„Die Musik Verdis ist komponiertes Vögeln“. Eine desaströse La Forza del Destino an der Deutschen Oper Berlin

Das „komponierte Vögeln“, das Theatermacher Castorf bei Verdi zu hören meint und die szenische Umsetzung, die ihm dazu eingefallen ist, sollte man nicht allzu ernst nehmen. Alles, was an diesem langen, um nicht zu sagen langweiligen Abend zu hören und zu sehen war, ist nichts anderes als Parodie. Parodie auf die spanische Schauerromantik, Parodie der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts, Parodie einer abgestandenen  Operngestik, Parodie der zur Fülle neigenden Opernsänger beiderlei Geschlechts, Parodie des Illusionstheaters, Parodie des Agitationstheaters. Allesamt Parodien, deren Skala von komisch-unterhaltsam  bis hin zu dümmlich-peinlich reicht. Und dazu gibt’s ein Sammelsurium  von Klischees und idées reçues die sich auf der gleichen Skala bewegen.

All dieses Theater verfolgt nur einen einzigen Zweck: das Publikum zu Gunsten  der Szene von der Musik abzulenken und damit Verdi zum billigen Soundtrack Lieferanten zu reduzieren. Nicht Verdi – Castorf ist der Größte. Dies ist die eigentliche Message der Abends.7

Castorf mag das „komponierte Vögeln“ nicht, und er mag auch keine Sängerinnen und keine Sänger. Das Paar Don Álvaro und Donna Leonora führt er geradezu vor, macht es von deren Bühnenerscheinung her zu dümmliche Popanzen. Leonora weiß nicht so  recht, ob sie nicht doch lieber beim Papa bleiben soll, dem spanischen Altmacho, der zur Ouvertüre eine Melange aus Franco und Mussolini mimen darf  und der sich zum persönlichen Vergnügen einen brasilianischen Revuetänzer hält. Álvaro schleppt zur geplanten Entführung einen ganzen Korb Muscheln und Austern herbei. Bei dieser wilden Frau, dieser Melange aus Engel und Hure, die  bei ihrer Auftrittsarie gleich das ganze Haus zusammenbrüllt, da braucht der Mann halt zur Stärkung eine große Portion Eiweiß.  Leider kommt er nicht dazu sich zu stärken, denn Leonora macht auf Zicke und als er dann mit ihr das große Duett von der Rampe schmettern muss, da weiß der Arme gar nicht, wo er bei dieser starken Frau mit seinen Händen hin soll. Auf den Busen oder unter den Busen?… → weiterlesen

Zemlinsky – ein Zwerg ? Oder wie Alma und Donna Clara verliebte kleinwüchsige Künstler erledigen. Tobias Kratzer inszeniert an der Deutschen Oper Berlin Alexander Zemlinsky, Der Zwerg – und erfindet einen Prolog dazu

Der Pianist Zemlinsky – so erfahren wir im Prolog – hat es wirklich schwer. Legt er seinen Kopf in den Schoss der mütterlich-reifen Alma, seiner Klavierschülerin,  dann schubst ihn diese nicht nur robust vom Klavierhocker, sondern zerrt ihn noch dazu vor den Spiegel, auf dass   er seine mickrige Figur sehe. Und dann rauscht sie ab – wohl hin zum Hofoperndirektor Mahler, nach dem sie schon während der Klavierstunde Ausschau gehalten hat. Nicht genug damit. Die Regie hält noch eine weitere Demütigung für den armen Zemlinsky  bereit. Als Soundtrack zur Szene spielt das Orchester ein Stück von Schönberg. Kleinwüchsig ist der Alexander. Kleinwüchsig ist der Komponist Zemlinsly. Gleich doppelt benachteiligt (neudeutsch: diskriminiert). Dem Mann muss geholfen werden.

Oscar Wildes Antimärchen von der Prinzessin, die einen stimmgewaltigen Zwerg als Spielzeug zum Geburtstag geschenkt bekommt, die diesen mit ihrer Koketterie und ihrem Sadismus vernichtet, bietet vielleicht Identifikationsmöglichkeiten, spiegelt vielleicht das Geschick des Komponisten. Wollte dieser mit der Musik zum Antimärchen seine ’Komplexe‘ ‚sublimieren‘?

Es mag sein, dass eine biographische Deutung, eine Referenz auf das Leben des Komponisten, die Grundkonzeption der Inszenierung bestimmte. Doch im Laufe des Spiels verliert sich diese Referenz und wird erst im Schlussbild wieder aufgenommen: die Büste Zemlinskys findet ihren Platz unter den Büsten der großen Komponisten.… → weiterlesen

Variationen der Christus-Mythe mit kräftigen Freud Zutaten. Eingezuckert in eine satte Wagner-Strauss-Puccini Melange. Korngold, Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin

In Berlin ist eine absolute Rarität zu hören. Eine Korngold Oper, die im Jahre 1927 uraufgeführt wurde, nicht unbedingt gefiel und dann aus den bekannten zeitgeschichtlichen Gründen in der Versenkung verschwand. Was da aus dem Graben tönt, das ist keine Filmmusik, wie die Zuhörer, die Korngold nur von der Toten Stadt her kennen, vielleicht erwartet hatten. Das ist nicht schwachbrüstig, das ist schwülstig, das ist in Musik und Szene ein Grand Spectacle, in der eine in jeder Hinsicht groß geforderte Sängerin und Darstellerin (Sara Jakubiak als Heliane) triumphiert.

Die Musik, mit ihren Verweisen auf Wagner und Strauss und wohl auch auf Puccini hat es in sich, produziert eine starke Sogwirkung, einen „Klangrausch“ (Marc Albrecht), hat geradezu etwas Narkotisierendes, wirft indes nicht, wie Nietzsche das von Wagners Musik missbilligend behauptet, die stärksten Stiere um. Sie wirft die stärksten Jungfrauen um und lässt potenzgestörte Männer aggressiv ausflippen. Und das sieht man gleich im ersten Akt auf der Szene.

Diese Oper ist wie von der Musik so auch vom Libretto her ein verrücktes, besser: ein berückendes Stück. Ein Stück, das von seiner Grundstruktur her an Pasolinis Teorema, an Händels Oratorium Saul oder auch an Andrea de Carlos Roman Durante erinnert: ein Fremder kommt in eine Familie, in ein Land, und mit seinem Erscheinen verändert sich alles, zerfällt das Gewohnte.… → weiterlesen

Bei der Wallfahrt der Feinsinnigen. Britten, Tod in Venedig an der Deutschen Oper Berlin

Dass Brittens Version der Thomas Mann Novelle die Kultoper der Feinsinnigen ist, dass Death in Venice sich als hohe Messe der Homoerotik und der Pädophilie –  im antiken Sinne des Wortes –  hören, sehen und genießen lässt, das ist ein Gemeinplatz. Und dass Death in Venice ein bestimmtes Publikum anzieht, das ist nicht minder ein Gemeinplatz.

Ich muss gestehen, dass ich mir jetzt beim Berliner Tod in Venedig inmitten der  so überaus stark vertretenen Gemeinde  der homophilen Feinsinnigen etwas fremd vorkam, zumal  sich nicht jedermann  so kultiviert und  – im positiven Sinne – so dekadent gab, wie ich das eigentlich erwartete. Gleich neben mir in der ersten Parketreihe outete sich ein junger Mann als Voyeur und wurde nicht müde, seinen Feldstecher auf die Akteure zu richten. Es waren ja in der Tat auch viele schöne junge Männer – der Darsteller des Tadzio war nicht der einzige – auf der Bühne zu bewundern.  Und dass dort ein müder bürgerlicher Literat im Zweireiher, der dem ‚Arbeitsethos‘ verfallen ist, angesichts all dieser männlichen Schönheiten und ihres Körperkults  seine ‚verdrängten‘ homoerotischen‘ Neigungen entdeckt, diese auslebt und sich vielleicht dem einen oder anderen im Publikum als Identifikationsfigur anbietet,  dies versteht auch, wer die Thomas Mann Novelle und den gleichnamigen Visconti Film nicht kennt.

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Così fan tutte. Jederzeit und überall. Ein Switching zwischen den Zeiten

Mozart an der Deutschen Oper in Berlin? Und dann noch ein so komplexes ‚dramma giocoso‘ wie Così fan tutte. Wenn das nur nicht ein Flop ist. Nach den desaströsen Erfahrungen, die wir an diesem Haus mit der Entführung aus dem Serail gemacht hatten ( einer Mélange aus Road Movie und Porno), und nach einem Blick auf die Fotos im Programmheft befürchtete ich schon das Schlimmste – und wurde angenehm überrascht. Mehr noch, und sagen wir es gleich: alle Befürchtungen und Vorurteile erwiesen sich als gegenstandslos.… → weiterlesen

Gendertrouble, Drogen und Mösen Ballett. Die Entführung aus dem Serail an der Deutschen Oper Berlin

Das Libretto ist saublöd. Schaffen wir es ab. Basteln wir uns  einfach ein neues und bedienen uns dabei aus irgendeinem amerikanischen Road Movie. Das ganze reichern wir mit dem üblichen Trash an und würzen es mit Altherren- Sexphantasien. Vielleicht gingen die Vorüberlegungen der Regie in diese Richtung, als sie sich entschloss, aus dem „deutschen Singspiel in drei Aufzügen“ einen Porno lirico in zwei Akten zu machen.

Die Szene, auf die ein ziemlich ausgeflippter Typ (bei Mozart ein gewisser Belmonte) in Begleitung zweier Girls mit einem Tieflader fährt, ist eine Mischung aus Sportclub, Camp zur Herstellung synthetischer Drogen und Pornoschuppen. Boss des Etablissements ist eine sportliche junge Frau mit Unterleibsproblemen („storm in my pussy“) und einem Hang zu Philosophaster. Die drei jungen Leute, die der junge Mann angeblich sucht und die von einer Art Fliegender Untertasse entführt worden sind, fühlen sich im Camp recht wohl und werden, so spekuliert die generöse Chefin im Finale, sowieso bald zurückkommen.

Die Musik können wir blöderweise nicht abschaffen. Aber zumindest können wir es den Sängerinnen und Sängern so schwer wie möglich machen, auf dass ihnen Lust und Luft abhandenkommen. Lassen wir also die Primadonna schon mal zu ihrer ersten  Arie Laufübungen machen. Für den Rest des Abends stecken wir sie in schwarze  Unterwäsche, und  bei ihrer nächsten großen Arie lassen wir als szenisches Accompagnato ein gutes Dutzend nackter und halbnackter Girls auf der Bühne aufmarschieren und sich in Pose setzen. Wir wollen Voyeure, keine Hörer im Publikum.… → weiterlesen