Così fan tutte. Jederzeit und überall. Ein Switching zwischen den Zeiten

Mozart an der Deutschen Oper in Berlin? Und dann noch ein so komplexes ‚dramma giocoso‘ wie Così fan tutte. Wenn das nur nicht ein Flop ist. Nach den desaströsen Erfahrungen, die wir an diesem Haus mit der Entführung aus dem Serail gemacht hatten ( einer Mélange aus Road Movie und Porno), und nach einem Blick auf die Fotos im Programmheft befürchtete ich schon das Schlimmste – und wurde angenehm überrascht. Mehr noch, und sagen wir es gleich: alle Befürchtungen und Vorurteile erwiesen sich als gegenstandslos.
Gleich vom ersten Takt an erklingt eine schnelle und temperamentvolle, eine gänzlich unsentimentale, eine ironisch aufgeladene Così. So wie Maestro Daniel Cohen dirigiert, so wünscht man sich Così fan tutte zu hören. Dem so brillanten Orchesterklang steht das Ensemble auf der Bühne nicht nach. Allesamt sind sie excellente Sänger und Schauspieler – und als letztere werden sie von einer anspruchsvollen und ambitiösen Regie auch erheblich gefordert.nu
Als ein Switching zwischen scheinbar Unvereinbarem hat Robert Bergmann seine Inszenierung angelegt: ein Switching zwischen den Epochen, zwischen der Entstehungszeit der Oper, dem späten Settecento und unserer Gegenwart, als ein Switching zwischen Traum und ‚Wirklichkeit‘, zwischen commedia dell‘ arte und ‚Theater auf dem Theater‘, zwischen Kammerspiel und totalem Theater, zwischen Illusion und Desillusion, Desillusionierung der Protagonisten und zugleich der Zuschauer.
Es geht gleich recht spektakulär los – gleich auf drei Spielflächen. Auf der Seitenbühne, am rechten Bühnenrand, sitzen junge Paare in Settecento Kostümen an Kaffeehaustischen, Theaterbesucher in Erwartung des Spektakels – eine Situation und ein Zitat aus klassischer Zeit, als für die Damen und Herren von Stand Plätze auf der Szene reserviert waren. Die Paare werden sich als stumme Zuschauer und stumme Mitspieler – mal scheinbar betroffen, mal scheinbar entsetzt, mal begeistert zustimmend – immer wieder unter die Protagonisten mischen. Im Finale da haben sie ihre Kostümierung längst aufgegeben und schauen im Alltagslook von heute der Scheinhochzeit zu, der Hochzeit, zu der die Damen sich im Schlabberlook präsentieren.. So als ob sie nicht schnell genug aus den alten Beziehungen in neue flüchten könnten.

Spektakulär – so sagten wir – beginnt man in Berlin. Ferrando und Guglielmo treten vom Zuschauerraum aus auf – nicht etwa in historischen Uniformen, sondern in Harlekinskostümen – machen in der ersten Szene die Zuschauer in den ersten Parkettreihen zu stummen Mitspielern, streiten mit Don Alfonso, der vor dem noch geschlossenen Vorhang steht, einen Joint raucht und in seinem schwarzen Schlabberlook , dem Zottelhaar und dem ungepflegten Bart so gar nichts von einem „vecchio filosofo“ aus dem Settecento hat, sondern eher einem ‚fortschrittlichen‘ , abgeklärten, pseudo- antibürgerlichen Theatermacher von heute ähnelt. Und Theater wird Regisseur Alfonso in der Tat zusammen mit seiner Regieassistentin und Gespielin Despina in Szene setzen.
Ein Theater, das sich in einem Dekor ereignet, das mit seinem scheinbaren Durcheinander disperater Gegenstände aus Gegenwart und Settecento und mit seinen Videoclips überdeutlich auf die Multimedia-Installationen einer Pipilotti Rist verweist. Da stehen Blumenbeete, Spinette, Kommoden , ein riesiger altertümlicher Brunnen mit schaufelartigen Schöpfrädern Und vieles mehr herum. Auf den Videoclips leuchten Blumenmeere und arkadische Landschaften, über denen die Windräder von heute drohen.
In diesem geradezu ’surrealen‘ Ambiente, das Theatermacher Don Alfonso mit ihm selber in der Hauptrolle für sein Experiment mit der Constantia in Szene setzt, erlebt Fiordiligi ihre Liebes- und Treueschwüre ( „Come scoglio“) als Traum oder besser: als Nachtmäre und Ferrando sein „Un’aura amorosa“ als nächtlichen Wunschtraum. Und nicht nur diese beiden, alle Akteure bewegen sich gleichsam in einem ‚Sommernachtstraum‘, in dem die Wünsche scheinbar Wirklichkeit werden – und sich wieder auflösen.
Die Regie vermeidet jeglichen Anflug von Tragik, eine Gefahr, der so mancher Theatermacher so leicht erliegt. Hier in Berlin ist das scheinbar so bedeutsame Experiment mit der Liebe und der Treue Theater, eine Probe auf dem Theater, ein Spiel, ein Spiel mit den gängigen Liebesdiskursen des Settecento, die das damalige Publikum noch kannte und an denen es Vergnügen fand – ganz so wie die jungen Paare , die an den Kaffeehaustischen sitzen. Heute, wo das Publikum die Texte aus jener Zeit nicht mehr kennt, wird Così fan tutte zusätzlich zum Spiel mit Wunschträumen und Albträumen, mit Bewusstem und Unbewusstem und nicht zuletzt auch ein Spiel mit Verhaltensweisen , wie sie dem Publikum von heute möglich und wahrscheinlich erscheinen. Für beide Erwartungshaltungen zugleich, für das Publikum von einst und für das Publikum von heute, hat Robert Borgman Così fan tutte in Szene gesetzt. Eben als Switching zwischen den Zeiten.
Mag sich das “ dramma giocoso“ nun in den Liebesdiskursen des 18. Jahrhunderts ereignen, odelr mag die ‚komische Oper‘ Verhaltensweisen von heute ‚widerspiegeln‘. Ein großer Spaß ist Mozarts und Da Pontes ‚Komödie für Musik‘ alle Male. „Tutto il mondo è burla“ – wird ein Jahrhundert später Verdis Falstaff singen
.
Wir sahen die Aufführung am 3. Mārz 2017. Die „8. Vorstellung seit der Premiere am 25. September 2016“.