In Bayreuth 2019

Tannhäuser unter Gauklern und Schnorrern – und Wolfram entjungfert Elisabeth. Die große Multimedia-Show in Bayreuth

Tobias Kratzer schafft frei nach Wagner „Neues“ , und Valery Gergiev bleibt brav beim Alten. So manches Mal habe ich den Tannhäuser schon gehört und gesehen ( zuletzt in der Münchner Produktion), und so manches Mal habe ich erlebt, wie die Inszenierung sich auf Kosten der Musik in den Vordergrund drängte. Doch wie jetzt „am geweihten Ort“ die Szene die Musik geradezu erschlägt, wie der berühmte Dirigent wenig oder gar nichts gegen die Übermacht der Story und der Bilder tut, wie sie die Regie präsentiert, das ist schon sehr ungewöhnlich und mag so manchen verknöcherten Wagnerianer irritiert haben. Doch für die überwältigende Mehrheit der Besucher war dieser neue Bayreuther Tannhäuser ein großer Spaß und umstürzlerisch nicht im geringsten.

Schon mit der Ouvertüre geht‘s so richtig los. Statt eines auf verrucht machenden Corps de Ballet gibt‘s eine Road Movie zu sehen. Der Sänger Tannhäuser zieht im Clownskostüm mit einer hübschen kleinen Blonden (bei Wagner eine Dame namens Venus), einem farbigen Transvestiten, Le Gateau Chocolat, und dem kleinwüchsigen Oskar, dem Trommler, in einem französischen Oldtimer Lieferwagen durch die Lande. Man liebt und kifft und schnorrt. Doch als Frau Venus im Parkhaus einfach den Wächter umfährt, da will Tannhäuser zum Unwillen seiner Freundin doch lieber aussteigen. Da hilft auch nicht mehr der Stop im Thüringer Märchenwald. Tannhäuser steigt aus – nicht nur im Wortverstande. Und findet sich („ein Wunder war‘s“) vor dem Festspielhaus wieder – bei seinen ehemaligen Kollegen, die gerade aus einer Kostümprobe zu den Meistersingern kommen, und schon ist der Aussteiger zwangsengagiert und fängt sich noch dazu eine Ohrfeige von Elisabeth ein. Dass diese Geschichte nicht gut ausgeht, das wissen wir noch aus anderen Inszenierungen. Hier wird es überdeutlich. Die Venustruppe fährt mit ihrem Oldtimer vor – und wird im zweiten Aufzug das Haus entern, sich unter die Gäste des Landgrafen mischen und das Fest aufmischen. Da kann die Festspielleitung nur noch die Polizei rufen und Tannhäuser („ein furchtbares Verbrechen ward begangen“), der sich zu seinen Gauklern gesellt hat, in Handschellen abführen lassen.

Theatermacher Kratzer begnügt sich nicht damit, dem Stück allen pseudoreligiösen Überbau auszutreiben und aus der „großen romantischen Oper“ eine moderne Filmkomödie ohne happy end zu machen. Er nutzt ausgiebig die Möglichkeiten der Film- und der Videotechnik, um Parallelszenen zu stellen, die einen Desillusionierungseffekt haben: während des Vorspiels zum zweiten Aufzug sehen wir Elisabeth, wie sie in der Garderobe noch einmal die Schminke überprüft, bevor der Inspizient sie auf die Szene drängt. Zu Wolframs Preislied auf die Liebe sehen wir Tannhäuser, wie er in der Kulisse steht und verächtlich das Gesicht verzieht. Zum Einzug der Gäste drängeln sich die Choristen in den engen Fluren des Bühnentrakts, und die Gaukler klettern über die Leiter ins Haus und verstecken sich erstmal in den Maschinenräumen. Bilder, Gags,Komödie, Parodie wohin man auch blickt. Dass die Szene häufig überhaupt nichts mehr mit dem Tannhäuser, wie wir ihn kennen, zu tut hat, das nimmt man bei dem grandiosen Spektakel, das hier in Bayreuth geboten wird, gerne hin.

Im dritten Aufzug, der im Vorspiel so getragen beginnt, dass man glaubt, jetzt stünde auch einmal die Musik im Zentrum des Interesses, stellt die Regie Wagner endgültig auf den Kopf. Elisabeth und Wolfram treffen auf dem Schrottplatz, wo auch der Oldtimer der Gaukler seinen letzte Ruhestätte gefunden hat, aufeinander. Da nun Elisabeth ihren Tannhäuser nicht „wiederfinden“ kann, zieht sie den Wolfram, der sich Perücke und Mantel des Clowns Tannhäuser übergezogen hat, zu sich in den Oldtimer – und über sich. Anschließend singt „der wohlgeübte“ Sänger“uns traurig seinen Hit an den Abendstern. Ja,  wir verstehen schon: Omne animal triste post coitum. Die bei Wagner so „heilige Elisabeth“ trifft bei Kratzer die Strafe des Himmels: die Entjungferung ist ihr nicht bekommen, und sie verblutet im Oldtimer. Der doch noch zurückgekehrte Tannhäuser träumt vergeblich von einem Gauklerleben mit Lisa im Oldtimer. „Kinder, schafft Neues“ – „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ – so meinte einst Wagner. „Von der Tragödie zur Komödie ist es nur ein Schritt“ – meinte einst ein anderer Revolutionär. Man muss den Schritt nur tun. Tobias Kratzer tut den Schritt in seinem Tannhäuser.

Dass im neuen Bayreuther Tannhäuser die Titelrolle mit Stephen Gould und die Rolle der Elisabeth mit Lise Davidsen grandios besetzt sind, das geht bei dem großen Spektakel fast unter.

Eine Sternstunde des Musiktheaters. Wir besuchten die Aufführung am 25. August 2019

Vergessen wir nicht, dass wir  in diesem Jahr auch noch einmal Parsifal, Die Meistersinger und – jetzt zum dritten Mal – Tristan und Isolde gehört und gesehen haben. Näheres im Blog unter Bayreuth 2017 und Bayreuth 2018.

 

„Brangäne, du – Sag, wo sind wir?“ Tristan und Isolde an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, wir sind nicht an „Kornwalls grünem Strand“. Wo sind wir? Das fragt sich nicht nur Isolde. Das fragt sich auch der Zuschauer im Amsterdamer Opernhaus. Im ersten Akt sind wir wohl irgendwo in archaischer Zeit. Vielleicht in Japan? Vielleicht in einer Bob Wilson Inszenierung: statuarische Bewegungen. Licht- und Schattenspiele. Gestalten in langen grauen Mänteln. Oder sind wir vielleicht – ganz wie es das Libretto will – in den Luxuskabinen eines Schiffs? Sind die mit Jugendstil Ornamenten verzierten Vorhänge vielleicht stilisierte Segel?

Im zweiten Akt sind wir auf einem Friedhof. Die todessüchtigen Liebenden tragen Schwarz, nutzen flach liegende Grabsteine als Sitz- und Ruhegelegenheiten. Erzählte Zeit ist vielleicht ein unbestimmtes Mittelalter. Der König – von der Kutte her, die er trägt, zu urteilen – ist wohl der Abt eines Klosters. Seine Diener sind mit Spießen bewaffnet. Der Bösewicht Melot, ein rüstiger Greis mit Rollator, sticht mit seinem Taschenmesser zu.

Aber vielleicht ist der Friedhof mit der Fülle seiner phallisch aufgereckten Pflanzen zugleich ein Treibhaus und verwiese damit auf ein in der Dekadenzliteratur häufig genutztes erotisch konnotiertes Bildsymbol. Und dann stünde der phallische Friedhof für die Symbiose von Eros und Thanatos, wäre die szenische Realisierung des dominanten Leitmotivs in Tristan und Isolde, dem Eins-Sein von Liebe und Tod.  War das die Intention von Regisseur und Bühnenbildner? Vielleicht.

Im dritten Akt lösen sich die  Rätsel von Zeit und Raum. Jetzt sind wir beim Beckett Müll gelandet. Estragon und Wladimir alias Tristan und Kurwenal warten auf Godot alias Isolde. Sie kommt immerhin anders als Godot. Zu spät, wie es das Libretto verlangt. Im Finale macht die Regie noch einmal eine Kehrtwendung, kehrt zur Bob Wilson Manier des Anfangs zurück. Isolde singt ihr „Mild und leise […]“, ihr „ertrinken – versinken“ als schwarzer Schattenriss im Bob Wilson Licht.

In Amsterdam – dies ist anscheinend die Grundkonzeption der Inszenierung – hat Pierre Audi, der langjährige Intendant des Amsterdamer Musiktheaters, wohl seinen eigenen Abschied inszeniert, hat noch einmal auf frühere Arbeiten und die berühmter Gastregisseure verwiesen.

Doch lassen wir die Inszenierung. Zum Tristan geht man nicht wegen der Inszenierung, auch nicht wegen der „Handlung“, sondern – eine banale Bemerkung – wegen der Musik. Mag Nietzsche auch versucht haben, uns glauben zu machen, dass Wagner „die Musik krank gemacht habe“, dass er mit seiner Musik uns „hypnotisieren“ wolle. Es stört uns nicht. Im Gegenteil. Wir lieben die Wagnerdroge. Und auch so wie sie Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest bereitet: nicht  rauschhaft, sondern – so vor allem im dritten Akt – düster, traurig, verzweifelt. Der „Liebestod“ nur ein Wahn – ganz im Einklang mit der Inszenierung.

Auf der Bühne Stars des internationalen Musiktheaters. Da gibt es nichts zu bekritteln: Stephen Gould als Tristan, Ricarda Merbeth als Isolde, Günther Groissböck als König Marke, Michelle Breedt als Brangäne.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Februar 2018. Die Premiere war am 18. Januar 2018.

 

 

In den Piranesi Carceri, in Kafkas Strafkolonie, im Fieberwahn: Eine berückende Tristan und Isolde Wiederaufnahme in Bayreuth

Gefangen sind sie alle, rettungslos, auswegslos, vom ersten Takt an, vom ersten Bild an. Da hocken sie jeder für sich in verwinkeltem Gestänge, klettern durch die Gitter, kommen, wenn es die Szene unbedingt verlangt, zusammen, trennen sich wieder. Eines Liebestranks, eines vermeintlichen Todestranks bedarf es nicht. Sie schütten den Trank einfach weg. Eine leidenschaftliche Isolde greift sich einen zögerlichen Tristan, mag dieser sich auch noch so sehr an „Tristans Ehre“ klammern. Das hat alles keine Bedeutung.

Hier in diesem ersten Akt bestimmt Isolde (in der Person der Petra Lang) das Geschehen und die Szene. Diese Isolde ist so dominierend in Stimme und Spiel, wie ich wohl noch keine auf der Bühne gesehen und gehört habe. Ein routinierter Sängerdarsteller wie Stephen Gould hat es da  richtig schwer. Nun ja, ihm wird ja der dritte Akt gehören – bis auf den Liebestod, zu dem Petra Lang noch einmal zu großer Form aufläuft, zu einem Liebestod, der szenisch gar nicht stattfindet. Ein ’Ertrinken, Versinken‘ ereignet sich nur in der Musik. Auf der Szene greift sich ein brutaler Macho namens Marke Isolde, die eben noch in der Andeutung einer Pietà den toten Tristan in ihren Armen gehalten hat, und führt sie ab ins Dunkle.

Dieser König Marke (in der Person des René Pape) hat überhaupt nichts von dem sanften, verständnisvollen Hahnrei, wie er so gerne dargestellt wird. Er und seine Leute, die alle in einem gelben Outfit auftreten, sind Wachsoldaten – Marke ist ihr Kommandant – in einem Straflager, die von der Gallerie herab ihre Scheinwerfer auf die Gefangenen richten. Henker und Voyeure zugleich sind sie. Die ‚Nacht der Liebe‘, die mit einem missglückten Selbstmordversuch des ‚hohen Paares‘ endet, ereignet sich – ganz wie der ‚Liebestod‘ nur in der Musik. Und trotzdem fragt sich eine ganz von der Musik gefangen genommene Zuschauerin, ob die Regie, so stimmig deren Grundkonzeption mit dem Thema des Gefangen-Seins auch ist, in diesem zweiten Aufzug sich nicht selber im kruden Realismus zu verfangen droht. Da stehen einfach zu viele Käfige herum. Da wird Tristan gefesselt und auf Befehl Markes einfach von hinten abgestochen.

Von all den Verweisen auf die  Carceri, die Strafkolonie und auf eine wie auch immer geartete ‚Realität’ ist im dritten Aufzug nichts mehr zu sehen. Die Szene ist leer und dunkel.  Kurwenal, der junge Hirte und zwei junge Männer wachen um einen tot geglaubten Tristan. Erleben sie es als Wunschtraum oder als Albtraum, dass der vermeintlich Tote noch einmal erwacht, dass diesem im Fieberwahn immer wieder eine stumme Isolde erscheint, die, will er nach ihr greifen, sich in Nichts auflöst? Sind sie alle im Wahn gefangen?

Doch das ist alles gar nicht so wichtig. Die Musik, wie sie Christian Thielemann mit dem Festspielorchester zelebriert, ist einfach überwältigend. Und dazu wird so überragend, so brillant, so hinreißend gesungen, dass man nur noch staunen kann. Und auch an der Regie (Katharina Wagner) mit ihrer so eingängigen Grundkonzeption, mit ihren Verweisen auf Kunsthistorie und Literatur und im Schlussbild wohl auch auf ‚Neubayreuth‘ gibt es kaum etwas zu bekritteln.

Ein großer Abend des Musiktheaters in Bayreuth – neben den Meistersingern unzweifelhaft das Ereignis der diesjährigen Festspiele. Wir besuchten die Aufführung am 20. August 2017.