Variationen der Christus-Mythe mit kräftigen Freud Zutaten. Eingezuckert in eine satte Wagner-Strauss-Puccini Melange. Korngold, Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin

In Berlin ist eine absolute Rarität zu hören. Eine Korngold Oper, die im Jahre 1927 uraufgeführt wurde, nicht unbedingt gefiel und dann aus den bekannten zeitgeschichtlichen Gründen in der Versenkung verschwand. Was da aus dem Graben tönt, das ist keine Filmmusik, wie die Zuhörer, die Korngold nur von der Toten Stadt her kennen, vielleicht erwartet hatten. Das ist nicht schwachbrüstig, das ist schwülstig, das ist in Musik und Szene ein Grand Spectacle, in der eine in jeder Hinsicht groß geforderte Sängerin und Darstellerin (Sara Jakubiak als Heliane) triumphiert.

Die Musik, mit ihren Verweisen auf Wagner und Strauss und wohl auch auf Puccini hat es in sich, produziert eine starke Sogwirkung, einen „Klangrausch“ (Marc Albrecht), hat geradezu etwas Narkotisierendes, wirft indes nicht, wie Nietzsche das von Wagners Musik missbilligend behauptet, die stärksten Stiere um. Sie wirft die stärksten Jungfrauen um und lässt potenzgestörte Männer aggressiv ausflippen. Und das sieht man gleich im ersten Akt auf der Szene.

Diese Oper ist wie von der Musik so auch vom Libretto her ein verrücktes, besser: ein berückendes Stück. Ein Stück, das von seiner Grundstruktur her an Pasolinis Teorema, an Händels Oratorium Saul oder auch an Andrea de Carlos Roman Durante erinnert: ein Fremder kommt in eine Familie, in ein Land, und mit seinem Erscheinen verändert sich alles, zerfällt das Gewohnte. Bei Korngold ist der Charismatische ein namenloser junger Mann – Der Fremde -, der in ein Land kommt, wo Lachen und Liebe verboten sind und der, da er die diktatorische Friedhofsruhe, die über dem Land liegt, stört, zum Tode verurteilt wird. Soweit die Vorgeschichte.

In der Nacht vor der geplanten Hinrichtung kommt der Herrscher zu dem Verurteilten und sucht ihm das Geheimnis seines Charismas zu entlocken. Ein Gewaltherrscher, der sich vergeblich um die Liebe seiner Frau bemüht. Impotenz auf der einen, Frigidität auf der anderen Seite. Ein hoffnungsloser Fall. Auch die Königin sucht den Gefangenen auf und verfällt ihm. ‚Liebe als Passion‘ auf den ersten Blick – ein scheinbar einfacher Fall.

Doch so einfach, wie es die Schemata der Dreiecksgeschichte nahe legen, machen Komponist und Librettist es sich nicht. Dieser Fremde, zu dem sich die Königin Heliane so unwiderstehlich hingezogen fühlt, hat das Charisma eines Heilsbringers, ist eine Variante der Christusfigur, und Heliane wird in der Begegnung mit diesem neuen Jesus zur Maria Magdalena, genauer: zu einer umgekehrten Maria Magdalena. Aus der keuschen, reinen und frigiden Frau wird eine Frau, die die Passion, eine immer mehr unbedingte Leidenschaft für sich entdeckt, eine Leidenschaft, die ganz wie es sich für eine romantische, hier eine spätromantische Leidenschaft, gehört, zum Tode führt.

Doch wir wollen nicht die Geschichte nacherzählen. Nur so viel. Der Charismatiker ersticht sich selber, in dem Glauben, mit seinem Freitod die Geliebte retten zu können. Vergebliche Müh und vergebliches Opfer. In einem Wahn von Eifersucht, Raserei und impotentem Machogehabe ersticht der Herrscher seine Frau. Das übliche Opernfinale. Nicht doch. Der Fremde und Heliane stehen von den Toten wieder auf, ziehen von dannen zur Seligkeit oder wohin auch immer. „Ein Wunder“ – beinahe wie im Lohengrin.

Eine wilde Geschichte, ein Märchen, eine Parabel, die von der Macht der Leidenschaft erzählt, eine Perversion der Christus-Mythe, ein Mysterienspiel, eine Psychostudie, eine Fallerzählung aus dem Kabinett des Doktor Freund usw. All das mögen Korngold und sein Librettist erzählen. Mag ja sein.

Doch vor allem erzählen sie eine in Musik und Szene stets spannende und faszinierende Geschichte, die, wie zu erwarten war, von Christof Loy subtil, durchdacht und doch mit leichter Hand in Szene gesetzt wird. Ein einziger Raum, ein altertümlicher Gerichtssaal, genügt, um das Klaustropobische und Ausweglose, in dem die drei Personen: Der Fremde, Der Herrscher, Heliane gefangen sind, überdeutlich zu machen.

Ein großer Opernabend in der Deutschen Oper in Berlin. Eine Wiederentdeckung eines zu Unrecht vergessenen Werkes. Wir besuchten die Aufführung am 6. April 2018, die „5. Vorstellung seit der Premiere am 18. März 2018″.