Vielleicht sollte man nicht immer nur Norma oder I Capuleti ed i Montecchi oder La Sonnambula, sondern vor allem La Straniera hören, um immer besser begreifen zu können, welchen Zauber Bellinis ‚unendliche Melodien‘ auf den Zuhörer ausüben und warum noch der späte Wagner Bellini rühmte.
Ich kannte La Straniera nicht, hatte das „Melodramma“ vom Jahre 1829 noch nie vollständig gehört – geschweige denn auf der Bühne gesehen und war nach dem Verriss der Wiener Aufführung, den man in der FAZ vom 16. Januar lesen konnte, recht skeptisch. Nun, der Verriss bezog sich vor allem auf eine einstige Primadonna assoluta des Belcanto. Doch auch fast allen anderen Mitwirkenden wie auch dem Produktionsteam war die FAZ nicht sonderlich freundlich gesinnt.
Zur einstigen Primadonna, die, mag sie auch schon etwas in die Jahre gekommen sein, noch immer fragile Jünglinge und ältere Herren in Verzückung zu versetzen vermag – so habe ich es zu meinem Befremden noch vor ein paar Jahren in der Bayerischen Staatsoper erlebt – zu dieser Primadonna kann ich nichts sagen. Ich habe sie nicht erlebt. Wir waren in der zweiten Premiere – und an dieser Aufführung gibt es nichts zu bekritteln. Hier sang die Titelrolle fürwahr eine Primadonna assoluta – Marlis Petersen – in Gesang und Spiel und Bühnenerscheinung geradezu eine Idealbesetzung für die Rolle der Alaide, die geheimnisvolle Fremde, die femme fatale, das Objekt der Liebes- und der Todessehnsucht, dem – ganz entsprechend den Schemata der ‚schwarzen Romantik‘ – ein exaltierter junger Mann, Arturo, ausweglos verfällt. „Liebe als Passion“ in ihrer radikalsten Form, die nur in Tod und Wahnsinn enden kann. Ein Stoff, eine Handlung, eine Personenkonstellation, aus denen die Mélodrames sind, die in der Bellini Zeit so sehr en vogue waren.
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