Und die Orgie mit den Balletteusen geht weiter, und fromme Mädchen kommen in den Himmel – vielleicht

Zwiespältig ist der Eindruck, den der Amsterdamer Tannhäuser hinterlässt..Das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Maestro Albrecht musiziert grandios, reicht dem Publikum die berüchtigte Wagner Droge und wird zusammen mit seinem Dirigenten zu Recht gefeiert. Musiker und Maestro sind die Stars des Abends. Allein was aus dem Graben klang, fand  nicht immer den entsprechenden Widerhall auf der Bühne. Anders ausgedrückt: nicht alle Rollen waren, wie man das in Amsterdam gewohnt ist und auch erwartet, optimal besetzt. Nach einem matten ersten Aufzug, in dem sich Tannhäuser offensichtlich sehr schont und Venus sich nicht minder zurückhält, fragt man sich beklommen, wie das wohl weiter gehen soll. Die Sorge war unbegründet. Es ging ganz passabel weiter. Ein  – so will es die Regie – noch von Venus berauschter Tannhäuser singt  beim Sängerkrieg die Konkurrenten leicht nieder, mimt und singt dann gekonnt den Jammerlappen. Und auch die gefürchtete Rom Erzählung gelingt ihm ohne Schwierigkeiten. Doch warum die Regie aus dem stimmlich so geforderten Sänger unbedingt einen nervösen aufgekratzten Typen machen musste, der von einer mütterlichen Venus halbherzig flieht und beim scheuen Kuss einer altjüngferlichen Elisabeth gleich ausrastet, das habe ich nicht verstanden.

Pardon, wir machen keine Sängerkritik. Das steht uns nicht an. Sagen wir nur ganz vorsichtig. Der Tannhäuser ist für Daniel Kirch wohl nicht unbedingt die ideale Rolle. Und bei den beiden Damen hätte man sich in Stimme und Bühnenerscheinung ein bisschen mehr erotische Ausstrahlung gewünscht. Zumal es ansonsten auf der Bühne an  Erotik  und verkrampftem und unterdrücktem Sex nicht mangelte.… → weiterlesen

Im Irrenhaus. Christof Loy inszeniert Carl Maria von Weber, Euryanthe am Theater an der Wien

Nichts von Rittern und Burgfräulein, nichts von Königen und Grafen, nichts von schaurigen Grüften, nichts von düsteren Wäldern und sanften Auen. Von all diesem romantischen Mittelalter Plunder will die Regie nichts wissen. Statt eines Märchens aus fernen Zeiten und fernen Landen setzt sie ein modernes Kammerspiel, ein Psychokammerspiel in den Kostümen von heute in Szene.

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Norma im Wahnsinn. Christof Loy inszeniert Bellini an der Oper Frankfurt und Elza van den Heever triumphiert in der Titelrolle

Sie singt und spielt schon ‚wahnsinnig‘ schön. Das ist Belcanto, wie er kaum exquisiter sein kann, Belcanto in Perfektion, Bellini Melodien, wie sie schon die Zeitgenossen gerühmt haben, wie sie schon die Zeitgenossen ‚verrückt‘ gemacht haben. Eine ‚Verrücktheit‘, die auch so manchem Besucher im Frankfurter Opernhaus widerfuhr: die einen waren zu Tränen gerührt, andere, so zwei in die Jahre gekommenen Jünglinge hinter mir, konnten sich beim Schlussapplaus gar nicht mehr beruhigen. Sie erlebten wohl gerade den berüchtigten ‚Orgasmus in der Opernloge‘. Von den Gefahren und Gelüsten, die den Melomanen bei Bellini drohen, weiß selbstverständlich die Frankfurter Dramaturgie, wenn sie mit ironischem Augenzwinkern gleich auf dem Deckblatt ihres Programmhefts einen einstmals berühmten Kritiker zitiert: „Jemand, der aus einer Aufführung von Norma kommt und nicht bis zum Überfließen erfüllt ist von den letzten Seiten dieses Aktes, weiß nicht, was Musik ist!“ (Alfred Einstein).… → weiterlesen

Variationen der Christus-Mythe mit kräftigen Freud Zutaten. Eingezuckert in eine satte Wagner-Strauss-Puccini Melange. Korngold, Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin

In Berlin ist eine absolute Rarität zu hören. Eine Korngold Oper, die im Jahre 1927 uraufgeführt wurde, nicht unbedingt gefiel und dann aus den bekannten zeitgeschichtlichen Gründen in der Versenkung verschwand. Was da aus dem Graben tönt, das ist keine Filmmusik, wie die Zuhörer, die Korngold nur von der Toten Stadt her kennen, vielleicht erwartet hatten. Das ist nicht schwachbrüstig, das ist schwülstig, das ist in Musik und Szene ein Grand Spectacle, in der eine in jeder Hinsicht groß geforderte Sängerin und Darstellerin (Sara Jakubiak als Heliane) triumphiert.

Die Musik, mit ihren Verweisen auf Wagner und Strauss und wohl auch auf Puccini hat es in sich, produziert eine starke Sogwirkung, einen „Klangrausch“ (Marc Albrecht), hat geradezu etwas Narkotisierendes, wirft indes nicht, wie Nietzsche das von Wagners Musik missbilligend behauptet, die stärksten Stiere um. Sie wirft die stärksten Jungfrauen um und lässt potenzgestörte Männer aggressiv ausflippen. Und das sieht man gleich im ersten Akt auf der Szene.

Diese Oper ist wie von der Musik so auch vom Libretto her ein verrücktes, besser: ein berückendes Stück. Ein Stück, das von seiner Grundstruktur her an Pasolinis Teorema, an Händels Oratorium Saul oder auch an Andrea de Carlos Roman Durante erinnert: ein Fremder kommt in eine Familie, in ein Land, und mit seinem Erscheinen verändert sich alles, zerfällt das Gewohnte.… → weiterlesen

Zickenkrieg im Globe Theatre – und nicht nur dort. Und alle spielen mit. Maria Stuarda am Theater an der Wien mit einer grandiosen Marlis Petersen in der Titelrolle

Orchestergraben Theater an der Wien, Wien

Donizettis Maria Stuarda – so belehrt uns das Programmheft  – war nach politischen Querelen in Neapel und der missglückten Uraufführung im Jahre 1835 aus dem Repertoire verschwunden. Erst mehr als ein Jahrhundert später wurde die Oper gleichsam wiederentdeckt und gilt heute als eines der großen Werke Donizettis: eine tragedia lirica und ein Juwel des Belcanto.

Belcanto in Vollendung war es in der Tat, was im Theater an der Wien zu hören war. Zwei Sopranistinnen, die im ersten Akt gleichsam um die Wette singen, ein Wettstreit, bei dem im zweiten Akt die Protagonistin so große Szenen hat, dass sie die Rivalin zur Nebenfigur degradiert. Ein Tenor, der im  Wortverstande zwischen den beiden Damen steht. Ein Bass, der im zweiten Akt seinen großen Auftritt hat.

Wie Maria Stuarda in der Person der Marlies Petersen im zweiten Akt die großen Arien singt, wie sie die Beichtszene  mit Talbot in der Person des Stefan Cerny gestaltet, den Abschied von Roberto (Norman Reinhardt), die Verzweiflung und die überwundene Angst angesichts des gewaltsamen Todes, das ist grandios und zugleich anrührend. Hier war eine höchst brillante Sängerin und eine exzellente Tragödin zu bewundern.

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Die Macht des Inzests. Christof Loy inszeniert La Forza del Destino an de Nationale Opera Amsterdam

Ich bin nicht unbedingt ein Verdi-Fan. Diese süße, tragisch-traurige Bellezza, diese Dreiecksspielchen, in denen Tenor und Bariton unabhängig voneinander und letztlich doch gemeinsam die Sopranistin erledigen – frei nach dem Motto: keine Oper ohne Frauenleiche – all dies ist schwer erträglich. Doch wenn jetzt wie in Amsterdam bei Der Macht des Schicksals das Nederlands Philharmonisch Orkest unter der Leitung von Michele Mariotti gleich vom ersten Takt an einen fulminanten, einen geradezu rauschhaften Verdi spielt, wenn die tragenden Partien (allen voran Eva-Maria Westbroek als Leonora) mehr als exzellent besetzt sind und wenn die Regie das angeblich so unselige Libretto neu und plausibel erzählt und entsprechend in Szene setzt, dann ist alles  anders, dann gelingt grandioses Musiktheater und alle Verdi-i Vorurteile erweisen sich als nichtig.… → weiterlesen