„Die unendliche Melodie“ – Doch nicht nur. Es mag ein schon von den Zeitgenossen verbreitetes Vorurteil oder gar ein Zerrbild sein, in Bellini nicht den Musikdramatiker, sondern nur den Schöpfer der unendlichen Melodie, der „lyrischen Kantilenen“ sehen zu wollen. Kantilenen, die an die Emotionen der Zuhörer appellieren, diese im Extremfall zu Tränen rühren wollen. Und doch, mögen die Musikhistoriker auch zu Recht den Musikdramatiker Bellini rühmen, was an Bellinis Opern fasziniert, das ist vor allem der Belcanto, das Melodiöse – und so war es auch wieder in Frankfurt.
Besser und schöner und eindrucksvoller als wir es im Frankfurter Opernhaus erlebt haben, lässt sich Bellini wohl nicht besetzen. Gleich vier Stars der internationalen Opernszene singen und agieren hier. Brenda Rae in der Rolle der unglücklichen, in den Wahnsinn getriebenen Elvira. John Osborn als ehrgeiziger Höfling und Verführer, der die Braut am Hochzeitstag verlässt, um sich als Retter der Königin hervor tun zu können. Der Bariton Iurii Samoilov als letztlich großmütiger Rivale um die Gunst der Schönen. Der Bass Kihwan Sim als verständnisvolle Vaterfigur. Belcanto in Perfektion. Wollte man beschreiben, mit welcher Brillanz und Bellezza in Frankfurt gesungen wurde, dann bliebe einem nur die so schrecklich abgegriffene Feuilletonlyrik. Sagen wir einfach – frei nach Mozart – „die geläufigen Gurgeln“, die großen Stimmen kann man nur bewundern. Bei dieser Bewunderung geriet so mancher Belcanto Fetichist schier aus dem Häuschen – „Orgasmus in der Opernloge“.
Dass bei diesem Fest des Belcanto die Regie sich nicht unterkriegen lässt und eigenen Ehrgeiz entwickelt, kann man ihr nicht hoch genug anrechnen. Vincent Boussard und sein Team gehen von einer Verbindung von Leben und Werk aus, sehen den berühmten Komponisten, den Star der Pariser Salons, den unwiderstehlichen Verführer, den so jung Verstorbenen als Opfer der Rache einer von ihm verlassenen Geliebten. Ganz in diesem Sinne präsentiert man zur Ouvertüre eine Pantomime auf einem düsteren Friedhof: eine schwarz gekleidete weibliche Figur ersticht eine schwarz gekleidete männliche Figur, klammert sich an diese, bereitet ihr den ‚Liebestod‘. Eine schauerromantische Szene, die in eine pompöse Beerdigungszeremonie übergeht.
Ein befremdender Eindruck, der sich noch verstärkt, wenn sich die Szene zu einem Platz vor einem maroden Teatro Bellini in Catania verwandelt und die Trauergesellschaft beginnt, Bellinis letzte Oper, eben i Puritani, aufzuführen. Arturo, der Verführer in der Oper, ist zugleich Bellini. Die dem Wahnsinn verfallene Opernfigur Elvira, die den Geliebten im Finale tötet, ist in ihrer schwarz gekleideten Doppelgängerin zugleich Muse und Todesgöttin für den Komponisten.
Dieses Doppelspiel von Leben und Werk ist nie aufdringlich, wird immer nur angedeutet. Wer sich die Lektüre des Programmhefts erspart hat, der hat allerdings gewisse Schwierigkeiten, das Doppelspiel zu erfassen. Erst im Finale löst sich für ihn das Rätsel. Bellini sitzt am Klavier. Die Salongesellschaft feiert ihn. Die Oper ist zu Ende. Die Mitwirkenden werden wieder zu Gästen im Salon, nehmen mit dem Rücken zum realen Publikum den Beifall eines imaginären Publikums entgegen. Alles war nur ein Spiel. Ein Spiel um und mit Bellini. Mag sein Theater auch verfallen, mag er auch so jung dahin gegangen sein. Was aber bleibt ist seine Musik, die „unendliche Melodie“.
In Frankfurt steht eine in Szene und Musik höchst brillante Bellini Aufführung auf dem Programm. Wir besuchten die Vorstellung am 28. Dezember 2018, die achte Aufführung seit der Premiere am 2. Dezember 2018.
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