Piano-Pianissimo. Lento- Lentissimo. Eine große Nachtmusik in München oder ein Schlafmittel namens Parsifal

Maestro Petrenko ist in München sakrosankt, die heilge Cäcilia im Musentempel, der absolute Liebling des Publikums. Ganz gleich, was er diesem vorsetzt. Auch ich, ich gestehe es gern,  war von Petrenkos überragender ‚ Kunst der  Interpretation’und seinem zurückhaltenden  Auftreten angetan. Doch heute beim Parsifal hat der Marestro mich enttäuscht. Dieses genussvolle Verkosten jeder Note, dieses jede Sequenz als Heiligtum zelebrieren, dieses die Musik als ein ewiges In-Sich-Versenken begreifen, als  protestantische Mystik. Eine Interpretation, die über den ganzen Abend hinweg auf das Feierlich-Getragene, auf das Sanft-Religiöse setzt. Alles Erotische ist Teufelswerk, alles Komödiantische und jegliche Ironie sind es nicht minder. Da mag einst Nietzsche noch so sehr von Wagner als Komödiantem  Scharlatan, Schauspieler gesprochen  haben. Im  Münchner Parsifal geht es ernsthaft und feierlich  zu – und langweilig, schrecklich langweilig. So langweilig, dass so manchen die Augen übergingen, vulgo: dass so mancher eingeschlafen ist. Anders ausgedrückt: gleich nach den ersten Takten versank der   Saal in bleiernder Müdigkeit . Ich kam mir vor wie bei  Beckett : Fin de Partie, , wo man frei nach Wotan  hin  und wieder denkt:  Nur eines  will ich noch : das Ende. Zu viel! Zu viel! Die Wagner Droge,  die  uns  Maestro Petrenko reicht, ist zu stark.

Die Inszenierung , für die Pierre Audi verantwortlich zeichnet, tat nichts, um diesem Eindruck der Langweile entgegen zu wirken. Ort des Grschehens  ist eine Lichtung in einem wohl nordischen Wald, eine Lichtung indes, auf die kaum Licht fällt. Ein Pferdegerippe und ein verfallener Turm sind die einzigen Requisiten. Das Gerippe dient Kundry  als Rückzugsort, der Turm dient als Aufbewahrungsort für sakrale Objekte. In diesem Ambiente erzählt ein recht jugendlicher und dynamischer Gurnemanz ( in der Person des René Pape) seine Geschichten. Hier versammelt sich eine Hundertschaft in dunkle Mäntel gekleideter Gestalten und fordert ihre Stärkung ein. Als Bussübung (?) lassen sie ihre Mäntel falllen und präsentieren in Nackedei Kostümen ihre gebrechlichen Greisenkörper. Wagners Gralsritter sind wohl nicht nur altersschwach, sie sind wohl auch Verdammte. Aus den traditionellen Höllendarstellungen wissen wir ja noch, dass die Verdammten  sich hüllenlos dem Betrachter ppräsentieren.

Den Blumenmädchen im zweiten  Aufzug geht es kaum anders. Auch sie sind zu grotesk häßlichen  Pseudonackedeis und wohl auch zu Verdammten mutiert. Dass der arme Parsifal – in München vom ganzen Outfit her ein seriöser Herr mittlern Alters – verstört zwischen diesen Gestalten herumirrt, das kann  man leicht nachvollziehen. Der Herr ist wohl heilfroh, als ihm eine großbürgerliche Dame in Abendrobe ( bei Wagner eine gewisse Kundry) etwas von seiner verstorbenen Mama erzählt. Doch als die Dame in der Abendrobe Sex von ihm verlangt, da flieht er doch lieber ins Büro. Bei Wagner schwafelt Parsifal etwas von einer Mission, die er erfüllen müßte – aus dem Graben tönt es dazu feierlich.

Doch lassen wir das Kritteln, obwohl man fast versucht ist, eine Parodie der Aufführung zu schreiben.Dieser Parsifal ist kein Glanzstück der Münchner Oper. Trotz all der großen Namen eine Enttäuschung. Enttäuschend ist die so ‚heilige‘ Interpretation der Musik.Dürftig ist die Szene, die noch dazu von unfreiwilliger Komik nicht frei ist. Enttäuschend war die berühmte Sopranistin, deren Kunst wir  schon viele Male  in so manchem Opernhaus bewundert haben. Wie schade, dass sie an diesem Abend nicht in Hochform war und sich so oft in ‚ Schreigesang‘ flüchten  musste. In Hochform als Sänger und Schauspieler  waren dafür René Pape als Gurnemanz und Michael Nagy in der Rolle des leidenden und todessüchtigen Amfortas. Sie beide haben die Aufführung ‚gerettet‘.

Eine Bitte an das Produktionsteam: nehmt doch Wagners Erlösungsgeschwafel nicht so ernst.

Wir besuchten die Vorstellung am 28.März 2019. Die Premiere dieser Inszenierug war am 28. Juni 2018.

 

 

 

 

 

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Absurdes Theater, Western, Schwarze Romantik nebst Science Fiktion – Geschichten aus der neuen Opernwelt, erlebt in Amsterdam und Brüssel

Alljährlich im Frühjahr veranstaltet De Nationale Opera in Amsterdam ein Festival des neues Musiktheaters –  „Opera Forward Festival“, und das Théâtre de la Monnaie, die Brüsseler Oper, will da nicht nachstehen. So besuchten wir in Brüssel eine „Welturaufführung“: Frankenstein mit der Musik von Mark Grey, in Amsterdam die Erstaufführung einer Übernahme aus  Milano: Fin de Partie mit der Musik von György Kurtág, die im vergangenen Jahr an der Scala uraufgeführt wurde. Und dann sahen wir noch ein John Adams /Peter Sellars Opus: Girls oft he Golden West.

Sagen wir es gleich, ohne Umschweife. Modern, geschweige denn avantgardistisch war keine dieser Aufführungen. Anspruchsvoll in der Musik, ohne indes die Zuhörer zu überfordern, war allenfalls Kurtágs Oper. Ein allerdings auf die Dauer – man spielte ohne Pause mehr als zwei Stunden –  ermüdender Klangteppich. Vielleicht waren es auch nur locker aneinander gereihte Fetzen von Musik unterschiedlicher Art. Vielleicht waren es auch vielfach variierte Zitate. Hinzu kommt, dass sich das „absurde Theater“ – der Komponist vertonte das bekannte Stück von Samuel Beckett – vor allem durch eines auszeichnet: durch gezielte Langweile. Durch gezielte Langweile bis zum Überdruss soll der Zuschauer provoziert werden. Überdruss soll er erleiden angesichts nichtiger Figuren und deren banalem Geschwätz. Wagners Wotan hätte diese Ergüsse auf einen Satz gebracht: „Nur eines will ich noch: das Ende“.… → weiterlesen

„Brangäne, du – Sag, wo sind wir?“ Tristan und Isolde an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, wir sind nicht an „Kornwalls grünem Strand“. Wo sind wir? Das fragt sich nicht nur Isolde. Das fragt sich auch der Zuschauer im Amsterdamer Opernhaus. Im ersten Akt sind wir wohl irgendwo in archaischer Zeit. Vielleicht in Japan? Vielleicht in einer Bob Wilson Inszenierung: statuarische Bewegungen. Licht- und Schattenspiele. Gestalten in langen grauen Mänteln. Oder sind wir vielleicht – ganz wie es das Libretto will – in den Luxuskabinen eines Schiffs? Sind die mit Jugendstil Ornamenten verzierten Vorhänge vielleicht stilisierte Segel?

Im zweiten Akt sind wir auf einem Friedhof. Die todessüchtigen Liebenden tragen Schwarz, nutzen flach liegende Grabsteine als Sitz- und Ruhegelegenheiten. Erzählte Zeit ist vielleicht ein unbestimmtes Mittelalter. Der König – von der Kutte her, die er trägt, zu urteilen – ist wohl der Abt eines Klosters. Seine Diener sind mit Spießen bewaffnet. Der Bösewicht Melot, ein rüstiger Greis mit Rollator, sticht mit seinem Taschenmesser zu.

Aber vielleicht ist der Friedhof mit der Fülle seiner phallisch aufgereckten Pflanzen zugleich ein Treibhaus und verwiese damit auf ein in der Dekadenzliteratur häufig genutztes erotisch konnotiertes Bildsymbol. Und dann stünde der phallische Friedhof für die Symbiose von Eros und Thanatos, wäre die szenische Realisierung des dominanten Leitmotivs in Tristan und Isolde, dem Eins-Sein von Liebe und Tod.  War das die Intention von Regisseur und Bühnenbildner? Vielleicht.

Im dritten Akt lösen sich die  Rätsel von Zeit und Raum. Jetzt sind wir beim Beckett Müll gelandet. Estragon und Wladimir alias Tristan und Kurwenal warten auf Godot alias Isolde. Sie kommt immerhin anders als Godot. Zu spät, wie es das Libretto verlangt. Im Finale macht die Regie noch einmal eine Kehrtwendung, kehrt zur Bob Wilson Manier des Anfangs zurück. Isolde singt ihr „Mild und leise […]“, ihr „ertrinken – versinken“ als schwarzer Schattenriss im Bob Wilson Licht.

In Amsterdam – dies ist anscheinend die Grundkonzeption der Inszenierung – hat Pierre Audi, der langjährige Intendant des Amsterdamer Musiktheaters, wohl seinen eigenen Abschied inszeniert, hat noch einmal auf frühere Arbeiten und die berühmter Gastregisseure verwiesen.

Doch lassen wir die Inszenierung. Zum Tristan geht man nicht wegen der Inszenierung, auch nicht wegen der „Handlung“, sondern – eine banale Bemerkung – wegen der Musik. Mag Nietzsche auch versucht haben, uns glauben zu machen, dass Wagner „die Musik krank gemacht habe“, dass er mit seiner Musik uns „hypnotisieren“ wolle. Es stört uns nicht. Im Gegenteil. Wir lieben die Wagnerdroge. Und auch so wie sie Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest bereitet: nicht  rauschhaft, sondern – so vor allem im dritten Akt – düster, traurig, verzweifelt. Der „Liebestod“ nur ein Wahn – ganz im Einklang mit der Inszenierung.

Auf der Bühne Stars des internationalen Musiktheaters. Da gibt es nichts zu bekritteln: Stephen Gould als Tristan, Ricarda Merbeth als Isolde, Günther Groissböck als König Marke, Michelle Breedt als Brangäne.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Februar 2018. Die Premiere war am 18. Januar 2018.

 

 

„Questo è il bacio di Tosca“. Ein großes Opernspektakel in der Bastille Oper

Für diese Pariser Tosca  hat man alles aufgeboten, was gut und teuer, nein, was mehr als gut und teuer ist. Weltstars auf der Bühne: Anja Harteros  als Operndiva Tosca, Bryn Terfel als sadistischer und machbesessener Baron Scarpia, Marcelo Álvarez als republikanisch gesinnter naiver Liebhaber Cavaradossi. Dass dieses ‚Trio celeste‘, mögen sie alle drei auch schon so viele Male ihre Rollen gesungen und gespielt haben, aus Puccinis Musik ein Sängerfest machen, das war zu erwarten. Dass sie so makellos, so brillant, so schön und dazu noch (dies gilt für die Harteros) so anrührend singen, ohne jemals zuckrig zu sein, ohne jemals in den süßen Puccini-Kitsch zu verfallen, das macht diese Pariser Tosca zum Ereignis.

Allerdings muss man Puccini lieben, bereit sein, sich den Emotionen, die seine Musik erweckt, um nicht zu sagen, ‚erregt‘, hinzugeben. Es ist ja auch alles da, was das spätromantische Herz begehrt, was das Mélodrame fordert, was das Publikum an der italienischen Oper immer wieder begeistert: Liebe, Lust und Eifersucht, Sex and Crime, Gewalt und Sadismus. Und dazu eine Personenkonstellation, die alle Beteiligten in Desaster und Tod führt. Eine schöne leidenschaftliche Frau, ein Bösewicht, der der Schönen Gewalt antun will und von dieser erdolcht wird, ein Liebhaber, dem seine Hilfsbereitschaft und Freiheitsliebe zum Verhängnis wird. Mit einem Wort: ein Opernkrimi mit Herz und Schmerz im Übermaß, stets in Gefahr im Kitsch zu ertrinken. Ja, wenn da  Maestro Ettinger die so eingängige Musik nicht stets vom Zuckerguss bewahrte, wenn da nicht die Sängerdarsteller mit ihrer Brillanz diesen Absturz  zu verhindern wüssten. Ja, dann hätte uns wohl nichts vor dem ‘Ertrinken, Versinken‘ bewahrt.… → weiterlesen