Romeo und Julia im dörflichen Nightclub (vormals Kapelle der Jungfrau Maria). Gounod, Roméo et Juliette an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf

Wie soll man einen so allgemein bekannten Mythos wie die Erzählung von Romeo und Julia, die schon so viele Male auf die Bühne gebracht wurde, in Szene setzten? Historisierend als Dekorationstheater? Aktualisierend frei nach der West Side Story? Was soll man daraus machen? Eine konventionelle Tragödie- ganz wie sie das Publikum wohl erwartet?  Eine Parodie des Mythos? Eine Komödie, eine Farce?

In Düsseldorf  hat sich die Regie (Philipp Westerbarkei) für eine Melange, für eine hybride Variante des Mythos entschieden, bei der unterschiedliche Spielarten und Bedeutungsschichten angetippt und vermischt werden. Gemeinsam ist allen die Tendenz zur  Aktualisierung, zur Degradierung und Banalisierung des Mythos. Das ist nicht unbedingt eine originelle Grundkonzeption. Das Aktualisieren und Degradieren von Mythen ist eine gängige ‚Arbeit am Mythos‘.

Ort des Geschehens in der Düsseldorfer Romeo und Julia Erzählung ist kein Verona der Renaissance, sondern irgendeine Kleinstadt im Mezzogiorno von heute. Dort vergnügt man sich in einem simplen Club, in einer Art Gemeindesaal, in dem noch die Stühle aus jener Zeit herumstehen. Ein Saal,  der wohl vor langer Zeit für liturgische Veranstaltungen genutzt wurde. Und  so hat man in einer Nische an der Felswand, die den Raum abschließt, die  Statue der Madonna einfach stehen gelassen. Der Gemeindesaal ist der Einheitsbühnenraum.

Aus dem Grafen Capulet ist eine Art dörflicher Mafiaboss geworden, der seine Tochter mit einem  Herrn aus besseren Kreisen verheiraten will. Juliette ist eine junge Frau, die vor allem eins will: heraus aus dem engen Milieu, in dem sie zu leben verdammt ist. Da  kommt ihr so ein Typ wie der Romeo gerade recht. Dieser Romeo, wie ihn die Regie begreift, ist kein strahlender Jüngling, sondern eher ein heruntergekommener Typ aus der Unterschicht, für den ‚die Liebe als Passion‘  wohl so etwas wie der ultimative Kick ist. Zu diesem Kick gehört für ihn auch das  Fläschchen mit dem Gifttrank. Wie er im Finale so minutenlang, beinahe schon  im Koma, zwischen den Stühlen im Gemeindesaal herumkriecht, da wirkt der Arme nur noch lächerlich. Dass Juliette ihrem Romeo auf dem Weg in den Tod trotz all ihres Gejammers nicht folgen mag, dass kann man schon verstehen. So lässt sie  sich im Finale von dem ihr zugedachten Ehemann davon tragen – nach einem letzten Blick auf den sterbenden Romeo. Und damit wir auch alle im Zuschauerraum verstehen, was wir gerade gesehen und gehört haben, leuchtet die Message am Bühnenhimmel auf. „Love ist a loosing game“. Ja, wer hätte das gedacht.

Ein trauriger Abend, meinte die etwas in die Jahre gekommene treue Abonnentin in der Reihe hinter mir. Die junge Dame auf dem Platz neben mir war schon in der Pause gegangen.

Ein trister Abend war es alle Male, mögen auch die beiden Protagonisten: Luiza Fatyol als Juliette und Ovidiu Purcel in der Rolle des Romeo durchweg brillant gesungen haben.  Doch kein Funken wollte herüber springen. Nun ja, Gounod ist eben nicht Bellini. Aber so ein bisschen süßen Gounod Kitsch hätte man schon erwartet. Wie kann man, um nur ein Beispiel zu zitieren, den so berühmten ersten Auftritt der Juliette, den Walzer der Juliette, so verschenken und im Trash Ambiente  einer Dorf-Disko untergehen lassen. Wenn die Regie sich mit ihrem Hang zur Banalisierung und zum Trash und nicht zuletzt mit ihrer Disko-Manie bei einem jungen Publikum anbiedern wollte, dann ist sie wohl bei diesem Versuch gescheitert.

Vielleicht hätten’s die lieber ein bisschen ‚romantisch‘ gehabt? Ein Romeo als schwadronierender Einfallspinsel und ein Julchen nach kurzem Ausflippen auf dem Weg in die Ehehölle? Das ist doch ein bisschen sehr desillusionierend.

Wir besuchten die Premiere am 30. März 2019.

 

 

 

 

Deine Mutter kehrt dir wieder – im abgestürzten Helikopter. Brillant gesungen – dürftig in Szene gesetzt. Siegfried an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf

Was wir beim Düsseldorfer Ring schon bei der Walküre konstatieren konnten, das gilt nicht minder für den Siegfried. Es herrscht ein krasses Missverhältnis zwischen Szene und Musik, zwischen Theater- und Musik-Part. Auf der Bühne brilliert ein erstklassiges Ensemble. Im Graben zelebriert man unter der Leitung von Maestro Kober einen Wagner comme il faut (für meinen Geschmack vielleicht etwas zu gedämpft und zu wenig rauschhaft). Die Inszenierung hingegen – so schien es mir – kommt über konventionelle Mittelmäßigkeit nicht hinaus und erschöpft sich in einem Zitatensalat aus Kultfilmen und kanonisierten Ring-Inszenierungen.… → weiterlesen

Brillant gesungen und musiziert – Routiniert und konventionell inszeniert. Die Walküre an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf

Über 150 Male – so erfährt man im Programmheft – hat Theatermacher Hilsdorf Schauspiele und Opern in großen und kleinen Häusern in Szene gesetzt – und man merkt es. Jetzt bei seiner Düsseldorfer Walküre hat er sich wohl seiner Essener Walküre erinnert – und wir als Zuschauer auch. Recycling und Zitate sind angesagt. Wieder sind wir unter Militärs – und zur Abwechslung mal in deren Bunkern. Wieder trägt man den grauen Soldatenmantel, und wieder feiert man mit ‚Blitzmädels‘, die in eleganten Abendkleidern posieren und am Rotwein nippen.

Alle  gehören zur Familie, wie sie da im zweiten Akt an der langen Tafel sitzen. Oberbefehlshaber Wotan steigt in Siegerlaune zum Prosit schon mal auf den Tisch. Die schwangere Sieglinde nebst Unteroffizier Siegmund und Prinzessin Brünnhilde in großer Abendrobe, sie alle feiern mit. Auch der nur mühsam geduldete Jagdaufseher Hunding ist mit dabei. Doch Mutti Fricka hat ein Herz für ihn – die Folgen kennen wir noch aus anderen Inszenierungen. Eine Variante erlaubt sich indes die Regie: Nicht Wotan zerbricht dem armen Siegmund die Waffe. Er kommt auf ganz banale Weise um. In Wotans Bunker erschießt der Jagdaufseher ihn einfach mit der Flinte: Blattschuss. Und darf sich dann wieder an die Tafel setzen, wo er allerdings am Herzinfarkt dahingeht.… → weiterlesen

Und Theatermacher Loge inszeniert in seinem Etablissement Das Rheingold. Die Deutsche Oper am Rhein beginnt ihren neuen Ring

Nach so manchen szenisch und musikalisch recht mittelmäßigen  Aufführungen – wir wollen höflicherweise nicht von Flops sprechen – , die wir in dieser Saison ertragen mussten, bringt die Oper in Düsseldorf mit ihrem Auftakt zum neuen Ring endlich wieder einmal erstklassiges Musiktheater zustande.
Beim Düsseldorfer Rheingold gibt es nichts … → weiterlesen

‚Er ist, mein ich, ein Regisseur? Da wird Er sich halt gar nichts denken.‘ Eine missglückte Arabella Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein

Nun, ganz so schlimm ist es nicht. In Düsseldorf hat man sich viel Mühe gegeben. Doch bei allem Nachdenken ist Theatermacherin Gürbaca nicht sehr weit gekommen und letztlich wohl auf eine Bemerkung bei La Bruyère gestoßen: „Tout est dit […]“. Alles ist schon gesagt und das schon seit viertausend Jahren. Ja, was soll man da noch mit der Arabella anfangen.  Eine Satire auf die Macht des Geldes (vulgo Kapitalismus)? Das gab ‘s schon so viele Male und ist überdies reichlich platt. Die politischen Komponenten zur Zeit der Uraufführung herausstellen (vulgo Uraufführung 1933)? Auch dies ist nicht sonderlich originell. Eine Wiener Operette inszenieren? Das ist ziemlich flach, und auch das hat man schon gemacht. Das ganze unter Mafiosi in der Tiefgarage spielen lassen? Auch das hat man schon gemacht.… → weiterlesen

Theater auf dem Theater und zugleich Parodie des Metatheaters. Eine grandiose Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf

Man kann die Ariadne in einem Zürcher Kult-Restaurant, in der Kronenhalle, spielen lassen und aus der Protagonistin eine dem Rotwein zugetane Dame aus der besseren Zürcher Gesellschaft machen. Man kann aus der Ariadne eine veristische Oper, die sich im Finale zur Traumvision weitet, machen und  die ‚Heldin‘ des Mythos in  eine  ältliche Touristin aus nördlichen Breiten verwandeln, die auf einer verlassenen Baustelle irgendwo am Mittelmeer vergessen wurde und der im finalen Fiebertraum ein Todesbote erscheint. Man kann das Stück in einem Jugendstil Palais mit Zugang zum Meer oder auch in der Vorhölle spielen lassen und im Finale eine Maskenball Party mit einer Kaiser Franz-Joseph Karikatur und einem Soldatengerippe aus dem ersten Weltkrieg  einschieben. Man kann gleichsam als Metatheater hoch drei Hofmannsthal in persona auftreten lassen, der einer depressiven Freundin aus dem Bürger als Edelmann vorliest. Und während er liest, o Wunder des Theaters,  werden in der Phantasie der Dame die Figuren der Komödie lebendig und sie selber und der befreundete Literat spielen mit, werden selber zu Figuren des Theaters. Der Mythos, ja wir wissen schon, lebt in seinen Varianten. Und die Möglichkeiten der Inszenierung scheinen unbegrenzt.

Man kann wie  jetzt in Düsseldorf sich auch auf die einfachsten Möglichkeiten des Theaters besinnen und, ohne großen Aufwand zu treiben, mit wenigen Mitteln Theater auf dem Theater und im Theater in Szene setzen, Illusionen und Desillusionen ‚gleichzeitig‘ erzeugen und damit vielleicht den Intentionen von Librettist und Komponist weit näher kommen als so manche opulent aufgemachte Inszenierung.… → weiterlesen