Der Sklave der Ringe – eine höchst brillante Fantasy Walküre an der Bayerischen Staatsoper

 

In München wird der Opern Fan nicht sehr häufig von spektakulären Aufführungen verwöhnt. Vom Trash Don Giovanni, vom Häuslebauer Lohengrin und Freundin Elsa, von der Turandot Holiday on Ice Show reden wir erst gar nicht mehr. Mit ärgerlichem Schweigen übergehen wir auch die gänzlich abgespielten Wiederaufnahmen von Così fan tutte, von Le Nozze di Figaro, vom Rosenkavalier, um nur ein paar zufällige Beispiele zu nennen. Gäbe es da im Repertoire nicht einige Glanzpunkte wie Kusejs Rusalka oder Bieitos Fidelio oder Warlikowskis Eugen Onegin, dann hätte ich den Münchner Musentempel schon lange aus meinem Opernprogramm gestrichen.

Und die Walküre? Ich sage es gleich und ohne alle Umschweife: mag die Feuilletonkritik sie allenfalls als hochkarätige konzertante Aufführung schätzen, für mich, die interessierte Dilettantin, gibt es an der neuen Münchner Walküre nichts zu mäkeln, nichts zu bekritteln. Sie hat mich begeistert. Am vergangenen Wochenende (wir sahen tags zuvor auch noch einmal Eugen Onegin) hat die Bayerische Staatsoper endlich noch einmal gezeigt, dass sie noch immer zur absoluten Spitzengruppe unter den Musiktheatern zählt. In der Münchner Walküre wird in Gesang und Orchesterklang Wagner auf höchstem Niveau geradezu zelebriert. Kein rauschhafter, dröhnender Wagner, nichts von Apokalypse Now,  sondern ein eher verhaltener Wagner, bei dem die Piano Stellen besonders berühren. Für mich ein geradezu perfekter Wagner, den das Staatsopernorchester unter Maestro Nagano spielt. Und auf der Bühne Stars  wie  Klaus Florian Vogt und Anja Kampe als Siegmund und Sieglinde, Thomas  J.  Mayer und Katarina  Dalayman als Wotan und  Brünnhilde. Das ist einfach Wagner vom Allerfeinsten, und die begeisterte Dilettantin sagt sich: „Vergiss Bayreuth. Besser und schöner als in München geht es nicht.“

Inszenierung und Bühne mögen wohl  zu Anfang irritieren. Doch hat sich der Zuschauer erst einmal darauf eingelassen, dass die Regie keine Welterklärungsmodelle, kein Fest des Metatheaters, keine Stücke- Zertrümmerungsorgie, keine Zirkusshow und auch kein intermediales Spektakel bieten will, dass sie statt dessen  die ewig wiederholbare Erzählung von Gewalt und Leidenschaft, von scheinbar absoluter Macht und deren erbärmlichem Scheitern  in Szene setzt, in Bilder transponiert, dann erscheint die Konzeption in all ihrer Einfachheit in sich stimmig und konsequent. Die Bilderwelt, in die Andreas  Kriegenburg das Geschehen verlegt, ist die Märchenwelt der populären Fantasy Romane, ein Verweis, der schon zur Ouvertüre offenkundig ist. Während das Orchester von Siegmunds Kampf und Flucht ‚erzählt‘, sieht der Zuschauer, wie sich Siegmund in der Lichtung eines zerstörten Tannenwalds der Feinde erwehrt, sieht er das, was Siegmund selber gleich im ersten Akt  in Wort und Gesang erzählen wird. In Hundings Haus erwartet ihn nicht nur Sieglinde. Ein stummer Chor junger Frauen umgibt ihn. Sie reichen ihm den Trank, sie zeigen ihm das Schwert, sie evozieren  inmitten eines bürgerlichen Salons mit einer üppig gedeckten Tafel ein Ambiente des Märchenhaften, des Geheimnisvollen –  ein scharfer Kontrast zum ‚Realen‘: dem gewalttätigen Machogehabe des Hausherrn und dem ängstlich Verhuschten seiner Gattin. Vielleicht ist dieser erste Akt nicht  nur von der Interpretation der Musik, sondern auch von der szenischen Umsetzung her, eben mit seiner Kontamination aus Märchenwelt und ‚Realem‘ der am besten gelungene. Zumindest mich hat er am meisten beeindruckt. Im zweiten Akt geht es dann bei den ‚Szenen einer Ehe‘ eher konventionell zu, eben so oder so ähnlich, wie man  es schon viele Male gesehen hat.  Erst als den gebrochenen Wotan –schon vom Outfit her ein  unglücklicher jüngerer Bruder des ’Herrn der Ringe‘- ein Heer dunkler Gestalten bedrängt, sind wir wieder in der Welt der Märchen und der Fantasy Literatur. Und das gleiche gilt, wenn wir das erschöpfte Liebespaar über eine Hundertschaft gefallener Kämpfer hasten sehen und wenn Siegmunds letzter Kampf als  Filmszene aus einem Märchenfilm eingeblendet wird und der Böse, der scheinbare Sieger, sich im Wahn die Kehle durchschneidet. Das ist alles doch, so mag der kritische Betrachter einwenden, keine Deutung des Geschehens, sondern allenfalls  machtvolle oder auch sentimentale Illustrierungen des Geschehens.  Ein Einwand, den die Regie im dritten Akt gleichsam vorwegnimmt, wenn sie die Illustrationen ironisch verfremdet. Da hängen Wotans Heldensöhne  wie Vogelscheuchen auf phallischen Pfählen. Da mimt eine ganze Schar von Statistinnen trampelnd und die langen Mähnen schüttelnd die wilden Rosse der Walküren, die ihrerseits ganz brav mit ihren Lanzen  warten, bis die Mädels ihre Pferdepantomime beendet haben. Und im Finale, da haben die jungen Damen, die Mädels, gleich noch einen, einen scheinbar gefährlichen Auftritt. Unter einem Feuerring hocken sie da und bewachen den Schlaf der Walküre, während Papa Wotan die Lanze reckt. Fantasy und eine  – vielleicht auch spöttische Referenz an den altbayreuther  Stil. Das ist zwar keine berauschende Grundkonzeption. Doch schön – und nicht anspruchsvoll ist es alle Male. „Prima la musica e poi la messa in scena“. Dies könnte vielleicht das Motto der Münchner Walküre sein. Der Opern Fan sollte sie nicht versäumen. Ich jedenfalls gehe bei nächster Gelegenheit wieder hin.

Wir besuchten die Aufführung am 25. März 2012. Die Premiere war am 11. März 2012.