Der Sklave der Ringe – eine höchst brillante Fantasy Walküre an der Bayerischen Staatsoper

 

In München wird der Opern Fan nicht sehr häufig von spektakulären Aufführungen verwöhnt. Vom Trash Don Giovanni, vom Häuslebauer Lohengrin und Freundin Elsa, von der Turandot Holiday on Ice Show reden wir erst gar nicht mehr. Mit ärgerlichem Schweigen übergehen wir auch die gänzlich abgespielten Wiederaufnahmen von Così fan tutte, von Le Nozze di Figaro, vom Rosenkavalier, um nur ein paar zufällige Beispiele zu nennen. Gäbe es da im Repertoire nicht einige Glanzpunkte wie Kusejs Rusalka oder Bieitos Fidelio oder Warlikowskis Eugen Onegin, dann hätte ich den Münchner Musentempel schon lange aus meinem Opernprogramm gestrichen.

Und die Walküre? Ich sage es gleich und ohne alle Umschweife: mag die Feuilletonkritik sie allenfalls als hochkarätige konzertante Aufführung schätzen, für mich, die interessierte Dilettantin, gibt es an der neuen Münchner Walküre nichts zu mäkeln, nichts zu bekritteln. Sie hat mich begeistert.… → weiterlesen

Die Inszenierung findet nicht statt: Die Walküre an der Staatsoper Im Schillertheater

 

Holographie und Design sind Kunstfertigkeiten, die der flämische Theatermacher Guy Cassiers, der beim neuen Berliner Ring für Inszenierung und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zweifellos in hohem Grade beherrscht. Und dank dieser Kunstfertigkeiten zaubert er in der Tat wunderschöne Bilder auf die Bühne, mit denen ihm eine durchweg beeindruckende Ästhetisierung der Walküre gelingt. Zwar sind seine Bilder in ihrer Symbolik manchmal platt und abgegriffen wie die phallischen Bäume, die zu langen Lanzen werden oder Wotans sich unaufhörliche drehende Weltkugel, in der die Geldscheine flattern oder die Galerie der Pferdestatuen, vor der traurige Gott im zweiten Akt monologisiert (ja, wir wissen schon:  das Pferd ist das Symbol der Gewalt und der Wollust). Manchmal indes, so wenn er die Rebellion der ‚Wunschmaid‘ als Engelssturz deutet und sein Hologramm implizit auf Domenico Beccafumi verweist, können seine Bilder auch überraschende Einsichten vermitteln. Doch eigentlich erwartet man von einer Wagner Inszenierung an einer renommierten Staatsoper ein bisschen mehr als Illustrationen der Handlung und Bühneneffekte, so überraschend sie auch sind und so schön sie auch anzusehen sind. Es muss ja nicht gleich Metatheater, Ideologiekritik, Rezeptionsgeschichte, radikale Aktualisierung oder gar Parodie und Kasperletheater sein. Aber irgendeine Grundkonzeption sollte es doch geben und wenn es sie schon nicht gibt oder wenn sie  für die Dilettantin nicht erkennbar ist, dann sollte sich doch wenigstens die Personenregie nicht gänzlich im Konventionellen erschöpfen und nicht nur die abgelebten Operngesten nachstellen: das ständige auf den Knien Herumrutschen, das pathetische Ausstrecken der Hände, das Herumfuchteln mit den Schwertern, das erotisch gemeinte Herzen und Küssen, das von der Rampe Singen. So gab es denn letztlich auf der Bühne viel Sinneslust – ohne Lust. Dafür  aber hin und wieder unfreiwillige Komik: der Karl May Scout entführt dem Biedermann die frustrierte Gattin, der scheinbar so allmächtige Macho mit proletarischem(?) Hintergrund knickt vor dem großbürgerlichen Ehegespons ein, zum Feuerzauber senken sich rote Lampen auf die schlafende Walküre, die dank einer gut funktionierenden Unterbühnenmaschinerie nur scheinbar gefährlich nahe an die Lampen hinaufgehoben wird). Vergessen wir die harmlos hübsche Inszenierung und behalten wir nur den brillanten musikalischen Part in Erinnerung. Die Staatskapelle unter Barenboim spielt einen hinreißenden Wagner und gesungen wurde in (fast) allen Rollen auf höchstem Niveau.  Doch mit dem Wiener Ring, da können die Berliner nicht mithalten. Wir sahen die Premiere am 17. April 2011.

Eine Familientragödie? Und weiter nichts? Die Walküre im Aalto-Musiktheater Essen

Der Essener Ring, der mit einer spektakulären Wagner-Revue, bei der die Rheingold Musik zum Soundtrack für eine Sex and Crime Show heruntergekommen war,  begonnen hatte, ist mit der Walküre im besten Sinne des Wortes wieder seriös geworden. Ort der Handlung ist ein großzügig bemessener palastähnlicher Saal, der allerdings schon erste Zeichen des Verfalls aufweist und in dem eine Familie preußischer Militäraristokraten oder vielleicht auch die modern-militärisch gekleideten Atriden oder vielleicht auch die Krupps von der Villa Hügel oder vielleicht auch der Wagner Clan residiert: Deutungsmöglichkeiten, die die Regie (Dietrich Hilsdorf) suggeriert. Unter dem Kommando eines Generals Wotan wohnen sie alle in diesem Palast: die Matrone Fricka, die letztlich das Kommando führt, die ganze Schar der unehelichen Kinder (junge Damen in großer Abendrobe), auch die Zwillinge Siegmund und Sieglinde und konsequenterweise auch der wohl nicht ganz standesgemäße Schwiegersohn und Schwager Hunding. Eine solche Konzentration der Szene und des Personals bietet neue dramatische Möglichkeiten:  es erleichtert Siegmund ungemein dem Schwager die Frau zu entführen, und das von Mutti Fricka erwirkte Todesurteil gegen ihren ungeliebten Stiefsohn lässt sich als eine Art Feme Familiengericht zelebrieren, bei der alle Beteiligten präsent sind. Wie es nun einmal bei einem Familientreffen üblich ist, trinkt man sich zunächst einmal zu. Eine schöne Gelegenheit für die Regie, einen weiß gedeckten Esstisch nebst Weingläsern und Rotweinflaschen mitten auf die Szene zu stellen. Im Finale des zweiten Akts, da schießt Hunding den armen Siegmund, der mit seinem mannshohen Schwert in der Hand  wohl noch auf ein richtiges Duell gehofft hatte, mit seinem Karabiner einfach nieder. Und die Leiche liegt am Esstisch, und Hundig trifft beim Anblick des zornigen Familienoberhaupts Wotan der Schlag. Doch vorher krabbelt er noch schnell auf eine Sitzbank und darf dann den ganzen dritten Akt über –  als Untoter drapiert –  dort hocken bleiben. Im dritten Akt ist es nur konsequent, wenn wir uns schon in einem zumindest halbmilitärischen Ambiente des 19. Jahrhunderts befinden, dass die Heldensöhne, die sich die jungen Damen (vulgo: die Walküren) zum Leichenfest ausgesucht haben, als schwule preußische Kadetten auftreten und mit den Wunschmaiden wenig anzufangen wissen. Und Wunschmaid Brünnhilde wird der Einfachheit halber im hohen Saale zum Tiefschlaf eingeschlossen. Eine in sich stimmige Konzeption, die auf das Grundthema ‚Verfall einer Familie’ (ein bekanntlich typisches Thema des späten 19. Jahrhunderts) den Hauptakzent setzt. Eine Inszenierung, die ohne all Gags und Mätzchen aus kommt, den Sängern allen Raum zur Entfaltung lässt und die nie von der Musik ablenkt. Und musiziert wurde  unter der Leitung von Stefan Soltesz dieses Mal – ganz anders als beim Rheingold –  berückend schön, ohne alles Brimborium, einfach nur schön.

Die Premiere war am 24. Mai 2009. Wir sahen die Vorstellung am  4. Juli.