Requiem für Popstar Bellini. Ein Fest des Belcanto in einer ehrgeizigen Inszenierung. I Puritani an der Oper Frankfurt

„Die unendliche Melodie“ – Doch nicht nur. Es mag ein schon von den Zeitgenossen verbreitetes Vorurteil oder gar ein Zerrbild sein, in Bellini nicht den Musikdramatiker, sondern nur den Schöpfer der unendlichen Melodie, der „lyrischen Kantilenen“ sehen zu wollen. Kantilenen, die an die Emotionen der Zuhörer appellieren, diese im Extremfall zu Tränen rühren wollen. Und doch, mögen die Musikhistoriker auch zu Recht den Musikdramatiker Bellini rühmen, was an Bellinis Opern fasziniert, das ist vor allem der Belcanto, das Melodiöse – und so war es auch wieder in Frankfurt.

Besser und schöner und eindrucksvoller als wir es im Frankfurter Opernhaus erlebt haben, lässt sich Bellini wohl nicht besetzen. Gleich vier Stars der internationalen Opernszene singen und agieren hier. Brenda Rae in der Rolle der unglücklichen, in den Wahnsinn getriebenen Elvira. John Osborn als ehrgeiziger Höfling und Verführer, der die Braut am Hochzeitstag verlässt, um sich als Retter der Königin hervor tun zu können. Der Bariton Iurii Samoilov als letztlich großmütiger Rivale um die Gunst der Schönen. Der Bass Kihwan Sim als verständnisvolle Vaterfigur. Belcanto in Perfektion. Wollte man beschreiben, mit welcher Brillanz und Bellezza in Frankfurt gesungen wurde, dann bliebe einem nur die so schrecklich abgegriffene Feuilletonlyrik. Sagen wir einfach – frei nach Mozart – „die geläufigen Gurgeln“, die großen Stimmen kann man nur bewundern. Bei dieser Bewunderung geriet so mancher Belcanto Fetichist schier aus dem Häuschen – „Orgasmus in der Opernloge“.… → weiterlesen

Norma im Wahnsinn. Christof Loy inszeniert Bellini an der Oper Frankfurt und Elza van den Heever triumphiert in der Titelrolle

Sie singt und spielt schon ‚wahnsinnig‘ schön. Das ist Belcanto, wie er kaum exquisiter sein kann, Belcanto in Perfektion, Bellini Melodien, wie sie schon die Zeitgenossen gerühmt haben, wie sie schon die Zeitgenossen ‚verrückt‘ gemacht haben. Eine ‚Verrücktheit‘, die auch so manchem Besucher im Frankfurter Opernhaus widerfuhr: die einen waren zu Tränen gerührt, andere, so zwei in die Jahre gekommenen Jünglinge hinter mir, konnten sich beim Schlussapplaus gar nicht mehr beruhigen. Sie erlebten wohl gerade den berüchtigten ‚Orgasmus in der Opernloge‘. Von den Gefahren und Gelüsten, die den Melomanen bei Bellini drohen, weiß selbstverständlich die Frankfurter Dramaturgie, wenn sie mit ironischem Augenzwinkern gleich auf dem Deckblatt ihres Programmhefts einen einstmals berühmten Kritiker zitiert: „Jemand, der aus einer Aufführung von Norma kommt und nicht bis zum Überfließen erfüllt ist von den letzten Seiten dieses Aktes, weiß nicht, was Musik ist!“ (Alfred Einstein).… → weiterlesen

Belcanto nebst Griff in die Theaterkiste. Jossi Wieler und Sergio Morabito inszenieren Bellini, I Puritani an der Oper Stuttgart

Bei Bellini und Donizetti – viele Male konnte ich dies schon konstatieren – braucht man eigentlich nur vier herausragende, höchst brillante Sänger, und alles andere ist letztlich unwichtig. Sagen wir es gleich: in Stuttgart stehen diese vier Belcanto Sänger  auf der Bühne und – sagen wir es ruhig pathetisch –  ‚verzaubern‘ ihr Publikum mit Bellinis unendlichen Melodienbögen: die Sopranistin Ana Durlovski als unglücklich liebende Elvira, der Tenor Edgardo Rocha als nicht minder unglücklicher Liebhaber Arturo, der Bariton Gezim Myshketa als verschmähter Rivale Riccardo und der Bass Adam Palka in der Rolle des Giorgio, des uneigennützigen Helfers des Liebespaars – im Libretto der Onkel der Protagonistin und im Regiebuch der Spielleiter: in Kostüm und Maske ein Selbstporträt von Jossi Wieler. Wie Giorgio gleich bei seinem ersten Auftritt seine Theaterkiste aufmacht, eine Marionette hervorholt und mit dieser Elvira vorspielt, wie er ihren noch zögernden Vater dazu überredet habe, seine Tochter dem schönen Lord Arturo und nicht dem gewalttätigen Puritaner Riccardo zur Frau zu geben, so hat auch Jossi Wieler seine  Theaterkiste geöffnet und das Bellini Fest der Stimmen zugleich zu einem Fest der Regie gemacht.

Alles (beinahe alles), was das Theater nur hergibt, wirft Wieler auf die Bühne: fanatische, schwarz gekleidete Fundamentalisten mit der Bibel (nein, nicht mit dem Koran) in der Hand,  eine ganz der ‚Liebe als Passion‘ hingegebene junge Frau, die zum Opfer politischer Intrigen und von Macho Gehabe wird und der nur die Flucht in Wahn und Traum bleibt, den schönen Liebhaber, der von Maske und Kostüm her einem Stück von Corneille entsprungen sein könnte und dementsprechend zwischen gloire/devoir und amour, zwischen ‚Pflicht und Neigung‘ schwankt und am Ende alles verliert, den von Rachsucht getriebenen Rivalen, für den der religiöse Fundamentalismus nur Vorwand für persönliche Rache ist, den gutmütigen jungen Mann, der doch nur das Beste für das Liebespaar will, ein Fra Lorenzo als Gutmensch von heute, und dem das Spiel entgleitet.… → weiterlesen

Ein todessüchtiger Romeo, eine traumatisierte Giulietta, ein italo-amerikanisches Mafia-Ambiente der 20er Jahre. Christof Loy inszeniert i Capuleti e i Montecchi an der Oper Zürich

Gleich zur Ouvertüre liegt das großbürgerliche Haus der Capuleti voller  blutiger Leichen. Gleich zur Ouvertüre springt das Mädchen Giulietta, das gerade im weißen Unschuldskleidchen die Erstkommunion gefeiert hat, dem Vater auf den Schoß. Gleich zur Ouvertüre nähert sich der noch jugendliche Vater im Badezimmer dem Mädchen von hinten. Gleich zur Ouvertüre hält Giulietta in einer Pietà Geste den gerade erschossenen Bruder in ihren Armen. Bilder, die die Drehbühne wie bei einem schnellen Filmschnitt dem Zuschauer aufdrängt. Bilder, die zugleich die Grundkonzeption der Regie sowie die Leithemen offenlegen.

Christof Loy erzählt keine Geschichte aus einem fernen spätmittelalterlichen Verona. Er erzählt keine Liebesgeschichte. Er erzählt die Geschichte einer traumatisierten jungen Frau und eines dem Todestrieb verfallenen jungen Mannes. Giulietta singt zwar von der romantischen Liebe, von der Passion, die auch die eigene Vernichtung nicht scheut. Doch diese Giulietta kommt aus dem vom eigenen Vater gesetzten Trauma nicht los, von der inzestuösen Bindung an die dominante Vaterfigur. Erst als der Vater sie verstößt, da kann und will sie mit dem Geliebten fliehen. Erst da gelten die klassischen und offensichtlich nur vorgetäuschten ‚Tugenden‘ der Ehre und der Familienzwänge nicht mehr. Erst da ist das inzestuöse Trauma überwunden.

Man mag diese freudianische Deutung der Giulietta Figur, die so ganz den Klischees widerspricht, für abwegig halten. Doch konsequent und stringent ist sie im Rahmen der Inszenierung alle Male. Romeo und Julia können nicht zusammenkommen, nicht weil die rivalisierenden Gangster eine Verbindung verhindern, sondern weil die Verbindung zwischen Vater und  Tochter keinen Platz für einen Dritten lässt und – dies ist das zweite Leitthema der Inszenierung – weil dieser Dritte ein Todessüchtiger ist, in den Tod verliebt ist und gleichsam eine homoerotische Verbindung mit der Todesfigur eingegangen ist. Dieser Tod ist kein Gespenst und kein Knochenmann. Er ist ein melancholischer junger Mann. Er ist stets präsent, ist Romeos (ganz wie sich dieser im Finale eingesteht) „ständiger Begleiter“. Dieser Begleiter reicht Romeo den fatalen Gifttrank, öffnet ihm das Fenster zu Giuliettas Zimmer, ist beim Angriff auf die Hochzeitsgesellschaft, beim Streit mit dem Rivalen wie auch bei der vergeblichen Friedensmission mit dabei. Romeo ist im Wortverstande ‚mitten im Leben vom Tod umfangen‘. Und ein gleiches gilt, wenn auch in geringerem Maße und mit einer überraschenden Schlusswendung, auch für Giulietta. Der stumme Todesjüngling reicht ihr den Betäubungstrank und trägt sie auf seinen Armen. Nur im Finale da entgeht sie anders als Romeo der Macht des Todes. Sie stirbt dem Geliebten nicht nach, sie stürzt davon und findet sich wieder in einem dämmerigen Zimmer voller blutiger Leichen, voller eben zu Tode gekommener Gangster. Endet sie wie Ophelia im Wahnsinn? Hat sich die eben ereignete Geschichte nur in ihrem Wahn ereignet, und wird sie sich in einer Endlosschleife immer wieder neu ereignen? Die Regie lässt die Frage offen.

Loys Inszenierung der I Capuleti e i Montecchi ist zweifellos ein Highlight, eine Inszenierung, die kein museales Kostümfest ist, die statt dessen den Mythos von Romeo und Julia aktualisiert, ohne ihn zu vergewaltigen, die mit der Herausstellung des latenten Inzestmotivs und des Todestriebs eine überraschende, faszinierende und zugleicht überzeugende Variante des Mythos vorschlägt.

Und die Musik? Für Bellini, so hat man oft gesagt, genügen zwei oder drei herausragende Stimmen, und ein Fest des Belcanto ist vorprogrammiert. In Zürich, wo Joyce DiDonato den Romeo und Olga Kulchynska die Giulietta singen, erlebt das Publikum ein grandioses Fest des Belcanto. Dort verbinden sich Belcanto und Inszenierung zu einer Aufführung, wie man sie sich kaum besser und schöner vorstellen kann. Zürich bietet wieder einmal Oper vom Allerfeinsten.

Wir sahen die Vorstellung am 12. Juli 2015. Die Premiere war am 21. Juni 2015.

 

 

Casta Diva – routiniert und konventionell. Norma am Liceu

Ich weiß ja, und ich glaube es ja auch, dass die beiden Diven, die da (mal stehend, mal kniend) von der Rampe herab Norma und Adalgisa sangen und mimten, Starsängerinnen sind, die nicht nur in Barcelona ihre ‚Kunstfertigkeiten‘ zeigen, sondern bald auch bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen in diesen Rollen brillieren werden. Kein Zweifel, dass auch der Tenor, dem Bellini die undankbare Rolle zugedacht hat, gleich gegen zwei Damen ansingen zu müssen, ein Star ist, der sich durchaus gegen die weibliche Konkurrenz zu behaupten wusste. Kein Zweifel auch, dass sich das Orchester ganz zurückgenommen und den Solisten allen Raum zur Entfaltung gegeben hat.

Und trotzdem. An diesem Abend im Liceu da fehlte etwas. Da sprang kein Funke über. Da wurden keine Emotionen erweckt. Da erstarb Bellinis so wunderbarer Melodienreigen  in ewiger Routine, um nicht zu sagen in Langeweile.
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„Un amor disperato“. Bellini, La Straniera am Theater an der Wien

Vielleicht sollte man nicht immer nur Norma oder I Capuleti ed i Montecchi  oder La Sonnambula, sondern vor allem La Straniera hören, um immer besser begreifen zu können, welchen Zauber Bellinis ‚unendliche Melodien‘ auf den Zuhörer ausüben und warum noch der späte Wagner Bellini rühmte.

Ich kannte La Straniera nicht, hatte das „Melodramma“ vom Jahre 1829 noch nie vollständig gehört – geschweige denn auf der Bühne gesehen und war nach dem Verriss der Wiener Aufführung, den man in der FAZ vom 16. Januar lesen konnte, recht skeptisch. Nun, der Verriss bezog sich vor allem auf eine einstige Primadonna assoluta des Belcanto. Doch auch fast allen anderen Mitwirkenden wie auch dem Produktionsteam war die FAZ nicht sonderlich freundlich gesinnt.

Zur einstigen Primadonna, die, mag sie auch schon etwas in die Jahre gekommen sein, noch immer fragile Jünglinge und ältere Herren in Verzückung zu versetzen vermag – so habe ich es zu meinem Befremden noch vor ein paar Jahren in der Bayerischen Staatsoper erlebt – zu dieser Primadonna kann ich nichts sagen. Ich habe sie nicht erlebt. Wir waren in der zweiten Premiere – und an dieser Aufführung gibt es nichts zu bekritteln. Hier sang die Titelrolle fürwahr eine Primadonna assoluta – Marlis Petersen – in Gesang und Spiel und Bühnenerscheinung geradezu eine Idealbesetzung für die Rolle der Alaide, die  geheimnisvolle Fremde, die femme fatale, das Objekt der Liebes- und der Todessehnsucht, dem – ganz entsprechend den Schemata der ‚schwarzen Romantik‘ – ein exaltierter junger Mann, Arturo, ausweglos verfällt. „Liebe als Passion“ in ihrer radikalsten Form, die nur in Tod und Wahnsinn enden kann. Ein Stoff, eine Handlung, eine Personenkonstellation, aus denen die Mélodrames sind, die in der Bellini Zeit so sehr en vogue waren.
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