Was wir beim Düsseldorfer Ring schon bei der Walküre konstatieren konnten, das gilt nicht minder für den Siegfried. Es herrscht ein krasses Missverhältnis zwischen Szene und Musik, zwischen Theater- und Musik-Part. Auf der Bühne brilliert ein erstklassiges Ensemble. Im Graben zelebriert man unter der Leitung von Maestro Kober einen Wagner comme il faut (für meinen Geschmack vielleicht etwas zu gedämpft und zu wenig rauschhaft). Die Inszenierung hingegen – so schien es mir – kommt über konventionelle Mittelmäßigkeit nicht hinaus und erschöpft sich in einem Zitatensalat aus Kultfilmen und kanonisierten Ring-Inszenierungen.… → weiterlesen
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Siegfried ein Märchen für Erwachsene – für mit Phantasie begabte Erwachsene. Thorleifur Örn Arnarsson inszeniert Siegfried beim Karlsruher Ring
Einst zu Wagners Zeiten hatte Baudelaire die Phantasie, die Gabe der Imagination, die höchste aller Begabungen genannt („la reine des facultés). Vielleicht hat sich Theatermacher Arnarsson an Baudelaire erinnert oder auch an die neueren Rezeptionsforscher, die für das Verständnis von Texten den produktiven Leser forderten, als er an die Imagination der Zuschauer appellierte. Mit ihrer Phantasie sollen sie die Signale und Bilder, die die Regie vorgibt, weiterführen, mit ihrer Phantasie gleichsam ein neues Stück oder eine neue Deutung eines alten Stücks kreieren. Ein kühnes Unterfangen, das wohl so manchen im Publikum überfordern musste und phantasielose Zuschauer ratlos ließ.
Mit den Rätseln geht es gleich zu Anfang los. Was ist eigentlich der Ort des Geschehens? Die gesamte Vorderbühne nimmt ein im Stil des 19. Jahrhunderts eingerichteter großbürgerlicher Salon ein. Oder ist der Salon nur eine große Rumpelkammer, die mit allerlei disparatem Kram gefüllt ist: vom verstaubten Klavier, einer Sammlung von Gipsstatuen, einer Sitzcouch und einem Spieltisch für Schachturniere bis hin zum Herd und einer weiteren Feuerstelle ist alles vorhanden. (Letztere braucht man ja für Mimes Gifttrank und zum Schmieden des Schwerts). Der Salon ist die Einheitsbühne für alle drei Aufzüge… → weiterlesen
Trash nebst Parodie und ohne Wagner-Rausch. Siegfried am Staatstheater Nürnberg
Dass Siegfried als Unterschichtenbengel mit einem Mime Proleten in einer heruntergekommenen Küche haust, das ist nicht neu. Das proletarische Küchenambiente gehört zu den Standardmaterialien der Wagner Ausstatter. Dass der Wanderer wohl gerade aus dem Obdachlosenasyl entlaufen ist, Alberich wohl sein Leben als Türsteher fristet und auf den armen Wotan pinkelt, dass Fafner seinen Schatz unter einer zerbrochenen Autobahn hütet, dass der Waldvogel als Revuegirl auf Krücken daher kommt, dass Erda wohl im Keller eines Schwulenpuffs schläft und vom Macho Wotan geohrfeigt wird… Ja, warum auch nicht. Trash, Trash! Überall Trash! Wohin ich forschend blick‘.
Ich mag die bei Theatermachern mit offensichtlichem Brecht-Schaden noch immer so beliebte Trash Masche nicht sonderlich. Dieser verquaste vermeintliche ‚Realismus‘ langweilt mich nur. Doch wenn das Trash Theater durch gezielte Übertreibung als Parodie angelegt ist, dann kann es wie jetzt in Nürnberg in der Regie von Georg Schmiedleitner höchst amüsant sein. Dann wird Wagner nicht herabgezogen, sondern dann wird wie bei einst bei Nestroy die dem Text und wohl auch der Musik inhärente Komik herausgestellt. Eine Komik, die in den ersten beiden Akten noch eher zurückhaltend eingesetzt wird und daher den Zuschauer noch im Trash Ambiente gefangen hält und die im dritten Akt voll ausgespielt wird – und der Klamotte recht nahe kommt. Brünnhilde ist in Kostüm und Maske und Bühnenerscheinung die schwere Wagnerheroine aus Alt-Bayreuth, die in der Tat den kleinen Siegfried das Fürchten lehrt. Die eben Erwachte rekelt sich erst einmal ausgiebig, gähnt, rollt mit den Augen und stürzt sich auf den am Boden hockenden Siegfried, als wolle sie ihn gleich vergewaltigen. Auf die langen Tiraden des wild wütenden Weibs reagiert der Siegfriedbengel nur höchst gelangweilt, holt aus der Kulisse die Couch, den Fernseher, die Bierflaschen, Aktivitäten, die Brünnhilde dazu veranlassen, sich ihrer Rüstung zu entledigen, sich den Krimsekt vom gerade herein geschobenen Büffet zu schnappen, es sich auf der Couch zum Fernsehabend gemütlich zu machen und nach Kartoffelchips und Siegfried zu greifen. Siegfried als Couch-Potato und Brünnhilde als seine Mama feiern den „lachenden Tod“, der als Karnevalsfigur neben dem Buffet steht. Die Nürnberger Siegfried Posse ein großes finales Gaudi.
Und wo bleiben Wagner-Rausch und Wagner-Pathos? Abgeschafft. Maestro Marcus Bosch mag das nicht und gibt dem Affen keinen Zucker. In Nürnberg ist ein anderer, ein zurückhaltender Wagner zu hören. Der traditionelle „Hang zur Breite, Schwere und zum Pathos“ – so der Maestro im Programmheft – sei „gegen Wagners eigene Artikulationszeichen realisiert worden“ (vgl. Seite 28). Wenn dem so ist. Ich kann das als Nichtmusiker nicht beurteilen. Ich kann nur sagen: Boschs Interpretation hat mir gefallen.
Wir sahen und hörten die Aufführung am 21. Juni 2015. Die Premiere war am 19. April 2015.
Walhall in Ruinen zu englischer Schauerromantik: ein szenisch etwas simpler, ein musikalisch herausragender Siegfried an der Oper Leipzig
Am Anfang tut man sich eher schwer – vielleicht mit Absicht. Es zieht sich alles so dahin. Musik und Szene wollen nicht so recht in Fahrt kommen. Maestro Schirmer setzt auf Langsamkeit, auf das Sachte und auf das Piano, und ganz in diesem Sinne sieht auch die Regie von allem Spektakulären ab. Im Innenhof eines Kastells, der über eine Art Zugbrücke erreichbar ist und vor einer Wiese, auf der sich im hohen Gras die Lemuren tummeln (oder sind es Wotans Helden bei der Morgengymnastik?), vor dieser Wiese haben Mime und Siegfried ihre mit Sesseln, Amboss und Herdplatte möblierte Wohnstatt. Es passiert nicht viel – außer der üblichen Balgerei zwischen dem Alten und seinem Zögling. Wie im Graben geht es auch auf der Bühne gemächlich zu, und im Publikum breiten sich Müdigkeit und ein Anflug von Langeweile aus.… → weiterlesen
„Ein Märchen aus uralten Zeiten…“ Eine Wiederaufnahme des Siegfried am Muziektheater Amsterdam
Der Anfang ist, wie schon bei der Walküre, spektakulär. Es gibt keine Guckkastenbühne und keinen Orchestergraben. Das Orchester ist auf der Bühne platziert, besetzt den halben Bühnenraum und musiziert die ersten Takte des Vorspiels im Dunklen. Aus der Unterbühne taucht ein Wesen auf, das sein Gesicht mit einer Perücke verhüllt: Mime, eine Art Hobbit, der aus der „Erde Tiefe“ heraufsteigt. Spielfläche ist der teils mit Glasbausteinen, teils mit Betongittern überdeckte Orchestergraben sowie die rechte Hinterbühne. Außer ein paar traditionellen Requisiten wie Feuer, Schwert und Amboss, Mimes Bett, auf dem sich Siegfried lümmelt, ein paar Flaschen, aus denen der „garst’ger Zwerg“ seinen Gifttrank mischt, gibt es nichts. Noch minimalistischer geht es im zweiten und dritten Aufzug zu. Der „Waldvogel“ turnt am oberen linken Bühnenrand in einem schlauchartigen Käfig herum, und ein Knabensopran singt und spielt das „liebe Vöglein“. Einen Walküre-Felsen gibt es nicht. Die schlafende Walküre wird auf einer Art Klinikbett hereingefahren.
Wie schon in der Walküre will die Regie (Pierre Audi) auch im Siegfried kein Welterklärungsmodell anbieten und verzichtet auf jegliche ideologische Botschaft. Sie erzählt uns mit Anleihen an die Fantasy-Literatur einfach „ein Märchen aus uralten Zeiten“. Ein Märchen, in dem Mime und Alberich als Hobbits erscheinen, Fasolt ein zu Stein gewordener Riese und Wotan ein fernöstlicher Priester ist. Brünnhilde in ihrem langen roten Kleid und mit schwarzem langem Haar ist ein veritable Märchenprinzessin, ein erwachsen gewordenes Schneewittchen, und Siegfried in seinem Wildleder Outfit könnte geradewegs einem Western entsprungen sein. Doch all dies ist gar nicht so wichtig. Mit wenigen Mitteln, ganz auf die Personenregie konzentriert, auf das Spiel der Sängerdarsteller, die geradezu in Tuchfühlung mit den Zuschauern agieren und diese gleichsam in das Geschehen mit einbeziehen, gelingt der Regie faszinierendes Theater.
Im Amsterdamer Muziektheater – und jetzt zitiere ich, was ich zur Walküre geschrieben habe, denn es gilt uneingeschränkt auch für den Siegfried – „wird unter der Leitung von Maestro Hartmut Haenchen so brillant, so phantastisch gesungen und musiziert, das alles übrige sekundär ist, im Wortverstande zur quantité négligeable wird. Ein ungewöhnlich gelungener Wagnerabend, an dem es nichts zu bekrittel gibt. Wenn es sich nicht so abgegriffen und so pathetisch anhörte, könnte man auch sagen: ein rauschhafter Wagnerabend mit einer mehr als herausragenden Besetzung“.
Wir sahen die Aufführung am 12. September, die dritte Vorstellung nach der Wiederaufnahme am 31. August 2013. Die Premiere war am 1. Juni 1998.
Siegfried unter Cyborgs und beim Triadischen Ballett
Am Anhaltischen Theater in Dessau inszeniert man den Ring in umgekehrter Reihenfolge. Vor knapp einem Jahr sahen wir dort eine Götterdämmerung als Märchen- und Marionettenspiel und zugleich als Hommage an die Bauhauskünstler und die Bühnenexperimente eines Oskar Schlemmer. Ein intermediales Spektakel aus Musik, Theater und Malerei, das faszinierte und begeisterte.
Jetzt beim Siegfried, der in der Regiekonzeption an die Götterdämmerung anknüpft, hat sich die Begeisterung ein wenig abgekühlt. Vielleicht weil den Zuschauer die Bauhauszitate, wenngleich sie sich jetzt mit Motiven und Figuren aus den Cyborg-Märchen überlagern, nicht mehr überraschen? Vielleicht weil der Sänger des Siegfried, der wohl mit einer Erkältung zu kämpfen hatte, sich sehr zurücknahm und dann im Sängerwettstreit mit einer höchst brillanten Brünnhilde doch kaum eine Chance hatte? Vielleicht auch weil anders als bei der Götterdämmerung die Aufführung nicht so recht in Schwung kommen wollte. Das Orchester, so schien es mir, lief erst im dritten Akt zur gewohnten Hochform auf und überreichte so erst mit Verzögerung seinem Publikum die berüchtigte Wagner Droge. So wurden anders als das Siegfried – Idyll die Wotan-Erda Szene und auch Brünnhildes Erwachen zu den musikalischen Höhepunkten der Aufführung. Das ist natürlich ein höchst subjektiver Eindruck. Die Feuilletonschreiber werden es vielleicht ganz anders sehen. Ich bin nur eine simple Wagnerianerin, die einfach sagt, was ihr gefällt und was ihr weniger gefällt.
Doch sprechen wir lieber von der ambitiösen und sicherlich auch originellen Inszenierung: von der grandiosen Bilderwelt, vom Spiel der Farben und Figuren mit ihren Zitaten aus den Bauhausarbeiten, von den Computer- und Video-Animationen, von der Kunst der Performance, von der Hightech Show, wie sie da auf den Zuschauer einstürzen.… → weiterlesen