Wahnvorstellungen und Albträume eines vom Krieg Traumatisierten – Ein in Musik und Szene höchst brillanter Idomeneo an der Oper Frankfurt

Einen sanften, einen verhalten-melancholischen und zugleich einen schwungvollen Mozart spielt das „Frankfurter Oper- und Museumsorchester“ unter der Leitung von Maestro Karsten Januschke, einen so beeindruckenden Mozart, dass kein gelangweilter Huster zu stören wagt. Auf der Bühne, vielleicht mit Ausnahme einer Nebenrolle, ein  Ensemble von erstklassigen Sängerdarstellern. Eine intelligente und konsequent realisierte Regiekonzeption, die überzeugt und fasziniert. Ein großer Opernabend.

 Regisseur Jan Philipp Gloger hat aus der altehrwürdigen Opera seria um den Kreter König Idomeneo und seinen verhängnisvollen Schwur, dem Gott Neptun ein Menschenopfer darzubringen, wenn er ihn aus dem Seesturm rette, einen modernen Psychothriller gemacht, ohne dabei den Kern des Mythos zu zerstören: das Opfer unter selbst gesetztem, doch dem Fatum zugewiesenen Zwang. In dieser modernen Variante des Mythos wird dessen archaisch-religiöse Komponente, das Menschenopfer, zum psychopathischen Fall einer Gewaltobsession und Aggressionslust, die sich nicht mehr gegen äußere Feinde, sondern gegen die eigene Person  richtet und  gegen die, die dieser am nächsten steht. Eine Aggressionslust, gegen die der von ihr Besessene immer verzweifelter ankämpft, die sich  erst im physischen Zusammenbruch scheinbar auflöst und doch jederzeit wieder ausbrechen kann – und wie ansteckende Krankheit auch andere erfassen kann. Kaum hat der  Dämon  Idomeneo verlassen, da stürzt er sich  schon auf Elektra und treibt sie in Wahnsinn und Selbstmord. Zum gattungsbedingten lieto fine sitzt ein scheinbar von seiner Psychose geheilter Idomeneo im Rollstuhl . Und kaum ist die kitschige Prinzenhochzeit mit den High Society- Gästen zu Ende, da ergreift Idomeneo von neuem der Wahn, sieht er wieder diesen irren Offizier aus seinem Heer vor sich  (den Gott Neptun aus dem Libretto) , der, das Messer in der Hand, ihn zum Mord an seinem Sohn aufstacheln will. Dieser Irre, vielleicht insinuiert das die Regie, ist er das unterdrückte alter Ego des Idomeneo?

So beobachten wir denn zu den sanften Mozart-Klängen das Psychogramm eines Gestörten, eines modernen Staatschefs und hohen Militärs, der sich zur Ouvertüre stolz von seinem Sohn, der da noch ein Kind war, verabschiedet und der als gebrochener Mann zu einem erwachsenen Sohn zurückkehrt, sich in seinen Wahnvorstellungen und seinen Aggressionsgelüsten ergeht. Die berüchtigte Opferungsszene, die der Zuschauer als Szene aus einer griechischen Tragödie zu sehen glaubt (die Akteure tragen Masken, der Oberpriester tritt in Maske und Kostüm eines antiken Philosophen auf) erweist sich, als der Zwischenvorhang sich hebt, als Gipfel der Fieberphantasien und zugleich als Moment der (scheinbaren?) Heilung. Um das Klinikbett des Kranken stehen der Arzt, der  Staatssekretär, die Damen Elektra und Ilias und der erwachsene Sohn  Idamante, den er im Wahn, als dieser noch ein Kind war, glaubte abschlachten zu müssen.

Eine in jeder Hinsicht stringente Inszenierung, die auf alles mythologische Beiwerk, auf allen trojanischen Krieg, auf alle Meeresungeheuer verzichten kann und dafür die Ungeheuer und das Böse in der Psyche des Protagonisten erkennt und visualisiert. Mit welcher Intensität Roberto Saccâ diese hochgespannten Vorgaben der Regie umsetzt und  mit welcher Brillanz er die Titelrolle singt, das ist schon höchst beeindruckend.

Den Frankfurter Idomeneo sollte man nicht versäumen. Wir sahen die Aufführung am 3. April 2013, die fünfte  Vorstellung. Die Premiere war am 17. März 2013.