Das „komponierte Vögeln“, das Theatermacher Castorf bei Verdi zu hören meint und die szenische Umsetzung, die ihm dazu eingefallen ist, sollte man nicht allzu ernst nehmen. Alles, was an diesem langen, um nicht zu sagen langweiligen Abend zu hören und zu sehen war, ist nichts anderes als Parodie. Parodie auf die spanische Schauerromantik, Parodie der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts, Parodie einer abgestandenen Operngestik, Parodie der zur Fülle neigenden Opernsänger beiderlei Geschlechts, Parodie des Illusionstheaters, Parodie des Agitationstheaters. Allesamt Parodien, deren Skala von komisch-unterhaltsam bis hin zu dümmlich-peinlich reicht. Und dazu gibt’s ein Sammelsurium von Klischees und idées reçues die sich auf der gleichen Skala bewegen.
All dieses Theater verfolgt nur einen einzigen Zweck: das Publikum zu Gunsten der Szene von der Musik abzulenken und damit Verdi zum billigen Soundtrack Lieferanten zu reduzieren. Nicht Verdi – Castorf ist der Größte. Dies ist die eigentliche Message der Abends.7
Castorf mag das „komponierte Vögeln“ nicht, und er mag auch keine Sängerinnen und keine Sänger. Das Paar Don Álvaro und Donna Leonora führt er geradezu vor, macht es von deren Bühnenerscheinung her zu dümmliche Popanzen. Leonora weiß nicht so recht, ob sie nicht doch lieber beim Papa bleiben soll, dem spanischen Altmacho, der zur Ouvertüre eine Melange aus Franco und Mussolini mimen darf und der sich zum persönlichen Vergnügen einen brasilianischen Revuetänzer hält. Álvaro schleppt zur geplanten Entführung einen ganzen Korb Muscheln und Austern herbei. Bei dieser wilden Frau, dieser Melange aus Engel und Hure, die bei ihrer Auftrittsarie gleich das ganze Haus zusammenbrüllt, da braucht der Mann halt zur Stärkung eine große Portion Eiweiß. Leider kommt er nicht dazu sich zu stärken, denn Leonora macht auf Zicke und als er dann mit ihr das große Duett von der Rampe schmettern muss, da weiß der Arme gar nicht, wo er bei dieser starken Frau mit seinen Händen hin soll. Auf den Busen oder unter den Busen?
Nicht minder vorgeführt wird das Freund-Feind Paar Carlos und Álvaro. Wie sie da ihre muskulösen Oberkörper zur Schau stellen und ewige Männerfreundschaft schwören , ein Schwur, den sie wohl auch halten würden, wenn dem Carlos nicht dieser verdammte spanische Ehrenkodex dazwischen käme. Zwei dümmliche Machos, die schon von ihrer Bühnenerscheinung her die Parodie ihre selbst sind.
Es war ein schrecklicher Abend. Ein „Ertrinken, Versinken“ in Klischees. Natürlich ist der fromme Gottesmann, der Pater Guardian, schwul und hält sich den Revuetänzer als Lustknaben. Natürlich will die so vitale Leonore kein frommes Einsiedlerleben führen. Der Lustknabe spielt ihr schon mal den Dionysos vor bekränzt sie mit Blumen. Und so steht sie dann zu ihrer Einkleidung da im härenen Gewande, mit dem Blumenkranz auf dem Kopf, mit dem Kreuz auf der Brust. Eine Mischung aus Uta von Nauenburg, Pfälzer Weinkönigin und Nonne.
Im dritten Akt sind wir wohl bei den amerikanischen Landungstruppen, Abteilung Feldlazarett, im zweiten Weltkrieg in Italien. Eine Gelegenheit für die Regie, zu Álvaros berühmter Arie blutige Lazarettszenen einzublenden. Videos und Filme jeglicher Art sind sowieso von der ersten bis zur letzten Szene ein gern genutztes Spielzeug der Regie.
Das Publikum erträgt geduldig alle Spielchen und Mätzchen der Regie. Doch im vierten Akt, als der Revuetänzer im schreienden Tonfall eine Passage von Heiner Müller vorträgt und ein elegant gekleidetes Paar einen längeren Text von Malaparte rezitiert, da wird es einem Teil des Publikums doch zu viel, und es verlangt lauthals nach Verdi. Es kriegt auch seinen Verdi. Aber erst muss es den Malaparte zu Ende hören.
Sinnlose epische Einlagen. Gezielte Provokation des Publikums. Parodie auf Agitprop.
In dieser verunglückten Aufführung von La Forza del Destino können einem Musiker und Sänger nur leid tun. Die Solisten auf der Bühne führt die Regie gnadenlos vor. Den Musikern im Graben lässt sie kaum eine Chance sich zu profilieren. Noch nicht einmal bei der Ouvertüre dürfen sie auf ungeteilte Aufmerksamkeit hoffen und müssen mit der Bilderflut und der Pantomime auf der Bühne konkurrieren. La Forza del Destino in Berlin ist kein Fest der Musik. Im Gegenteil. Sie ist das Fest einer egomanischen Regie.
Wer die große Bühnenshow mag und an der Parodie seinen Spaß hat, der sollte hingehen. Theatermacher Castorf nimmt nichts ernst, glaubt an gar nichts (mehr?), nicht an die Musik, nicht an Ideologien und schon gar nicht an das Theater „als moralische Anstalt“. „Tutto il mondo è burla“. Selbst Grausamkeit und Gewalt, wenn sie so gezielt übertrieben dargestellt werden, kippen in die Komik über. Und wenn die so verachteten Dummen , gemeint ist das Volk im Saale, das nicht erkennen oder nicht erkennen wollen, tanto meglio.Dann hat unser Theatermacher erst recht seinen Spaß.
Nur der Komponist bleibt bei diesem Spaßtheater auf der Strecke. Da können sich Solisten und Choristen und Musiker noch so viel Mühe geben. Schade um „die schöne Musik! Da muß ma weinen“.
Wir besuchten die Aufführung am 18. September 2019, die „3. Vorstellung seit der Premiere am 8. September 2019“.