Unter Schlampen und Sexisten im Kolonialreich des Duce. Così fan tutte als sexistisch-rassistische Militärklamotte und billig-banale Sexkomödie beim Festival d’Aix-en-Provence

Mozart mit seiner Musik, ob nun wie kürzlich in Berlin mit der Entführung und jetzt in Aix-en-Provence mit der Così fan tutte, stört beträchtlich die Regiekonzeption so mancher Theatermacher. So tun sie denn alles, um das Publikum von der Musik abzulenken, suchen aus Zuhörern Voyeure zu machen, erfinden die Libretti neu, bauen sich aus Sex- und Trash-Materialien eine neue Geschichte, ein Geschichte, die sich noch dazu gern im kruden Realismus suhlt.

Ja, warum eigentlich nicht. Warum muss die Così fan tutte Geschichte unbedingt im Neapel des Settecento in den besseren Kreisen spielen? Warum soll sie nicht in einem Militärstützpunkt des Duce in den dreißiger Jahren in Abessinien spielen. Warum sollen die „Turchi, Polacchi“, in die sich die Damen verknallen, nicht Tuaregs oder Abessinier sein. Warum sollen die Damen nicht drei Flittchen sein, die den Alltag der Militärs im Wüstenfort aufmischen. Warum soll in diesem Ambiente der „vecchio filosofo“ Don Alfonso  nicht zu einem versoffenen Kolonialbeamten, der sich sadistische Spielchen ausdenkt, mutieren. Ja, warum sollen wir aus den Nebenpersonen nicht Eingeborene machen, die zu allen Diensten zur Verfügung stehen  oder dazu gezwungen werden.

Ja, warum eigentlich nicht. Dass das Ganze dann nichts mehr mit  Da Ponte zu tun hat, mit seinem Maskenspiel, seinem Spiel mit literarischen Versatzstücken, die gleichsam mit einem Augenzwinkern hin zum Publikum ironisch-spöttisch fragmentarisch zitiert werden, mit seiner ironischen Replik  auf modische Philosopheme der Zeit wie auf die Vorstellung von der Manipulierbarkeit des Menschen als ‚homme machine‘  oder auf den Traum der Aufklärer, durch Erkenntnis und Desillusionierung aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ befreien zu können.

Das, so mag der in Frankreich bekannte Theatermacher Christophe Honoré, der in Aix für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, gedacht haben,  das ist doch alles nur Ballast, Bildungsbürgergepäck, das wir einfach in die Ecke stellen. Machen wir einfach auf Sex und würzen wir das  Ganze noch mit einer Prise Rassismus. Und damit unser französisches Publikum  unser Stück nicht mit französischen Kolonialzeiten assoziiert, verlegen wir das Geschehen in die Zeit der Faschisten, lassen, damit auch nicht der geringste Zweifel aufkommt,  über der Szene die italienische Flagge wehen und kleben an die Mauer des Forts Porträts des Duce und des Papstes Pius XI.

Und Mozart? Der stört, wie schon gesagt, eigentlich nur. Immerhin darf er zusammen mit dem Freiburger Barockorchester einen sanften Sound liefern. Ja richtig. Die Protagonisten singen  auch. Und das tun sie trotz der Zwänge der Szene  und trotz der  ungünstigen Witterungsbedingungen im Innenhof der einstigen bischöflichen Residenz größtenteils recht brillant. So erleben die Mozart-Fans, um nur ein Beispiel zu nennen, bei der großen Arie der Fiordiligi (in der Person der Lenneke Ruiten)  im zweiten Akt zumindest einige Minuten sublimen Mozart Gesangs.

Ansonsten Klamotte. Ärgerliche Klamotte auf unterstem Niveau, wenn die Militärs – zur Einstimmung gleich zur Ouvertüre – die Eingeborenen, ob Männlein, ob Weiblein, als Verfügungsmasse für Sex- und Gewaltspiele benutzen, wenn eine altjüngferliche Despina  sich gleich mehrere junge Männer als Lustknaben hält, wenn im berühmten Duett zu Beginn des zweiten Akts („Prenderò quel brunettino“) die Damen mit ihrem afrikanischen Bademeister und Masseur sich schon mal im  Vorspiel üben, wenn im Duett „Il core vi dono“ eine erwartungsvolle  – warum sagen wir nicht stilmimetisch: eine aufgegeilte Dorabella –  sich gleich von drei Männern lustvoll angehen lässt. Nicht genug damit.  Guglielmo  darf in der Hoffnung auf weitere Gelüste zur Probe schon mal die schwarze Dienerin vergewaltigen und dazu von seinen Kavalierstugenden singen.

Così fan tutte in Aix-en-Provence ein schöner Abend für Voyeure. Ein verlorener Abend für die Freunde des Musiktheaters.

Wir sahen die Aufführung am 13. Juli 2016.