Am Anhaltischen Theater in Dessau inszeniert man den Ring in umgekehrter Reihenfolge. Vor knapp einem Jahr sahen wir dort eine Götterdämmerung als Märchen- und Marionettenspiel und zugleich als Hommage an die Bauhauskünstler und die Bühnenexperimente eines Oskar Schlemmer. Ein intermediales Spektakel aus Musik, Theater und Malerei, das faszinierte und begeisterte.
Jetzt beim Siegfried, der in der Regiekonzeption an die Götterdämmerung anknüpft, hat sich die Begeisterung ein wenig abgekühlt. Vielleicht weil den Zuschauer die Bauhauszitate, wenngleich sie sich jetzt mit Motiven und Figuren aus den Cyborg-Märchen überlagern, nicht mehr überraschen? Vielleicht weil der Sänger des Siegfried, der wohl mit einer Erkältung zu kämpfen hatte, sich sehr zurücknahm und dann im Sängerwettstreit mit einer höchst brillanten Brünnhilde doch kaum eine Chance hatte? Vielleicht auch weil anders als bei der Götterdämmerung die Aufführung nicht so recht in Schwung kommen wollte. Das Orchester, so schien es mir, lief erst im dritten Akt zur gewohnten Hochform auf und überreichte so erst mit Verzögerung seinem Publikum die berüchtigte Wagner Droge. So wurden anders als das Siegfried – Idyll die Wotan-Erda Szene und auch Brünnhildes Erwachen zu den musikalischen Höhepunkten der Aufführung. Das ist natürlich ein höchst subjektiver Eindruck. Die Feuilletonschreiber werden es vielleicht ganz anders sehen. Ich bin nur eine simple Wagnerianerin, die einfach sagt, was ihr gefällt und was ihr weniger gefällt.
Doch sprechen wir lieber von der ambitiösen und sicherlich auch originellen Inszenierung: von der grandiosen Bilderwelt, vom Spiel der Farben und Figuren mit ihren Zitaten aus den Bauhausarbeiten, von den Computer- und Video-Animationen, von der Kunst der Performance, von der Hightech Show, wie sie da auf den Zuschauer einstürzen. Ein ‚sichtbares‘ Theater, das man sich manchmal gern als ‚unsichtbares‘ gewünscht hätte, um nicht zu sehr von der Musik abgelenkt zu werden. Wotan und Erda scheinen – die Kostüme signalisieren dies überdeutlich – gleichsam Oskar Schlemmers Triadischem Ballett entsprungen zu sein. Erda eine große Märchenpuppe mit riesigem Reifrock. Wotan eine Art verfremdeter Harlekin. Fafner dagegen gehört ganz der Cyberwelt an. Aus dem Drachen ist ein Maschinenmensch geworden mit langen Lanzen auf Schultern und Kopf, doppelt so groß wie Siegfried. Dieser Siegfried, wie er sich da in Mimes Designer-Küche lümmelt, ist ein großes Kid, das ob all der Cyber-Spielchen, die er wohl ständig sieht, unter denen er ständig zappt (gleich mit zwei Joysticks ist er ‚bewaffnet‘), ein Kid, das die wirkliche von der virtuellen Welt gar nicht mehr zu unterscheiden vermag, ein Siegfried, der sich offensichtlich mit Cyborgs identifiziert und der ganz konsequent, wenn er Brünnhildes Felsen betritt, vollends aus der Wirklichkeit herausfällt, zur virtuellen Figur mutiert und im Finale zusammen mit Brünnhilde Teil der Cyborg Welt wird. Früher hätte man wohl gesagt: beide werden zu Marionetten, zu Gliederpuppen. Ein impliziter Verweis auf die Götterdämmerung, wo Siegfried von Anfang an mit seinen steifen und mechanischen Bewegungen als Marionette oder, wenn man so will, als Maschinenmensch vorgeführt wird.
So präsentieren denn ähnlich wie in der Götterdämmerung Regisseur André Bücker und sein Team auch bei ihrem Siegfried eine ungewöhnliche, eine hybride Inszenierung, bei der sich Kunst und Technik überlagern, eine Inszenierung, die trotz aller Verweise auf die Bauhaus-Tradition aus dem Siegfried ein Technospektakel mit den Materialien der virtuellen Welt von heute macht, ein ambitiöses Projekt, das manchen traditionellen Wagnerianer ein wenig überfordern könnte. Mag der Siegfried vielleicht auch nicht ganz an die Götterdämmerung heranreichen, so erlebt man doch im Anhaltischen Opernhaus in Dessau einen durchaus respektablen und in manchen Szenen auch einen faszinierenden Wagnerabend, der alle Male die lange Fahrt in die östliche Provinzstadt lohnt. Und wenn im nächsten Jahr, wie angekündigt, die Dessauer die Walküre in Szene setzten, dann fahren wir wieder hin. Wir sahen die Premiere am 30. März 2013.