Mission impossible. Der „gottgesandte Held“ bringt keine Rettung. Lohengrin am Staatstheater Nürnberg

Ist das eine Fantasy Welt  mit ideologischem Überbau, in der der Ritter Lohengrin gleich zweimal auf der Verliererseite steht? Ist der Verlust der (angeblich) geliebten Frau nur der geringere Verlust und wiegt nicht viel schwerer, dass im Finale die alten Götter wieder die Macht übernehmen und der christliche König und seine Leute überstürzt aus Brabant fliehen müssen?

Der Nürnberger Lohengrin, den David Hermann in Szene gesetzt hat, endet spektakulär. Der neue Herrscher „Seht da den Herzog von Brabant!“ ist nicht der wiedergekehrte Knabe  Gottfried, sondern der brutale Graf Telramund, den Lohengrin gar nicht erschlagen, sondern nur in Ohnmacht geschlagen hat. Mit Lohengrins letzten Worten erwacht er, nimmt den Thron in Besitz und vertreibt die Christen aus dem Lande.

Ein Finale ganz gegen die Musik und gegen das Libretto? Doch ein Finale, das sich von Anfang an angedeutet hatte. Die „Edlen von Brabant“ sind nicht im Geringsten zivilisiert. Sie sind ein wilder Haufen von Streitäxte schwingenden Wikingern, die kaum Respekt vor dem König haben und denen es eine Lust ist, Prinzessin Elsa zu erniedrigen. Das Erscheinen des Gralsritters  und mit ihm die Macht des Christentums schüchtern sie kaum ein.

In David Hermanns Inszenierung geht es nur vordergründig  um die Rettung der Elsa und um die Unmöglichkeit einer Verbindung von „überirdischer Macht“ und irdischer Zweisamkeit. Hier geht es um den ‚clash of cultures‘. Bei diesem Zusammenprall spielen wie in populären Fantasy Romanen oder wie in antiken Epen die Götter mit. Wotan tritt als Vertreter der alten Götter  in Person auf  und Gralskönig Parzival als Vertreter des Christentums. Zwei in Pantomime agierende Gestalten, die die Handlung bestimmen. Im Zweikampf zwischen Lohengrin und Telramund kämpfen sie mit. In den Ortrud – Telramund Szenen  ist Wotan  präsent. Beim Kirchgang, mag die Musik auch noch so fromm klingen, sind Wotans Raben mit dabei. Im Vorspiel zum dritten Aufzug  feiert er ein Fressgelage mit seinen Walküren  und betrinkt sich in Vorfreude auf den Sieg.

Parzival ist in der Brautszene mit dabei und flüstert seinem Sohn die Tiraden zu, die dieser von sich geben soll. Im Finale diktiert er ihm die Proklamation  des alten Herrschers  – und verschwindet mit seinem Sohn in der Versenkung. Im ‚Clash of cultures‘ geht das Christentum im Wortverstande  unter.

Eine ungewöhnliche und  wohl auch originelle Deutung des Lohengrin, eine Interpretation, die konsequent und stringent ist. Eine  Parabel auf unsere Zeit – in den Kostümen vergangener Zeit und im Fantasy Milieu? Vielleicht.

Und die Musik und die Sänger? Keine Frage, dass in Nürnberg unter der Leitung von Joana Mallwitz musiziert und gesungen wird, wie es dem durchweg hohen Niveau des Hauses entspricht. Es kommt selten vor, dass bei einer Wagner Aufführung die Szene und die Regiekonzeption  den Musikpart zu dominieren versuchen und die Wagner Droge nur in vorsichtiger Dosierung gereicht wird.“Heut – hast du’s erlebt“.

Wir besuchten die Aufführung am 19. Mai 2019. Die Premiere war am 12. Mai 2019.

 

 

 

Brillant das Ensemble – dürftig die Regie oder wie das Staatstheater Nürnberg Così fan tutte szenisch verhunzt

Sagen wir es gleich mit einem Satz: in der Nürnberger Così fan tutte singt und agiert ein exzellentes Ensemble junger Sängerinnen und Sänger in einer tristen vulgären Inszenierung. Hier ist der junge Bariton Denis Milo mit seiner einschmeichelnden lyrischen und doch so kräftigen Stimme und seiner dominanten Bühnenerscheinung der Star des Abends. So mancher im Publikum wird sich   wohl bei dem Gedanken ertappt haben, dass an diesem Abend Don Giovanni in die Rolle des verliebten und düpierten Guglielmo geschlüpft ist. Hier ist Ferrando in der Person des Martin Platz ein hoher Mozarttenor mit nicht minder einschmeichelnder Stimme. Hier können die Damen,  allen voran die Primadonna in der Person der Julia Grüter durchaus mithalten, und nicht zuletzt ist auch die Rolle des scheinbar so misogynen „vecchio filosofo“ in der Person des Wonyong Kang herausragend besetzt.… → weiterlesen

Episches Propaganda-Theater nebst Sinnsuche. Prokofjew, Krieg und Frieden am Staatstheater Nürnberg

Keine Frage, dass Prokofjew zu den Starkomponisten des 20. Jahrhunderts gehört. Keine Frage, dass Der feurige Engel mit seinem Ineinander-Übergehen von scheinbar ‚Realem‘ und Phantastischem, von Krankheit und Wahn, von Märchen und Satire große Oper ist, zumal dann, wenn diese in der Bayerischen Staatsoper von einem Theatermacher wie Barrie Kosky so grandios in Szene gesetzt wird.

Doch Krieg und Frieden, das Spätwerk vom Jahre 1941, zu dem der Komponist auf der Basis von Tolstois Roman selber das Libretto verfasste, zählt diese Oper wirklich zu den großen Werken Prokofjews?

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In hübschen Rokokokostümen und weiter nichts Besonderes. Le Nozze di Figaro am Staatstheater Nürnberg

Einen nicht sonderlich anspruchsvollen, um nicht zu sagen, einen recht populären Figaro präsentiert die Nürnberger Oper zum Finale der Saison. Natürlich wird nach einem  wohl durch die hochsommerlichen Temperaturen bedingten etwas müden Beginn gesungen und musiziert, wie es dem Niveau des Hauses entspricht. Doch macht  die etwas zu museale Inszenierung aus diesem Nürnberger Figaro nicht viel mehr als über weite Strecken langweiliges und nicht unbedingt durchdachtes Stadttheater.

Man muss ja nicht immer gleich aktualisieren oder gar politisieren oder wie kürzlich am Theater an der Wien den Figaro von psychisch Gestörten in einer geschlossenen Anstalt spielen lassen. Doch museales Rokokotheater, zu dem man jetzt in Nürnberg zurückkehrte, ist wohl auch nicht unbedingt die Alternative. Ich will ja nicht sagen, dass es der  Inszenierung von Mariame Clément an Einfällen und Gags mangelt – aber wohl an einer stringenten Grundkonzeption.  Da beginnt man gleich zur Ouvertüre und  im ersten Akt  mit einem Metatheater Kunstgriff, mit dem Signal: Achtung, wir spielen Theater. Alle Akteure, mögen sie nun ihren Auftritt erst im Laufe des ersten Akts oder gar erst im zweiten Akt haben, sind auf der Szene versammelt. Die Contessa liegt im Bett, der Conte spielt mit seinen Jagdgewehren, Cherubino übt schon mal seine Kanzonetta auf der (stummen) Laute, Basilio gibt Gesangstunden, Susanna hängt die Wäsche auf, Figaro quält sich mit seinen Zahlen herum, die er sich auf bunten Zetteln notiert hat, das Dienstpersonal  kocht und bügelt und arrangiert die Möbel. In dem großen Einraum Palais des Conte Almaviva geht es halt recht  geschäftig zu. Das ist alles hübsch anzusehen – und lenkt doch nur von der Musik ab.

Es fehlt, wie schon gesagt, in dieser Inszenierung nicht an Gags. Die „Voi che sapete“ Arie intoniert Cherubino ohne Orchesterbegleitung zunächst gezielt falsch, und singt sie dann auf eine stumme Bitte der Contessa hin so, wie wir sie alle kennen. Zur „Porgi Amor“ Arie will sich die Contessa mit dem Brotmesser erstechen, das ihr glücklicherweise Susanna aus der Hand nimmt. Zum Duett Conte/Susanna im dritten Akt empfängt der Graf die  Angebetete in langen weißen Unterhosen. Und im Finale da darf der Conte auf der Fragonard Schaukel Platz nehmen, und alle dürfen der Schaukel einen Stoß geben. Ein Akt der Respektlosigkeit oder gar der erste Anlauf zur Revolution? War dies die Grundkonzeption der Inszenierung? So billig und so einfach macht es sich die Regie nun doch nicht.

Die Fragonard Schaukel als erotisches Symbol konzentriert nach all dem so oft ablenkenden Aktionismus  noch einmal die Grundthematik des ganzen Stücks. Le Nozze di Figaro ist, so will es wohl die Regie im Finale signalisieren, ein in  Szene gesetzter Liebesreigen, in dem eine Vielzahl von Liebesdiskursen gleichsam durchgetanzt werden: die Galanterie, die Eifersucht, die ‚Liebe als Passion‘, die Nachsommerliebe usw. Wie schade, dass die Regie diese Grundthematik nicht stärker betont hat. Und wie schade vor allem, dass sie die Person der Susanna als Dummchen hingestellt hat, wo sie doch bei Mozart und Da Ponte die einzige Person ist, die sowohl mit der Liebe als Passion  als auch mit der Galanterie zu spielen weiß und deswegen den Conte ‚auszutricksen‘ vermag.

Wie dem auch sei. Dem Publikum und vor allem den vielen jungen Leuten, die das Haus füllten, hat es gefallen. Mir auch, wenngleich ich, mit Verlaub gesagt, ein bisschen mehr erwartet hätte.

Wir sahen die Vorstellung am 21. Juli 2015. Die Premiere war am 27. Juni 2015.

 

 

Trash nebst Parodie und ohne Wagner-Rausch. Siegfried am Staatstheater Nürnberg

Dass Siegfried als Unterschichtenbengel mit einem Mime Proleten in einer heruntergekommenen Küche haust, das ist nicht neu. Das proletarische Küchenambiente gehört zu den Standardmaterialien der Wagner Ausstatter. Dass der Wanderer wohl gerade aus dem Obdachlosenasyl entlaufen ist, Alberich wohl sein Leben als Türsteher fristet und auf den armen Wotan pinkelt, dass Fafner seinen Schatz unter einer zerbrochenen Autobahn hütet, dass der Waldvogel als Revuegirl auf Krücken daher kommt, dass Erda wohl im Keller eines Schwulenpuffs schläft und vom Macho Wotan geohrfeigt wird… Ja, warum auch nicht. Trash, Trash! Überall Trash! Wohin ich forschend blick‘.

Ich mag die bei Theatermachern mit  offensichtlichem Brecht-Schaden noch immer so beliebte Trash Masche nicht sonderlich. Dieser verquaste vermeintliche ‚Realismus‘ langweilt mich nur. Doch wenn das Trash Theater durch gezielte Übertreibung als Parodie angelegt ist, dann kann es wie jetzt in Nürnberg  in der Regie von Georg Schmiedleitner höchst amüsant sein. Dann wird Wagner nicht herabgezogen, sondern dann wird wie bei einst bei Nestroy die dem Text und wohl auch der Musik inhärente Komik herausgestellt. Eine Komik, die in den ersten beiden Akten noch eher zurückhaltend eingesetzt wird und daher den Zuschauer noch im Trash Ambiente gefangen hält und die im dritten Akt voll ausgespielt wird – und der Klamotte recht nahe kommt. Brünnhilde ist in Kostüm und Maske und Bühnenerscheinung die schwere  Wagnerheroine aus Alt-Bayreuth, die in der Tat den kleinen Siegfried das Fürchten lehrt.  Die eben Erwachte rekelt sich erst einmal ausgiebig, gähnt, rollt mit den Augen und stürzt sich auf den am Boden hockenden Siegfried, als wolle sie ihn gleich vergewaltigen. Auf die langen Tiraden des wild wütenden Weibs reagiert der Siegfriedbengel nur höchst gelangweilt, holt aus der Kulisse die Couch, den Fernseher, die Bierflaschen, Aktivitäten, die Brünnhilde dazu veranlassen, sich ihrer Rüstung zu entledigen, sich den Krimsekt vom gerade herein geschobenen Büffet zu schnappen, es sich auf der Couch zum Fernsehabend gemütlich zu machen und nach Kartoffelchips und Siegfried zu greifen. Siegfried als Couch-Potato und Brünnhilde als seine Mama feiern den „lachenden Tod“, der als Karnevalsfigur neben dem Buffet steht. Die Nürnberger Siegfried Posse ein großes finales Gaudi.

Und wo bleiben Wagner-Rausch und Wagner-Pathos?  Abgeschafft. Maestro Marcus Bosch mag das nicht und gibt dem Affen keinen Zucker. In Nürnberg ist ein anderer, ein zurückhaltender Wagner zu hören. Der traditionelle „Hang zur Breite, Schwere und zum Pathos“ – so der Maestro im Programmheft –  sei „gegen Wagners  eigene Artikulationszeichen realisiert worden“ (vgl. Seite 28).  Wenn dem so ist. Ich kann das als Nichtmusiker nicht beurteilen. Ich kann nur sagen: Boschs Interpretation hat mir gefallen.

Wir sahen und hörten die Aufführung am 21. Juni 2015. Die Premiere war am 19. April  2015.

 

 

Gewalt, Sadismus und Masochismus in chinesischen Lagerhallen. Calixto Bieito inszeniert Turandot am Staatstheater Nürnberg

Kein fernöstliches Märchen und erst recht kein ironisiertes Märchen oder gar ein Metamärchen, wie es einst Carlo Gozzi in Venedig mit dem Titel Turandot schrieb, ist in Nürnberg zu sehen. Dort transformiert man  Puccinis Oper in eine  krude Parabel,  nein, besser: in ein krud-realistisches Drama aus dem chinesischen  Gulag oder, wenn man so will, in eine Dokumentation  aus Maos Reich mit uniformierten und terrorisierten Arbeitsbienen, mit prügelnden und folternden Militärs, mit einem vergreisten, siechen und debilen Herrscher  und einer hochgradig gestörten glatzköpfigen Dame mittleren Alters, die ihren sexuellen Frust in blutige Gewalt und diktatorische Machtgelüste umsetzt.  Alles ‚Heitere‘, das einst Goethe an Gozzis Märchen rühmte bzw. alles Buffohafte, das sich im Libretto – zum Beispiel in der Szene der drei Minister findet – ist gestrichen.  Es sei denn, man findet den schwulen Tanz, den die Folterknechte in Frauenkleidern hinlegen, erheiternd.

Warum der Fremde, der da mit dem Fahrrad in die Lagerhalle kommt, dort seinen gefolterten und schon moribunden Vater und das in ihn verliebte Mädchen trifft, unbedingt die Monsterfrau bändigen, erlösen und lieben will und dafür noch „Martern aller Arten“ für sich und Folterung und Selbstmord des schönen Mädchens in Kauf nimmt, das bleibt das Geheimnis des Librettos und der Regie. All diese Opfer – so die nihilistische Pointe im Finale, wie sie die Regie als Pantomime darstellen lässt, waren vollkommen sinn- und nutzlos. Die Arbeitsbienen wollen von dem vermeintlichen Erlöser gar nichts wissen, und die  Gestörte malträtiert Puppen. „Ein Frauenschicksal“ will sie wohl nicht. In ihrem Wahn zerstört sie wohl  eher ihre wirtschaftliche Existenz: die für den Export nach Europa bestimmten Puppen, die vermutlich in den reichlich vorhandenen Pappkartons in der Lagerhalle gespeichert werden.

Turandot ein modernes Antimärchen, das von der Liebe: von der erlösenden Liebe des Prinzen Calaf zur Prinzessin Turandot und vom Liebestod der armen Liù erzählen will und das in dieser scheinbar so schön-sentimentalen Geschichte Gewalt und Folter, Tod und Sadismus, Sinnlosigkeit und Nihilismus aufdeckt. Eine Deutung, die die Regie stringent und gekonnt, überzeugend und beeindruckend in Szene setzt.

Calixto Bieito, einst das für Sex and Crime und höhnisches Gelächter zuständige Enfant terrible des Regietheaters, das gern in den tieferen Schichten wühlte und dort für manchen Zuschauer Unangenehmes fand und enthüllte, ist im Laufe der Jahre weniger drastisch und auch weniger plakativ  geworden. Seine Deutungen schockieren nicht mehr. Sie irritieren allenfalls ein wenig unser Abonnement Publikum: „Ach, dieser Spanier macht das. Das muss ja ganz schrecklich sein“ – so die Dame neben mir zu ihre Freundin.  Schrecklich war es nicht. Doch eins, was mir das Markenzeichen des Theatermachers Bieito erschien, habe ich in dieser Nürnberger Turandot Inszenierung vermisst. Das höhnische oder auch befreiende Gelächter, mit dem sich die Regie von all der Gewalt und all dem Sadismus, die sie auf der Bühne präsentiert, zu distanzieren pflegte: ein Gelächter, wie es zum Beispiel das Finale der Stuttgarter Jenufa bestimmte.

Und Puccinis Musik? Das Nürnberger Ensemble, wie wir es u. a. bei den Hugenotten und zuletzt in der konzertanten Aufführung von La Damnation de Faust erlebten, zeigt sich auch bei der Turandot in Hochform. Brillante Sänger und Sängerinnen: ein Vergnügen, sie zu hören.

Wir sahen die Aufführung am 30. Dezember 2014. Die Premiere war am 4. Oktober 2014.

 

 

 

 

 

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