Gefangen sind sie alle, rettungslos, auswegslos, vom ersten Takt an, vom ersten Bild an. Da hocken sie jeder für sich in verwinkeltem Gestänge, klettern durch die Gitter, kommen, wenn es die Szene unbedingt verlangt, zusammen, trennen sich wieder. Eines Liebestranks, eines vermeintlichen Todestranks bedarf es nicht. Sie schütten den Trank einfach weg. Eine leidenschaftliche Isolde greift sich einen zögerlichen Tristan, mag dieser sich auch noch so sehr an „Tristans Ehre“ klammern. Das hat alles keine Bedeutung.
Hier in diesem ersten Akt bestimmt Isolde (in der Person der Petra Lang) das Geschehen und die Szene. Diese Isolde ist so dominierend in Stimme und Spiel, wie ich wohl noch keine auf der Bühne gesehen und gehört habe. Ein routinierter Sängerdarsteller wie Stephen Gould hat es da richtig schwer. Nun ja, ihm wird ja der dritte Akt gehören – bis auf den Liebestod, zu dem Petra Lang noch einmal zu großer Form aufläuft, zu einem Liebestod, der szenisch gar nicht stattfindet. Ein ’Ertrinken, Versinken‘ ereignet sich nur in der Musik. Auf der Szene greift sich ein brutaler Macho namens Marke Isolde, die eben noch in der Andeutung einer Pietà den toten Tristan in ihren Armen gehalten hat, und führt sie ab ins Dunkle.
Dieser König Marke (in der Person des René Pape) hat überhaupt nichts von dem sanften, verständnisvollen Hahnrei, wie er so gerne dargestellt wird. Er und seine Leute, die alle in einem gelben Outfit auftreten, sind Wachsoldaten – Marke ist ihr Kommandant – in einem Straflager, die von der Gallerie herab ihre Scheinwerfer auf die Gefangenen richten. Henker und Voyeure zugleich sind sie. Die ‚Nacht der Liebe‘, die mit einem missglückten Selbstmordversuch des ‚hohen Paares‘ endet, ereignet sich – ganz wie der ‚Liebestod‘ nur in der Musik. Und trotzdem fragt sich eine ganz von der Musik gefangen genommene Zuschauerin, ob die Regie, so stimmig deren Grundkonzeption mit dem Thema des Gefangen-Seins auch ist, in diesem zweiten Aufzug sich nicht selber im kruden Realismus zu verfangen droht. Da stehen einfach zu viele Käfige herum. Da wird Tristan gefesselt und auf Befehl Markes einfach von hinten abgestochen.
Von all den Verweisen auf die Carceri, die Strafkolonie und auf eine wie auch immer geartete ‚Realität’ ist im dritten Aufzug nichts mehr zu sehen. Die Szene ist leer und dunkel. Kurwenal, der junge Hirte und zwei junge Männer wachen um einen tot geglaubten Tristan. Erleben sie es als Wunschtraum oder als Albtraum, dass der vermeintlich Tote noch einmal erwacht, dass diesem im Fieberwahn immer wieder eine stumme Isolde erscheint, die, will er nach ihr greifen, sich in Nichts auflöst? Sind sie alle im Wahn gefangen?
Doch das ist alles gar nicht so wichtig. Die Musik, wie sie Christian Thielemann mit dem Festspielorchester zelebriert, ist einfach überwältigend. Und dazu wird so überragend, so brillant, so hinreißend gesungen, dass man nur noch staunen kann. Und auch an der Regie (Katharina Wagner) mit ihrer so eingängigen Grundkonzeption, mit ihren Verweisen auf Kunsthistorie und Literatur und im Schlussbild wohl auch auf ‚Neubayreuth‘ gibt es kaum etwas zu bekritteln.
Ein großer Abend des Musiktheaters in Bayreuth – neben den Meistersingern unzweifelhaft das Ereignis der diesjährigen Festspiele. Wir besuchten die Aufführung am 20. August 2017.