschehen. Sollen die Treppenbögen auf die Gigantomanie der Naziarchitektur verweisen?  Sollen sie an die bühnenwirksamen Auftritte der Mächtigen jener Zeit erinnern? Sollen die Fiaker in ihrer dunklen Lederkleidung, die immer wieder wie kontrollierende Polizisten über die Treppen schreiten, an die bekannten Kohorten des Regimes erinnern? Wären in diesem Kontext die beiden Schlapphüte, die Mandryka begleiten, keine Lakaien, sondern Gestapomänner? Ist dieser Mandryka, wie er  im schwarzen Outfit und mit schwarzen Stiefeln daher kommt und der im Finale des zweiten Akts so berserkerhaft und brutal auftritt, vielleicht einer der Mächtigen des Regimes? Ist diese sich so bescheiden und demütig gebende Arabella („Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan“) vielleicht das Ideal der deutschen Frau, wie  es die Mächtigen jener Zeit verlangten?  Soll es uns  im Zuschauerraum ein bisschen gruseln, vor allem dann, wenn wir zuvor im Programmheft gelesen haben, dass „Arabella ein Lieblingsstück von Hitler und den Nationalsozialisten“ war und von diesen zum „Aushängeschild  nationalsozialistischer  Kunstrepräsentation“ stilisiert wurde (Timothy L. Jackson, S. 117).

Arabella, eine Farce und eine politische Parabel, die von Naziideologie durchtränkt ist, ein Stück, in dem der Komponist – ganz im Sinne des Regimes – auf alle Dissonanzen und alle ‚Neutönerei‘  verzichtet?

Wenn man das so sehen will. Ich spreche da lieber von Kitsch und weiß dabei den Komponisten auf meiner Seite: „Muss man 70 Jahre  alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die meiste Begabung hat?“ – so schreibt mit milder Selbstironie Richard Strauss im Rückblick auf den „riesigen Theatererfolg“ der Arabella an Stefan Zweig (zitiert nach dem Programmheft zur Arabella in der Inszenierung vom Jahre 2008 der Staatsoper Hamburg, S. 31).

Die Arabella Kitsch? Ja, aber ein schöner Opernkitsch, wo die Arabella vom Dienst, Anja Harteros, so wunderschön und zugleich berührend Strauss zu singen weiß, sich so kapriziös zu geben weiß, ohne allzu sehr auf Zicke zu machen. Ein Star, eine Idealbesetzung für die Rolle der Arabella.

Wir sahen die Aufführung am 14. Juli 2015. Die Premiere war am 6. Juli 2015.

 

 

Geschichten vom Herrn Mandryka. Arabella an der Semperoper

Eine recht seltsame Veranstaltung war da am Montagabend im Rahmen der Dresdner „Richard-Strauss-Tage“ 2014 zu erleben. Ein ausverkauftes Haus, die Kohorten der internationalen Luxus-Rentner im Parkett und im Rang, ein (wie nicht anders zu erwarten) begeistertes Publikum, das kritiklos alle Mitwirkenden feiert, der  bekannte Dresdner Stardirigent am Pult, eine Regie, die den Zuschauer nicht im geringsten fordert, zwei ‚Weltstars‘ der Opernszene als Protagonisten. Und – man mag es kaum glauben –in den ersten beiden Aufzügen pure Langeweile. Die Musik plätschert halt so dahin – uninspiriert und desinteressiert. Wollte uns der berühmte Maestro hören lassen, dass der späte Strauss in der Arabella wohl doch nur der Epigone seiner selbst sei? Erst im dritten Aufzug da dreht die Musik auf. Da erklingt endlich die glitzernde oder, wenn man so will, die kitschige Strauss-Musik, die so fasziniert und einlullt. Da wird dann endlich „lyrische Komödie“ gesungen und gespielt.

Pure Langeweile in den ersten beiden Akten  – mit Ausnahme der Szenen, in denen Mandryka (in der Person des Thomas Hampson ) auftritt. Ein Sänger und Darsteller, der mit seiner Bühnenpräsens und seiner machtvollen Stimme alle anderen Mitwirkenden geradezu an die Wand singt und spielt und dabei auch die so berühmte Sopranistin recht blass aussehen lässt. Natürlich bezaubert Anja Harteros noch immer mit ihrer so wunderschönen Stimme, ist  sie noch immer eine Strauss-Sängerin par excellence. Doch wenn das Regieteam  sie zur sentimentalen Zicke macht, die von Kindheit an auf den bärenstarken Mann, auf den „Richtigen“ wartet, sie  noch dazu in eine so ärmlich wie uncharmant  wirkende hellblaue Abendrobe steckt, dann hat sie es gegen einen so übermächtig wirkenden Hampson zusätzlich schwer. Von der Regie darf sie keine Hilfe erhoffen. Die lässt der Einfachheit halber meist von der Rampe singen  und begnügt sich mit Mätzchen. Nur zwei  Beispiele: damit wir auch alle im Publikum mitkriegen, wie Arabellas Traummann beschaffen ist, dürfen wir einen Blick ins Kinderzimmer werfen: dort spielt Arabella als Kind nicht etwa mit einem Teddybär, sondern hockt vor einem riesigen  Bären. Nicht genug damit. Damit  auch die gänzlich Unbedarften im Publikum merken, dass Mandryka  der Arabella den Himmel auf Erden bereiten will, tritt zur ersten Begegnung des Paares ein Double auf, fährt mit dem Fahrstuhl auf halbe Höhe, mimt dort ein Liebespaar oder, wenn man so will, ein heiliges Paar in himmlischen Höhen. Ja, wir wissen noch aus den Wiener Operetten: die Liebe ist eine Himmelsmacht.  War das nun Ironie oder Parodie? Ich fürchte, es war ernst gemeint.

Was soll man da noch mehr sagen? Dass die als Jüngling verkleidete Zdenka so hübsch androgyn ist und auch noch brillant zu singen weiß, dass das Leutnant Matteo auch nach der kurzen Liebesnacht mit der Zdenka nicht weiß, ob er hetero oder vielleicht doch schwul ist und deswegen schmollend in der Ecke stehen muss, dass der spielsüchtige Papa  nebst Gräfin und Kartenaufschlägerin für diesen Abend freien Ausgang aus dem Sängeraltenheim bekommen haben, dass der Besetzungszettel den Librettisten Hofmannsthal unterschlägt, dass es Programme schon eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn nicht mehr gib? Oder soll man noch hinzufügen, dass zwei Weltstars zwar einen lukullischen Abend bereiten können. Aber Musiktheater ist das nicht. „Allein was tut’s“.  Ich hab‘ Euch singen gehört. Und es war grandios. Vergessen wir den Rest.

Wir sahen die Vorstellung am 10. November, die zweite Aufführung seit der Premiere am 7. November 2014.

 

 

Arabella und Mandryka oder die kokette arme Schöne aus der Wienerstadt und der reiche Machotölpel vom Lande

Und das war auch  schon die Regiekonzeption der „lyrischen Komödie“, oder sagen wir einfach: der Strauss Operette, die im Staatstheater Nürnberg zu sehen und zu hören ist. Ort der Handlung : eine großzügige Suite in einem Hotel der gehobenen Klasse, ein Ballsaal nebst Theke, ein Stiegenhaus  im Hotel. Zeit: die zwanziger Jahre. Handlung: Liebe auf den ersten Blick bei den Protagonisten, androgyne Liebe beim Buffopaar. Missverständnisse und Versöhnung und Doppelverlobung. Eben der Stoff, aus dem die Operetten sind. Keine distanzierende Ironie. Keine Ideologischen Ansprüche, nichts von der Brüchigkeit der Komödie, die die Tragödie streift, nichts von Melancholie, keine Gesellschaftskritik, kein drohend moralisierender Fingerzeig frei nach dem Motto: spielsüchtiger heruntergekommener K. und K. Offizier verschachert Tochter, verklemmter Militär wird vom Schwesterchen gefoppt, die Schöne mutiert zur Dollarprinzessin. Und der Märchenprinz aus den Wäldern mit  gefülltem Portefeuille rettet all die „zweifelhaften Existenzen“. In Nürnberg spielt man einfach Operette oder präsentiert Kitsch pur – ganz im Sinne des späten Strauss, der  mit milder Selbstironie  zum großen Publikumserfolg seiner Arabella bemerkte: „Muss man 70 Jahre alt werden, um zu erkennen, dass man eigentlich zum Kitsch die meiste Begabung hat?“ (zitiert nach dem Arabella Programmheft der Staatsoper Hamburg). Und dieser Kitsch wird in Nürnberg geschickt und unterhaltsam angerührt.

Und die Musik? In der Arabella, so liest man schon mal bei Strauss nicht freundlich gesinnten Musikhistorikern, sei der Komponist nur noch ein Schatten seiner selbst, zitiere und variiere sich nur noch selber.  Mag ja sein. Mich stört es nicht. Ich höre sie gern immer wieder die Arabella Musik.

Ignoriert man die konventionelle Szene und konzentriert sich auf Orchesterklang und Gesang, dann erlebt man in Nürnberg einen weit überdurchschnittlich gelungenen Strauss Abend. Dabei ist es nicht so wichtig, dass das Orchester, so schien es mir,  manchmal recht hektisch und überlaut aufspielte. In Nürnberg stehen mit Ekaterina Godovanets  in der Titelrolle und Jochen Kupfer als Mandryka  exzellente Strauss Sänger auf der Bühne. Sie zu hören ist ein Erlebnis, ein Vergnügen. Schade, dass die Arabella in dieser Saison nicht mehr aufgeführt wird.

Wir sahen die ‚Dernière´ am 7. Mai 2013. Die Premiere war am 1. Februar 2014.