Brillant das Ensemble – dürftig die Regie oder wie das Staatstheater Nürnberg Così fan tutte szenisch verhunzt

Sagen wir es gleich mit einem Satz: in der Nürnberger Così fan tutte singt und agiert ein exzellentes Ensemble junger Sängerinnen und Sänger in einer tristen vulgären Inszenierung. Hier ist der junge Bariton Denis Milo mit seiner einschmeichelnden lyrischen und doch so kräftigen Stimme und seiner dominanten Bühnenerscheinung der Star des Abends. So mancher im Publikum wird sich   wohl bei dem Gedanken ertappt haben, dass an diesem Abend Don Giovanni in die Rolle des verliebten und düpierten Guglielmo geschlüpft ist. Hier ist Ferrando in der Person des Martin Platz ein hoher Mozarttenor mit nicht minder einschmeichelnder Stimme. Hier können die Damen,  allen voran die Primadonna in der Person der Julia Grüter durchaus mithalten, und nicht zuletzt ist auch die Rolle des scheinbar so misogynen „vecchio filosofo“ in der Person des Wonyong Kang herausragend besetzt.… → weiterlesen

Sex-Klamotte mit Mozart Soundtrack am Opernhaus Zürich. Kirill Serebrennikov inszeniert, bebildert und kostümiert Così fan tutte aus der Ferne – aus dem Hausarrest in Moskau

Theater- und Filmemacher Serebrennikov hält es nicht mit den Liebesdiskursen des Settecento und auch nicht mit den Mythen der Aufklärung von der Manipulierbarkeit des Menschen und deren ironischer Verzerrung ins Parodistische, wie es einst Daponte und Mozart vorschlugen. Er optiert für das Handfeste: für Boulevardtheater, Klamotte, Parodie und Satire des Lifestyle junger Leute von heute und gibt dem Affen so richtig Zucker. Mit anderen Worten: er bedient die Altherrenphantasien über Weiber und Sex und provoziert so manchen der braven Zürcher Abonnenten zu blökendem Lachen. Sie wussten ja schon immer über die die Weiber Bescheid. Die wollen vor allem heißen Sex und als Zugabe Money fürs Shopping. Und wenn sie das nicht kriegen, dann werden sie hysterisch. So mag wohl so mancher im Publikum gedacht haben.

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Così fan tutte. Jederzeit und überall. Ein Switching zwischen den Zeiten

Mozart an der Deutschen Oper in Berlin? Und dann noch ein so komplexes ‚dramma giocoso‘ wie Così fan tutte. Wenn das nur nicht ein Flop ist. Nach den desaströsen Erfahrungen, die wir an diesem Haus mit der Entführung aus dem Serail gemacht hatten ( einer Mélange aus Road Movie und Porno), und nach einem Blick auf die Fotos im Programmheft befürchtete ich schon das Schlimmste – und wurde angenehm überrascht. Mehr noch, und sagen wir es gleich: alle Befürchtungen und Vorurteile erwiesen sich als gegenstandslos.… → weiterlesen

Tanztheater mit „geläufiger Gurgel“. Anne Teresa De Keersmaeker inszeniert und choreographiert Così fan tutte im Palais Garnier

Così fan tutte eignet sich, wie allgemein bekannt, für die unterschiedlichsten Regiekonzeptionen. Eine Buffa, ein „dramma giocoso“, ein „offenes Kunstwerk“. Die einen, die Betroffenen, inszenieren Così gleichsam mit erhobenem Zeigefinger und erteilen ‚Lektionen für junge Liebende‘. Andere, die eher simplen Theatermacher, veranstalten einen Mummenschanz alla turca. Die noch Simpleren nehmen alles ‚realistisch‘ und wollen am liebsten auf eine Tragödie hinaus, lassen im Finale, ohne sich weiter um Musik und Libretto zu scheren, die beiden Paare frustriert auseinander laufen. Die ganz Tragischen treiben Fiordiligi, die Empfindsamere der beiden Damen, in den Selbstmord. Wieder andere setzen auf Metatheater und machen aus der Buffa Theater auf dem Theater, in dem die scheinbar so betrogenen Damen von Anfang an beim Experiment mit  der gespielten Liebe mitmachen und ebenso wie die Herren letztlich gegen sich selber spielen.

Die Möglichkeiten des ‚Regietheaters‘ sind anscheinend unbegrenzt. Oder vielleicht doch nicht? Nach der Così fan tutte in Paris, bei der die Regie die Gesangssolisten praktisch zu hilflos herum stehenden Statisten gemacht hat und der Tanzgruppe und deren Solisten – ganz im Wortverstande – freie Bahn auf einer gänzlich von Dekor und Requisiten freien Fläche gegeben hat, habe ich doch so meine Zweifel, ob wirklich alles geht und ob wir im Palais Garnier nicht  einfach Zeugen  einer gänzlich abwegigen Regiekonzeption geworden sind.… → weiterlesen

Programmierter Scheidungsprozess im ungeschriebenen dritten Akt? Così fan tutte am Theater Freiburg im Breisgau

Sagen wir es gleich. Es überrascht angenehm, dass ein mittelgroßes Haus wie das Freiburger Theater über ein so hoch qualifiziertes Ensemble von Mozartsängern verfügt. Hier singen, um nur zwei herausragende Beispiele zu nennen, Kim-Lillian  Strebel als Fiordiligi und Konstantin Lee als Ferrando so brillant Mozart, wie man es selten hört und alle anderen Mitwirkenden stehen diesen beiden nur wenig nach. Das Orchester spielt schwungvoll und leicht. Und die Inszenierung? Sie macht leider wenig Sinn und verschenkt noch dazu ihre Möglichkeiten.

Alfonso und Despina hbent während der Gerichtsferien einen Verhandlungssaal gemietet und laden zwei junge Paare  zum Karnevalsspiel ein. Sie sollen wohl eine Komödie aus dem 18. Jahrhundert, eben Così fan tutte, nachspielen. Und so rauschen die vier jungen Leute, alle wohl schon ein wenig angetrunken, gleich halb kostümiert herein und stürzen sich, die Männer begeistert, die Frauen eher skeptisch,  ins Vergnügen.

Ein schöner, ein Erfolg versprechender Ansatz für ein Metatheaterspiel. Doch leider nutzt die Regie die Möglichkeiten des Metatheaters kaum oder eher gar nicht. Auch der Verhandlungssaal hat keinerlei Funktion. Die Gerichtsverhandlung, die man für das Finale erwarten könnte, findet gar nicht statt. Die Paare laufen frustriert auseinander? Ober bleiben sie ganz im Sinne der Musik in der neuen Konstellation? Soll der Zuschauer vielleicht im ungeschriebenen dritten Akt ein Urteil in diesem Sinne abgeben? Oder soll er es mehr mit Ponnelle halten, der vor vielen Jahren einmal im Gespräch mit Imre Fabian das lieto fine sarkastisch kommentierte: „Sicher wird Fiordiligi an der Seite von Guglielmo frigid bleiben, weil sie voller Sehnsucht an Ferrando denkt. Guglielmo wird sie andauernd  betrügen. Ferrando wird an der Seite Dorabellas wahrscheinlich impotent, und Dorabella wird ihm nicht nicht treu bleiben“. (vgl. Imre Fabian, Im Gespräch mit J.P. Ponnelle. Ein Opernwelt-Buch, Zürich 1983, S. 96) . Von all diesen Möglichkeiten sieht man auf der Szene nichts.  Hier geht es ganz, abgesehen von ein paar kleinen Mätzchen, konventionell zu, eben so, wie wir das schon viele Male gesehen haben. Ja, warum auch nicht. Zumindest hat die Regie die Musik nicht gestört.

In Freiburg haben wir einen sehr schönen, musikalisch sehr niveauvollen Mozartabend erlebt. Fern aller Welt – in der heiteren Welt der Kunst. Von Panik und Gemetzel in der Wirklichkeit, in München, haben wir erst nach der Vorstellung erfahren.

Wir sahen die Aufführung am 22. Juli 2016. Die Premiere war am 28. Mai 2016.

 

 

Unter Schlampen und Sexisten im Kolonialreich des Duce. Così fan tutte als sexistisch-rassistische Militärklamotte und billig-banale Sexkomödie beim Festival d’Aix-en-Provence

Mozart mit seiner Musik, ob nun wie kürzlich in Berlin mit der Entführung und jetzt in Aix-en-Provence mit der Così fan tutte, stört beträchtlich die Regiekonzeption so mancher Theatermacher. So tun sie denn alles, um das Publikum von der Musik abzulenken, suchen aus Zuhörern Voyeure zu machen, erfinden die Libretti neu, bauen sich aus Sex- und Trash-Materialien eine neue Geschichte, ein Geschichte, die sich noch dazu gern im kruden Realismus suhlt.

Ja, warum eigentlich nicht. Warum muss die Così fan tutte Geschichte unbedingt im Neapel des Settecento in den besseren Kreisen spielen? Warum soll sie nicht in einem Militärstützpunkt des Duce in den dreißiger Jahren in Abessinien spielen. Warum sollen die „Turchi, Polacchi“, in die sich die Damen verknallen, nicht Tuaregs oder Abessinier sein. Warum sollen die Damen nicht drei Flittchen sein, die den Alltag der Militärs im Wüstenfort aufmischen. Warum soll in diesem Ambiente der „vecchio filosofo“ Don Alfonso  nicht zu einem versoffenen Kolonialbeamten, der sich sadistische Spielchen ausdenkt, mutieren. Ja, warum sollen wir aus den Nebenpersonen nicht Eingeborene machen, die zu allen Diensten zur Verfügung stehen  oder dazu gezwungen werden.

Ja, warum eigentlich nicht. Dass das Ganze dann nichts mehr mit  Da Ponte zu tun hat, mit seinem Maskenspiel, seinem Spiel mit literarischen Versatzstücken, die gleichsam mit einem Augenzwinkern hin zum Publikum ironisch-spöttisch fragmentarisch zitiert werden, mit seiner ironischen Replik  auf modische Philosopheme der Zeit wie auf die Vorstellung von der Manipulierbarkeit des Menschen als ‚homme machine‘  oder auf den Traum der Aufklärer, durch Erkenntnis und Desillusionierung aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ befreien zu können.… → weiterlesen