Brillant das Ensemble – dürftig die Regie oder wie das Staatstheater Nürnberg Così fan tutte szenisch verhunzt

Sagen wir es gleich mit einem Satz: in der Nürnberger Così fan tutte singt und agiert ein exzellentes Ensemble junger Sängerinnen und Sänger in einer tristen vulgären Inszenierung. Hier ist der junge Bariton Denis Milo mit seiner einschmeichelnden lyrischen und doch so kräftigen Stimme und seiner dominanten Bühnenerscheinung der Star des Abends. So mancher im Publikum wird sich   wohl bei dem Gedanken ertappt haben, dass an diesem Abend Don Giovanni in die Rolle des verliebten und düpierten Guglielmo geschlüpft ist. Hier ist Ferrando in der Person des Martin Platz ein hoher Mozarttenor mit nicht minder einschmeichelnder Stimme. Hier können die Damen,  allen voran die Primadonna in der Person der Julia Grüter durchaus mithalten, und nicht zuletzt ist auch die Rolle des scheinbar so misogynen „vecchio filosofo“ in der Person des Wonyong Kang herausragend besetzt.

Es hätte ein wunderschöner Mozart-Abend werden können, wenn die Regie nicht alles daran gesetzt hätte,  Mozarts und Dapontes „dramma giocoso“  zu banalisieren, es in Vulgarität, Trash und billige Aktualisierung herab  zu ziehen. Mit anderen Worten: die Regie wollte offensichtlich gegen Libretto und Musik inszenieren, eine Konzeption, die vor allem im ersten Akt immer wieder zu Peinlichkeiten führt. Zwei Beispiele: zur berühmten „Come scoglio …“ Arie muss die Sopranistin mit Schuhen um sich werfen, gleich mit einer ganzen Kollektion, die Dorabella heranschleppt und  die dazu Schwimmübungen machen muss. Geschenkt. Ja, wir wissen schon. Diese Arie mit ihrem Lob der Constantia ist auch eine Parodie auf die Bravourarien der opera seria, und Schuhe, daran erinnern sich die Postfreudianer, sind auch ein Sexsymbol. Zum Glück für Mozart ließ Fiordiligi alias Julia Grüter sich nicht von den Regiemätzchen ablenken und sang die Arie berückend schön.

Auch „Un‘ aura amorosa“,  die berühmte Tenorarie, versucht die Regie zu ihrer Spielwiese zu machen. Während Ferrando  alias Martin Platz, auf der Vorderbühne sitzend, die Arie vorträgt, darf Guglielmo, der ja mit dem Verzicht auf das Abendessen nicht einverstanden ist („Oggi non si mangia?“) im Hintergrund Marmeladenbrote schmieren und zur Ablenkung des Publikum den Body Builder machen.

Theatermacher Herzog – zuletzt Prinzipal in Dortmund und jetzt in gleicher Rolle in Nürnberg – hat wohl, als ihm die Aufgabe zufiel, Così fan tutte zu inszenieren, zur Vorbereitung Feldstudien im Dortmunder Norden und am Nürnberger Hauptbahnhof betrieben und noch dazu viele Stunden Unterschichten TV geguckt. Ein TV- und ein Umweltschaden, die ihn glauben machten: „Sein schon aso, die jungen Leut!“, und um diese ins Theater zu locken, müsse man ihnen Identifikationsangebote machen.

So ereignet sich denn für die Regie Così  nicht unter besseren  Leut‘, sondern unter Manta-Fahrern und heiratslustigen Tussis im Blümchenkleid. Wie schön für unsere Girls, dass die Manta-Fahrer zu gut situierten Arabern mutieren und sie, die Tussis, statt unter die Haube unters Kopftuch kommen. Dass sie dann alle, Männlein und Weiblein, in der letzten Szene frustriert und verärgert sind, nun ja, so steht’s halt in der Textvorlage.

Halten wir der Regie zu Gute, dass sie sich vielleicht an einer Parodie der Klamotte versuchen wollte, und halten  wir ihr ferner zu Gute, dass, eine opera buffa aus dem späten Settecento zu inszenieren, keine leichte Aufgabe ist und dass mit Maskeraden und Aktualisierungen schon so mancher renommierte Theatermacher gescheitert ist.

So mancher vergisst oder scheut die Schwierigkeit, dem Publikum zu vermitteln, dass Così fan tutte ein heiteres Spiel mit den gängigen Liebesdiskursen des 18. Jahrhunderts ist, ein Spiel, das zwischen scheinbarer Ernsthaftigkeit und Ironie und Parodie oszilliert. Così fa tutte ist, wie es Mozart und Daponte wohl intendiert haben, ein Spiel mit erotischen Mechanismen  und nicht zuletzt auch eine Parodie auf den Traum der ‚Aufklärer‘, sich und andere mit ‚Vernunft‘ aus ‚selbstverschuldeter Unmündigkeit‘  befreien zu können.

Natürlich steht es jedem Theatermacher frei, die zeitgenössischen Subtexte als Geschichtsplunder abzutun, sich mit Maskeraden zufrieden zu geben, aus einer opera buffa  eine Klamauk Posse zu machen,  sie in Trash und Klamotte zu transformieren oder, wenn der Anspruch höher sein soll, sich an einer Satire auf den Life Style junger Leute von heute zu versuchen. Einen solchen Versuch hat kürzlich Kirill Serebrennikov in seiner Zürcher Version von Così fan tutte unternommen. Auch er arbeitet von Anfang an mit Trash- und Klamottenmaterial, zitiert  in schneller Folge aus den Beziehungskisten junger Leute ein Klischee nach dem anderen und zerstört diese durch ständige Übertreibung und mit bitterböser Ironie – zum großen Gaudi des Publikums. Nicht genug damit. Das zitierte Klischee-Material wird von einer Art  Traumdiskurs überlagert: die Männer sind im Krieg umgekommen und kehren für die Damen unsichtbar als Schatten zurück, singen ihre Rollen und überlassen die Aktivitäten bei  den Damen Doubles, die zur Freude der Damen und zum Gaudi des Publikums wilde Sexprotzer mimen. Noch ein durch Übertreibung erledigtes, besser: zur Groteske verzerrtes Klischee.

Così fan tutte: Klamotte in Zürich wie in Nürnberg – mit dem Unterschied, dass in Zürich eine eher karnevaleske und in Nürnberg eine eher biedere Klamotte zu sehen ist. Unsere Mädels in Nürnberg und ihre jammernden Machos übertreiben es halt nicht. Da passt die Regie schon auf.

„Sein schon aso, die jungen Leut!“ – war’s das, was Theatermacher Herzog mit beruhigender Geste seinen etwas in die Jahre gekommenen Abonnenten sagen wollte? Vielleicht. Ob er mit seiner Mozart /Daponte Banalisierung die jungen Leut zum Musiktheater verführen kann, da hab‘ ich meine Zweifel. Sie könnten die Inszenierung als billige Anmache verstehen.

Doch seien wir nicht so streng  und so spöttisch. Haben wir  nach Händels Serse als Beziehungskiste unter Skateboard Boys und Girls mit der Così auch schon den zweiten szenischen Flop in dieser Spielzeit in  Nürnberg erlebt, so lassen wir uns trotzdem nicht davon abhalten, wieder hin zu fahren. Das Nürnberger Musiktheater  verfügt halt über ein herausragendes Ensemble und diesem zuzuhören, ist immer ein Genuss und ein Vergnügen.

Wir besuchten die Aufführung am 1. März 2019. Die Premiere war am 23. Februar 2019.