Theater auf dem Theater und zugleich Parodie des Metatheaters. Eine grandiose Ariadne auf Naxos an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf

Man kann die Ariadne in einem Zürcher Kult-Restaurant, in der Kronenhalle, spielen lassen und aus der Protagonistin eine dem Rotwein zugetane Dame aus der besseren Zürcher Gesellschaft machen. Man kann aus der Ariadne eine veristische Oper, die sich im Finale zur Traumvision weitet, machen und  die ‚Heldin‘ des Mythos in  eine  ältliche Touristin aus nördlichen Breiten verwandeln, die auf einer verlassenen Baustelle irgendwo am Mittelmeer vergessen wurde und der im finalen Fiebertraum ein Todesbote erscheint. Man kann das Stück in einem Jugendstil Palais mit Zugang zum Meer oder auch in der Vorhölle spielen lassen und im Finale eine Maskenball Party mit einer Kaiser Franz-Joseph Karikatur und einem Soldatengerippe aus dem ersten Weltkrieg  einschieben. Man kann gleichsam als Metatheater hoch drei Hofmannsthal in persona auftreten lassen, der einer depressiven Freundin aus dem Bürger als Edelmann vorliest. Und während er liest, o Wunder des Theaters,  werden in der Phantasie der Dame die Figuren der Komödie lebendig und sie selber und der befreundete Literat spielen mit, werden selber zu Figuren des Theaters. Der Mythos, ja wir wissen schon, lebt in seinen Varianten. Und die Möglichkeiten der Inszenierung scheinen unbegrenzt.

Man kann wie  jetzt in Düsseldorf sich auch auf die einfachsten Möglichkeiten des Theaters besinnen und, ohne großen Aufwand zu treiben, mit wenigen Mitteln Theater auf dem Theater und im Theater in Szene setzen, Illusionen und Desillusionen ‚gleichzeitig‘ erzeugen und damit vielleicht den Intentionen von Librettist und Komponist weit näher kommen als so manche opulent aufgemachte Inszenierung.

Spielfläche bei der Düsseldorfer Ariadne ist der überdeckte Orchestergraben, die Vorderbühne, die beiden Seitenbühnen und gelegentlich auch die ersten Reihen des Parketts. Das Orchester ist auf der Szene postiert, auf die Hinterbühne hinter einem  Gazevorhang  nur leicht verborgen, spielt mit, ist Teil des Theaters auf dem Theater. Die Szene ist die Probebühne. Ein kleines Holzgestell markiert die Bühne für die großen Auftritte. Zur Rechten hat der Korrepetitor hinter dem Flügel seinen Platz. Vor ihm der Arbeitsraum des Maskenbildners. Zur Linken ein großer Holztisch, an dem die Künstler vor und nach ihrem Auftritt vespern oder einfach nur ihren Kollegen bei der Arbeit zuschauen.

Der Zuschauer wird gleich  in eine letzte Orchesterprobe und in die letzte Stellprobe mit hineingezogen. Das Orchester intoniert noch einmal ein paar Highlights aus der nun bald zu spielenden Oper, Zerbinetta und ihre Truppe stolpern herein und vespern erst einmal ausgiebig, ein älterer Herr sucht einen Platz mitten im Publikum (wir ahnen schon: er ist der Haushofmeister), die Bühnentechniker legen letzte Hand an und ziehen geräuschvoll den Gaze-Vorhang vor dem Orchester hoch: der Vorhang zeigt Böcklins Toteninsel.

Und damit ist das Thema gestellt, die Ouvertüre erklingt, und das „Vorspiel“ beginnt, so wie wir es kennen. „Mein Herr Haushofmeister! Sie suche ich im ganzen Hause“ so beklagt sich der Herr aus der ersten Parkettreihe, und der Herr im schwarzen Outfit, der inzwischen seinen Platz am Regiepult gefunden hat, repliziert: „Womit kann ich dienen?“ Jegliche Trennung von Musik und Szene und Zuschauerraum ist aufgehoben: alles ist Theater. Und wir im Publikum werden, ob gewollt, ob ungewollt, zu Mitspielern, zu Figuren des Theaters.

Natürlich ist diese Konzeption eines totalen Theaters mit ihrer Aufhebung aller Distanzen und mit ihrer ständigen Brechung der Illusionen nicht neu. Als kurzweiligen, momentanen Regie-Gag haben wir sie schon so manches Mal erlebt. Doch wie  Dietrich W. Hilsdorf hier in Düsseldorf diese Konzeption konsequent und stringent bis zur letzten Szene hin durchzieht (nach ihrem Schlussduett schlüpfen Bacchus und Ariadne sofort aus ihren Rollen heraus, setzen sich an den Vespertisch, greifen zur Weinflasche und prosten sich zu), wie diese Konzeption eines totalen Theaters realisiert wird, das ist schon bewundernswert. Das ist einfach großes Theater. Geistvolles und unterhaltsames Theater.

Ein solche Art des Theaters ist selbstverständlich nur möglich, wenn die Regie über herausragende, exzellente Sängerschauspieler verfügt, die bereit sind, sich auf das Spiel einzulassen, bereit sind, sich selber als Tragöden und Komödianten zu parodieren und noch dazu höchst brillant zu singen vermögen. All dies findet sich bei dieser Ariadne Inszenierung. Wie Linda Watson und  Roberto Saccà das hohe Paar singen und zugleich mit den traditionellen Operngesten parodieren und ironisieren , mit welcher Leichtigkeit, Eleganz und Spielfreude und mit welch brillanter Stimme  Brenda Rae die Zerbinetta gibt, all dies zu hören und zu sehen, das ist ein absolut ungewöhnliches Opernerlebnis.

Bei dieser Ariadne in Düsseldorf da stimmt einfach alles: Orchesterklang, Spiel, Gesang, Szene. Alles vom Allerfeinsten. Musiktheater, wie man es sich wünscht. „Musik ist heilige Kunst“ –  und vielleicht auch deren Parodie. „Heut – hast du’s erlebt“.

Wir sahen die Aufführung am 14. Mai 2015. Die Premiere war am 27. September 2014