Bayreuther Festspiele 2018. Ein ganzer Flop, ein halber Flop und eine Sternstunde des Musiktheaters

Seien wir doch froh, dass wir überhaupt Karten bekommen haben und halten wir uns mit kritischen Bemerkungen zurück. Nehmen wir einfach in Kauf, dass der Fliegende Holländer abgespielt und desaströs war, die Walküre – wir kannten sie schon aus dem Ring Zyklus – nicht minder abgespielt und in ihrer musikalischen Interpretation etwas eigenwillig war. Begeistern konnte allein der Tristan. Auch ihn hatten wir schon im vorigen Jahr erlebt (Siehe dazu unsere Bemerkungen im Blog). Die diesjährige Aufführung war, wenn das überhaupt möglich ist, in Orchesterklang, Stimmen und Szene noch brillanter und ergreifender als die vom vergangenen Jahr. Vielleicht lag es daran, dass mit Andreas Schager ein jugendlich wirkender Tristan sang und agierte.

… → weiterlesen

„Im Geisterhaus traumatischer Erinnerungen“ – oder narkotisierender Kitsch? Eine in Szene, Orchesterklang und Gesang brillante Walküre am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Bei dieser Karlsruher Walküre stimmt einfach alles  – gleich vom ersten Takt und von der ersten Szene an. Da hetzt in der Ouvertüre die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Justin Brown den flüchtenden Siegmund mit  Atem beraubendem Tempo. Da stürzt dieser geradezu auf die Szene, und Sieglinde steht schon für ihn bereit. Wo nur? In einem „Geisterhaus“, wie uns der Karlsruher Dramaturg wissen lässt. Dieses Haus besteht nur aus einem die gesamte Bühnenbreite einnehmenden Flur. Requisiten gibt es nicht. Drei Türen führen…Man weiß nicht wohin. Sind es Türen, die zu den „traumatischen Erinnerungen“ führen, von denen die Dramaturgie spricht? In der Tat stürzen aus diesen Türen Bruchstücke ihrer Kindheitsgeschichte auf Siegmund und Sieglinde ein. Beide sehen sich noch einmal als Kinder. Im Finale werden sich Kindheitserinnerungen und ‚Gegenwart‘ überlagern: Siegmund trägt eine noch kindliche Schwester auf seinen Schultern, und fliehen wird er mit der Braut und Schwester. Oder vielleicht fliehen sie gar nicht?  Bleiben sie im „Geisterhaus“ gefangen? Fliehen sie nur in ihrer Imagination? Im „Geisterhaus“ wird Übervater Wotan wie ein lebendig gewordenes Gemälde aus der Wand treten und Siegmund das Schwert zerbrechen, und Hunding wird ihm einen Speer – Wotans Speer – in den Rücken stoßen.… → weiterlesen

Brillant gesungen und musiziert – Routiniert und konventionell inszeniert. Die Walküre an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf

Über 150 Male – so erfährt man im Programmheft – hat Theatermacher Hilsdorf Schauspiele und Opern in großen und kleinen Häusern in Szene gesetzt – und man merkt es. Jetzt bei seiner Düsseldorfer Walküre hat er sich wohl seiner Essener Walküre erinnert – und wir als Zuschauer auch. Recycling und Zitate sind angesagt. Wieder sind wir unter Militärs – und zur Abwechslung mal in deren Bunkern. Wieder trägt man den grauen Soldatenmantel, und wieder feiert man mit ‚Blitzmädels‘, die in eleganten Abendkleidern posieren und am Rotwein nippen.

Alle  gehören zur Familie, wie sie da im zweiten Akt an der langen Tafel sitzen. Oberbefehlshaber Wotan steigt in Siegerlaune zum Prosit schon mal auf den Tisch. Die schwangere Sieglinde nebst Unteroffizier Siegmund und Prinzessin Brünnhilde in großer Abendrobe, sie alle feiern mit. Auch der nur mühsam geduldete Jagdaufseher Hunding ist mit dabei. Doch Mutti Fricka hat ein Herz für ihn – die Folgen kennen wir noch aus anderen Inszenierungen. Eine Variante erlaubt sich indes die Regie: Nicht Wotan zerbricht dem armen Siegmund die Waffe. Er kommt auf ganz banale Weise um. In Wotans Bunker erschießt der Jagdaufseher ihn einfach mit der Flinte: Blattschuss. Und darf sich dann wieder an die Tafel setzen, wo er allerdings am Herzinfarkt dahingeht.… → weiterlesen

Zwischen MGM und Godard und Hitchcock. Die Walküre ein Cinema Event im Anhaltischen Theater Dessau

Vielleicht sollte ich wieder das Klischee zitieren, dass man (manchmal) in die ‚tiefe deutsche Provinz‘ reisen sollte, um ungewöhnliche Wagner Aufführungen zu erleben. Beim Dessauer Ring, der  vor zwei Jahren mit der Götterdämmerung begonnen wurde und  bei dem man inzwischen zur Walküre gelangt ist, stimmt das Klischee in jeder Weise.

Ein brillant singendes Ensemble (allen voran Iordanka Derilova in der Titelrolle und Ulf Paulsen als Wotan), ein Orchester, das unter der Leitung von Maestro Antony Hermus  auf alles konventionelle Gedröhne verzichtet und stattdessen auf langsame Tempi und vor allem auf das Piano setzt, auf einen eher sanften Wagner und mit dieser Konzeption nicht ‚berauscht‘, sondern berührt. Eine ehrgeizige, intermedial höchst beschlagene Regie (André Brücker), die sich dieses Mal nicht an Bob Wilson orientiert und auch nicht wie in der Götterdämmerung und im Siegfried den Bauhausstil ins Zentrum des Interesses rückt, wenngleich beim Auftritt der Walküren Oskar  Schlemmers Triadisches Ballett wohl zitiert wird und es am Spiel der Farben und Figuren, die sich als Hologramme ’realisieren‘, d.h.  an Verweisen  auf die Bauhaus Künstler nicht mangelt.

Jetzt in der Walküre orientiert sich die Regie primär an der Welt des Films oder, wenn man so will, an der digitalen Welt, spielt mit einer Fülle von fragmentarischen Verweisen und appelliert an das Kino-Gedächtnis der Zuschauer. Wer als Wagnerianer nicht zugleich ein Kino Fan ist, der tut sich schwer, die Referenzen zu erkennen und zu gewichten – trotz all der Hilfestellungen, die die Regie den eher Unbedarften anbietet. Der gehetzte Siegfried – in Kostüm und Maske erinnert er an den Siegfried aus Fritz Langs Nibelungen – flüchtet sich in das Archiv eines Hollywood Filmstudios, und Sieglinde – wohl im Kriemhilde Kostüm – reicht ihm zur Erquickung eine Dose Cola und Fastfood aus der Plastikpackung. Hunding ist wohl der dynamische Archivar oder vielleicht auch der Produzent oder vielleicht auch eine Filmfigur, ein Boss, der, nach deren Outfit zu urteilen, seine Bodyguards aus einem Actionfilm über islamische Terroristen her geholt  hat.  Wagners „Stamm einer mächtigen Esche“ ist zu einem Bündel herabhängender Filmrollen geworden, an denen sich Siegmund die Finger verbrennt.

Ja, und wer von den Wagnerianern immer noch nicht gemerkt hat, dass diese Dessauer Walküre uns nichts von Germanen oder Kapitalisten, nichts von machtlüsternen Göttern und leidenschaftlichen Menschen erzählen will, sondern uns vom Theater weg in ein anderes Medium entführen will, dem wird die Regiekonzeption überdeutlich im zweiten Akt signalisiert. Wotan ist ein Produzent und Regisseur, der mit seinen Filmrollen spielt, Brünnhilde die gelangweilte Assistentin, die das Geschwätz des Alten kaum noch erträgt und die im zweiten Teil auf dem Regiestuhl Platz nehmen darf, die die Szenen Siegmund- Sieglinde von einem Kameramann aufnehmen lässt und diese entsprechend arrangiert, die  eigenmächtig das Drehbuch verändert und daraufhin vom Produzenten geschasst wird.  Nicht genug damit. Die Filmszenen auf dem Theater sind referentiell angelegt. Es  wimmelt es nur so von Verweisen auf die  Filmgeschichte. Zwei Beispiele: die erste Szene des zweiten Akts verweist auf  die Schlussszene  in  Godards Le Mépris: Fritz Lang in der Rolle des Regisseurs Fritz Lang schaut von der Dachterrasse der Villa Malaparte auf das Lichtermeer der fernen Stadt. Der  mit seinen Filmrollen spielende Regisseur Wotan tut es ihm gleich. Wie  der Protagonist in Hitchcocks Actionfilm North by Northwest (Der unsichtbare Dritte) flieht das Wälsungenpaar durch die Filmlandschaft der USA bis hin  zum Mount Rushmore National. Und damit auch beim Zuschauer nicht der geringste Zweifel aufkommt, dass dieser Siegmund ein Produkt  aus der Traumfabrik ist, wird auch noch in großen Lettern der Schriftzug Hollywood eingeblendet. Nur konsequent ist es dann, dass wir im dritten Akt in einer Hollywood Revue oder vielleicht auch auf dem Broadway oder vielleicht auch bei den schwulen Matrosen in Fassbinders La Querelle angelangt sind.

Kein Zweifel, was sich da in Dessau auf der Bühne tut, das ist alles sehr spektakulär und unterhaltsam dazu. So ganz neu und so originell, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es allerdings nicht. Was die Regie bietet, das ist von der Struktur nichts anderes als ‚Theater auf dem Theater‘, ein gern genutzter Metatheatertrick, der hier zum Film auf dem Theater variiert wird. Und wenn wie bei der Dessauer Walküre dieser Film auf dem Theater auch noch mit Bauhauszitaten angereichert wird, dann wird dem Zuschauer fürwahr ein großes Spektakel geboten. Doch, so mag man vielleicht bedenken, besteht nicht die Gefahr, dass eine Zentrierung auf die Kino-und Fernsehwelt im Theater, so aktuell eine solche Konzeption auch ist, das Proprium des Theaters, eben das unmittelbare Erleben des Spiels zerstört? Ein modernes Medium zerstört ein altes? Oder bereichert es ein altes? Wie dem auch sei. Das Publikum war begeistert – und ich auch. Ein großer Opernabend in der ‚fernen deutschen Provinz‘.

Wir sahen die Premiere am 27. September 2014.

 

Brillante Sänger, ein brillantes Orchester, eine dürftige Regie. Die Walküre am Staatstheater Nürnberg

An der Nürnberger Oper singt und spielt zurzeit ein ungewöhnlich brillantes Ensemble. Und das gleiche gilt für die Auswahl der Gäste. Eine Beobachtung, die wir schon bei der Arabella, bei den Hugenotten und jetzt wieder bei der Walküre machen konnten. Mit welcher Leidenschaft – oder sagen wir einfach: wie schön, wie beeindruckend sangen und spielten Vincent Wolfsteiner und Ekaterina Godovanets das Wälsungenpaar und versetzten damit gleich im ersten Akt das Publikum in den berüchtigten Wagnerrausch. Wie souverän gaben Vitalij Kowaljow und Daniela Sindram (beide Gäste in Nürnberg) Wotan und Fricka. Wie strahlend sang doch Rachael Tovey die Walküre und schreckte dabei auch vor leichter Selbstironie nicht zurück. – All dies hat das Publikum zu Recht begeistert.

Am großen Erfolg, an der „narkotisierenden Wirkung“, auf die Wagner angeblich immer aus ist, hat natürlich das Orchester großen Anteil. Maestro Bosch, dessen Rheingold Interpretation uns schon fasziniert hatte, verfällt auch bei der Walküre nicht in das traditionelle Wagner Gedröhne. Auch um ein – so schreibt er im Programmheft – „sängerfreundliches Begleiten“ geht es ihm nicht. Für ihn ist die Walküre – und da kann man ihm nur zustimmen – „keine Sinfonie mit Sängerstimmen, sondern ein in Musik erzähltes Drama“. Und entsprechend lässt er das Orchester aufspielen.

Wie schade nur, dass die Inszenierung kaum etwas zur Realisierung dieses „Dramas“ beigetragen hat. Sie setzt, wenn ich das richtig verstanden habe, eher auf den komödiantischen Subtext des Librettos und konterkariert damit das Drama, das sich in der Musik ereignet. Hunding ist ein Altreifenhändler, der im Schlafzimmer seiner Häusle Baustelle zwecks Reinigung sich einen Kübel Wasser überschüttet und dabei Gattin und Gast voll spritzt (Ein kaum versteckter Hinweis für die Freudianer im Publikum?). Wotan ist ein in Zivil gekleideter Oberbefehlshaber, der vom Bunker aus seine Kampfbomber dirigiert, Fricka eine Zicke im Kaufrausch, Brünnhilde reitet mit dem Steckenpferd aus dem Spielzeugladen herein und nascht an Papas Whiskyflasche. Die Walküren sind eine Gang von Girls, die sich mit Kindersoldaten einen Spaß machen. Siegmund wird mit dem Hackebeil erschlagen und bekommt dabei gleich einen ganzen Eimer Theaterblut ab. Zum Glück für die Aufführung hat die Regie im Finale ihre Arbeit einfach eingestellt. Brünnhilde legt sich zum Tiefschlaf auf einen Planwagen, und Wotan singt die Abschiedsszene, ohne von der Regie weiter belästigt zu werden, ergreifend schön von der Rampe.

Das Drama erzählt die Musik, die Emotionen verschafft der Orchesterklang. Die Szene unterhält ein wenig und stört ansonsten nicht weiter.

Ein Vorschlag an die Intendanz: geben Sie Ihre musikalisch und sängerisch doch so gelungene, Ihre so brillante Walküre in der nächsten Spielzeit konzertant. Das hätte auch, da die Verweildauer in Ihrem Hause dann wohl kürzer ist, den Nebeneffekt, dass Sie ihr Publikum nicht mit Suppe und Würstchen füttern müssten und die Würstchenverächter von den Verdauungsgeräuschen ihrer Sitznachbarn verschont blieben. Wie sagte doch noch Mortier: „Ins Musiktheater kommt man nicht zum Verdauen und zum Gähnen“. Und dazu sollten Sie keinen Anlass geben.

Wir sahen die Aufführung am 29. Juni 2014. Die Premiere war am 5. April 2014.

 

 

An der Front im ersten Weltkrieg und auf dem faschistischen ‚Heldenfriedhof‘. Die Walküre an der Oper Leipzig

„Völkerschlacht“ bei Leipzig. Ausbruch des ersten Weltkriegs. Gedenkorte und Gedenkjahre des großen Abschlachtens. Da liegt es nahe, daran zu erinnern, dass es auch in Wagners Walküre um das sinnlose Abschlachten aus scheinbar hehren Motiven geht: um der Ehre, um der Rache, um der Macht willen. Ein Gedanke, der vielleicht die Konzeption der Leipziger Walküre mitbestimmt haben mag.

Rosamund Gilmore, die im neuen Leipziger Ring für die Regie verantwortlich zeichnet, setzt indes in ihrer Walküre kein plattes realistisches Kriegsstück in Szene, wenngleich die Ingredienzen hierfür alle beisammen sind. Nebelschwaden, Stacheldrahtverhaue, Walküren im modernen Military Look, Karabiner mit aufgestecktem Bajonett, Hunding als französischer (?) Soldat, der nebst Gattin in einem unterirdischen Bunker haust, Wotan in einem zerschossenen Hauptquartier, das einstmals wohl ein Schloss aus dem 18. Jahrhundert war.

Das Kriegsszenarium ist indes nur das Vordergründige. Bild und Geschehen öffnen sich hin zum Mythischen. Archaische Elemente des Mythos, die eine platte Aktualisierung unterdrücken würde, treten wieder hervor. Und diese Ausweitung des Geschehens gelingt der Choreographin Gilmore über Bewegung und Tanz. Sind das Lemuren, Untote unter ausgebleichten Tierschädeln, Vorboten des Todes, die da aus den Stacheldrahtverhauen über Hundings Bunker kriechen, Siegmund in den Bunker hinab folgen und lauernd die wachsende Feindseligkeit zwischen den beiden Männern beobachten? Wer ist der groß gewachsene ‚Held‘, der Brünnhilde ständig begleitet. Ihr Adjutant? Einer von Wotans „Heldensöhnen“, der dessen „Wunschmaid“ schützen soll?. Oder ist der “Held“ schon die Präfiguration ihrer Erlösers Siegfried? Überaus deutlich wird dieses Schwanken zwischen scheinbarer ‚Realität‘ und dem Archaisch-Mythischen in der Fricka-Szene. Zwei Tänzer mimen die Widder, die laut Libretto den Wagen der Göttin ziehen. Doch diese Göttin wirft ihre Attribute von sich und mutiert zu einer Art   Florence Nightingale Verschnitt – und die Widder sind weiter ihre ständigen Begleiter.

Höchst spektakulär  ist das Szenarium im dritten Akt: ein Heldenfriedhof, übersät statt mit weißen Kreuzen mit weißen Stiefeln. In der Mitte das schon für Brünnhilde vorbereite ‚Heldengrab‘, auf das sie sich als Statue ihrer selbst legen wird, zur Linken ein faschistischer Palast im  De Chirico Stil, in den sich die Walküren flüchten werden und aus dem Brünnhildes vieldeutiger Adjutant auf die Schlafende herab blicken wird. Und während dessen ist die Tanztruppe zum paramilitärischen faschistischen Turnverein mutiert.

Eine höchst beeindruckende Bühnenwelt, die Rosamund Gilmore und der Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle für ihre Leipziger Walküre geschaffen haben. Hinzu kommt ein zweites, das schon beim Rheingold zu beobachten war. Das Produktionsteam verzichtet auf die üblichen ideologischen Botschaften, will nicht mit Wagner die Welt erklären, sondern  mit Wagner großes, faszinierendes Theater machen. Und dies ist ihm zweifellos gelungen.

Und Orchesterklang und Gesang? Da gibt es nichts zu bekritteln. In Leipzig wird in allen Rollen herausragend gesungen und gespielt. Und natürlich spielt  das Gewandhausorchester unter Maestro Schirmer einen perfekten Wagner. Wagner vom Allerfeinsten. Ein großer Opernabend in Leipzig.

Wir sahen die Aufführung am 22. Dezember, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 7. Dezember 2013.