Und die Orgie mit den Balletteusen geht weiter, und fromme Mädchen kommen in den Himmel – vielleicht

Zwiespältig ist der Eindruck, den der Amsterdamer Tannhäuser hinterlässt..Das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Maestro Albrecht musiziert grandios, reicht dem Publikum die berüchtigte Wagner Droge und wird zusammen mit seinem Dirigenten zu Recht gefeiert. Musiker und Maestro sind die Stars des Abends. Allein was aus dem Graben klang, fand  nicht immer den entsprechenden Widerhall auf der Bühne. Anders ausgedrückt: nicht alle Rollen waren, wie man das in Amsterdam gewohnt ist und auch erwartet, optimal besetzt. Nach einem matten ersten Aufzug, in dem sich Tannhäuser offensichtlich sehr schont und Venus sich nicht minder zurückhält, fragt man sich beklommen, wie das wohl weiter gehen soll. Die Sorge war unbegründet. Es ging ganz passabel weiter. Ein  – so will es die Regie – noch von Venus berauschter Tannhäuser singt  beim Sängerkrieg die Konkurrenten leicht nieder, mimt und singt dann gekonnt den Jammerlappen. Und auch die gefürchtete Rom Erzählung gelingt ihm ohne Schwierigkeiten. Doch warum die Regie aus dem stimmlich so geforderten Sänger unbedingt einen nervösen aufgekratzten Typen machen musste, der von einer mütterlichen Venus halbherzig flieht und beim scheuen Kuss einer altjüngferlichen Elisabeth gleich ausrastet, das habe ich nicht verstanden.

Pardon, wir machen keine Sängerkritik. Das steht uns nicht an. Sagen wir nur ganz vorsichtig. Der Tannhäuser ist für Daniel Kirch wohl nicht unbedingt die ideale Rolle. Und bei den beiden Damen hätte man sich in Stimme und Bühnenerscheinung ein bisschen mehr erotische Ausstrahlung gewünscht. Zumal es ansonsten auf der Bühne an  Erotik  und verkrampftem und unterdrücktem Sex nicht mangelte.… → weiterlesen

Variationen der Christus-Mythe mit kräftigen Freud Zutaten. Eingezuckert in eine satte Wagner-Strauss-Puccini Melange. Korngold, Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin

In Berlin ist eine absolute Rarität zu hören. Eine Korngold Oper, die im Jahre 1927 uraufgeführt wurde, nicht unbedingt gefiel und dann aus den bekannten zeitgeschichtlichen Gründen in der Versenkung verschwand. Was da aus dem Graben tönt, das ist keine Filmmusik, wie die Zuhörer, die Korngold nur von der Toten Stadt her kennen, vielleicht erwartet hatten. Das ist nicht schwachbrüstig, das ist schwülstig, das ist in Musik und Szene ein Grand Spectacle, in der eine in jeder Hinsicht groß geforderte Sängerin und Darstellerin (Sara Jakubiak als Heliane) triumphiert.

Die Musik, mit ihren Verweisen auf Wagner und Strauss und wohl auch auf Puccini hat es in sich, produziert eine starke Sogwirkung, einen „Klangrausch“ (Marc Albrecht), hat geradezu etwas Narkotisierendes, wirft indes nicht, wie Nietzsche das von Wagners Musik missbilligend behauptet, die stärksten Stiere um. Sie wirft die stärksten Jungfrauen um und lässt potenzgestörte Männer aggressiv ausflippen. Und das sieht man gleich im ersten Akt auf der Szene.

Diese Oper ist wie von der Musik so auch vom Libretto her ein verrücktes, besser: ein berückendes Stück. Ein Stück, das von seiner Grundstruktur her an Pasolinis Teorema, an Händels Oratorium Saul oder auch an Andrea de Carlos Roman Durante erinnert: ein Fremder kommt in eine Familie, in ein Land, und mit seinem Erscheinen verändert sich alles, zerfällt das Gewohnte.… → weiterlesen

„Brangäne, du – Sag, wo sind wir?“ Tristan und Isolde an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, wir sind nicht an „Kornwalls grünem Strand“. Wo sind wir? Das fragt sich nicht nur Isolde. Das fragt sich auch der Zuschauer im Amsterdamer Opernhaus. Im ersten Akt sind wir wohl irgendwo in archaischer Zeit. Vielleicht in Japan? Vielleicht in einer Bob Wilson Inszenierung: statuarische Bewegungen. Licht- und Schattenspiele. Gestalten in langen grauen Mänteln. Oder sind wir vielleicht – ganz wie es das Libretto will – in den Luxuskabinen eines Schiffs? Sind die mit Jugendstil Ornamenten verzierten Vorhänge vielleicht stilisierte Segel?

Im zweiten Akt sind wir auf einem Friedhof. Die todessüchtigen Liebenden tragen Schwarz, nutzen flach liegende Grabsteine als Sitz- und Ruhegelegenheiten. Erzählte Zeit ist vielleicht ein unbestimmtes Mittelalter. Der König – von der Kutte her, die er trägt, zu urteilen – ist wohl der Abt eines Klosters. Seine Diener sind mit Spießen bewaffnet. Der Bösewicht Melot, ein rüstiger Greis mit Rollator, sticht mit seinem Taschenmesser zu.

Aber vielleicht ist der Friedhof mit der Fülle seiner phallisch aufgereckten Pflanzen zugleich ein Treibhaus und verwiese damit auf ein in der Dekadenzliteratur häufig genutztes erotisch konnotiertes Bildsymbol. Und dann stünde der phallische Friedhof für die Symbiose von Eros und Thanatos, wäre die szenische Realisierung des dominanten Leitmotivs in Tristan und Isolde, dem Eins-Sein von Liebe und Tod.  War das die Intention von Regisseur und Bühnenbildner? Vielleicht.

Im dritten Akt lösen sich die  Rätsel von Zeit und Raum. Jetzt sind wir beim Beckett Müll gelandet. Estragon und Wladimir alias Tristan und Kurwenal warten auf Godot alias Isolde. Sie kommt immerhin anders als Godot. Zu spät, wie es das Libretto verlangt. Im Finale macht die Regie noch einmal eine Kehrtwendung, kehrt zur Bob Wilson Manier des Anfangs zurück. Isolde singt ihr „Mild und leise […]“, ihr „ertrinken – versinken“ als schwarzer Schattenriss im Bob Wilson Licht.

In Amsterdam – dies ist anscheinend die Grundkonzeption der Inszenierung – hat Pierre Audi, der langjährige Intendant des Amsterdamer Musiktheaters, wohl seinen eigenen Abschied inszeniert, hat noch einmal auf frühere Arbeiten und die berühmter Gastregisseure verwiesen.

Doch lassen wir die Inszenierung. Zum Tristan geht man nicht wegen der Inszenierung, auch nicht wegen der „Handlung“, sondern – eine banale Bemerkung – wegen der Musik. Mag Nietzsche auch versucht haben, uns glauben zu machen, dass Wagner „die Musik krank gemacht habe“, dass er mit seiner Musik uns „hypnotisieren“ wolle. Es stört uns nicht. Im Gegenteil. Wir lieben die Wagnerdroge. Und auch so wie sie Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest bereitet: nicht  rauschhaft, sondern – so vor allem im dritten Akt – düster, traurig, verzweifelt. Der „Liebestod“ nur ein Wahn – ganz im Einklang mit der Inszenierung.

Auf der Bühne Stars des internationalen Musiktheaters. Da gibt es nichts zu bekritteln: Stephen Gould als Tristan, Ricarda Merbeth als Isolde, Günther Groissböck als König Marke, Michelle Breedt als Brangäne.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Februar 2018. Die Premiere war am 18. Januar 2018.